Wie die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) arbeitet
Angefangen bei der Benachteiligung von Frauen über Kinderarbeit bis zur Gefahr für Leib und Leben, wenn sich Arbeiterinnen und Arbeiter in einer Gewerkschaft vereinigen möchten - die Herausforderungen in der Gestaltung eines global fairen Arbeitsmarkts sind groß.
1998 legte die Internationale Arbeitskonferenz (International Labour Conference – ILC) in der Erklärung über die grundlegenden Prinzipien und Rechte bei der Arbeit Sozialstandards im Rahmen der Welthandelsordnung nieder. Seit ihrer Überarbeitung 2022 umfassen sie fünf Bereiche: Vereinigungsfreiheit und Recht auf Kollektivverhandlungen, Abschaffung der Kinderarbeit, Verbot der Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf, Beseitigung von Zwangsarbeit, sowie Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit. Diese drücken sich wiederum in den zehn Kernarbeitsnormen (Core Labour Standards) aus, die sich auf acht Übereinkommen beziehen, die von der ILO als “grundlegend” eingestuft werden.
In insgesamt 191 Übereinkommen und sechs Protokollen sind die Kernarbeitsnormen wiederum ausgearbeitet. Auch wenn alle Länder sich nach ihnen richten sollten, sind bisher die meisten dieser Konventionen nicht von allen 187 Mitgliedstaaten der ILO ratifiziert worden. Um Fortschritte in Richtung Ratifizierung zu vereinfachen, sehen die Konventionen auch vor, dass ein konstruktiver Austausch zwischen Politik, Arbeitnehmerschaft sowie Arbeitgebern auf nationaler Ebene verankert sein sollte.
Wie Strukturen Bedingungen bestimmen
An der jährlichen ILC nehmen Delegationen jeden Staats und Abgesandten aller Interessensgruppen teil. Carolin Vollmann, Referatsleiterin der internationalen Abteilung des Deutschen Gewerkschaftsbundes, erklärt in einem Interview, dass das gemeinsame Bemühen aller Interessensvertreter für die Umsetzung der Arbeitsnormen wichtig sei.
Denn in der Arbeitswelt fließen wirtschaftliche, soziale und politische Strukturen zusammen. Wirtschaftliche Stärke eines Landes, dessen Außen- und Innenpolitik und seine ethisch-sozialen Standards beeinflussen sich stets gegenseitig. Eine Autokratie, die Kindern nur teilweise ihre Rechte einräumt, Frauen unterdrückt oder Geld nur in oberste Schichten lenkt, wird unwahrscheinlich Fairness von Unternehmen verlangen. Diese unterliegen dann oft wenig Druck aus ihrer Umwelt, Standards einzuhalten, die beispielsweise Hygiene, Gleichberechtigung oder angemessene Arbeitszeiten schützen. Umgekehrt wäre es unüblich, wenn ein weit entwickeltes Land mit hohen menschenrechtlichen Standards diese gegenüber der dort ansässigen Unternehmen nicht einfordern würde. Allerdings sind Wertschöpfungsketten häufig komplex und erstrecken sich nicht nur innerhalb eines Staates.
Fortschritte durch Austausch
Die internationalen Wirtschaftsbeziehungen bringen Wertschöpfungsketten mit unterschiedlichsten Arbeitsbedingungen mit sich. Vollmann erklärt, dass sich die ILO diese Herausforderung mit ihrer Arbeitsweise zunutze mache. Diese folgt nämlich dem Prinzip, das Teilnehmende sich selbst oder sich gegenseitig korrigieren können. Dazu müssen alle Staaten regelmäßig Rechenschaft darüber ablegen, ob und warum Kernarbeitsnormen in ihrem Land nicht eingehalten werden.
Ziel der ILO ist, dass möglichst jedes Land alle Konventionen einhält. Mitglieder der ILO sollen fortwährend mehr und mehr diese internationalen Arbeitsnormen zu rechtskräftigen, nationalen Beschlüssen machen.
Wenn die Mitgliedstaaten sich austauschen, entsteht neben Wissenszugang auch Druck durch Vergleich. Dieser möge manchmal ‚nur‘ moralischer Natur sein, so Vollmann, manchmal könne er aber auch den Charakter von Konkurrenz annehmen. Letzteres besonders, wenn ein Land ähnliche Produkte mit repräsentativerem Herstellungsprofil anbietet.
Berichte von allen für alle
Wird eine Kernarbeitsnorm verletzt, kann das von allen Delegationen, auch der eigenen, zur Sprache gebracht werden. Im optimalen Fall einigt sich die Delegation eines teilnehmenden Landes mit der ILO darauf, künftig die entsprechende Konvention zu erfüllen. Die Umsetzung eines Übereinkommens bedeutet immer, dass ein Land neue Gesetze verabschieden und überwachen muss. Ist das geschafft, wird diese sogenannte Ratifikation beim Internationalen Arbeitsamt (International Labour Office) eingetragen. Sie gilt damit als bindend und kann von der ILO überwacht werden.
Das wichtigste Werkzeug der ILO sind die Berichte. Berichtet werden muss von allen Teilnehmern jährlich, die ILO wiederum nimmt während der Konferenz Bestand auf und berichtet ihrerseits darüber zurück an alle Mitglieder. So wird Protokoll über Fort- und Rückschritte der Erfüllung der Konventionen geführt, die alle Staaten machen.
Im Zweifelsfall untersucht die ILO
Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter können außerhalb der jährlichen Berichtspflicht Beschwerden einreichen. Vollmann betont, dass diese Möglichkeit wichtig sei, wenn bedenkliche Zustände im eigenen Land beobachtet werden. Je nach Schwere des Verstoßes gegen eine Arbeitsnorm kann es dann zu Ahndungen durch einen Untersuchungsausschuss kommen.
Als Beispiel führt Vollmann das Verbot von Vereinigungsfreiheit an. Manche Staaten unterbinden den Zusammenschluss von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände. In der Konsequenz würde mitunter Gewalt gegen Gewerkschaftsmitglieder ausgeübt. Eine Beschwerde kann Auslöser dafür werden, dass die ILO mittels eines Untersuchungsausschusses aktiv wird. Dennoch sind auch in einem solchen Fall die exekutiven Möglichkeiten begrenzt. Ausschussmitglieder etwa, die sich ein Bild von der Lage machen möchten, würden im Zweifelsfall manchmal nicht ins Land hineingelassen, so Vollmann.
Geduld als unverzichtbares Werkzeug
Auch wenn aufgrund unterschiedlicher Entwicklungen und Umstände die Mitgliedstaaten der ILO ein breites Spektrum an Problemen der Arbeitswelt mitbringen, gilt die Zielsetzung, möglichst alle Arbeitsnormen umzusetzen, für alle Staaten. Unabhängig von dessen Entwicklungsstand.
Es sei viel Geduld gefragt, betont Vollmann. Sobald Menschenrechte in einer Gesellschaft mehr Platz bekämen, würde die Arbeit daran wiederum einfacher. Die ILO leiste dazu einen wichtigen Beitrag.
Mona Holy