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„Wir alle verlieren, weil wir uns hartnäckig weigern, Frauen in unseren politischen Systemen eine gleichberechtigte Stimme zu geben.“

Seit 2021 ist Sima Sami Bahous Exekutivdirektorin von UN Women, der UN-Organisation, die sich für die Gleichstellung der Geschlechter und die Stärkung von Frauen und Mädchen einsetzt. Ein Interview.

Eine mittelalte Frau spricht an einem Podium mit Mikrofon, auf dem das UN-Logo zu sehen ist, hinter ihr ist eine grüne Wand.
Sima Sami Bahous, Exekutivdirektorin von UN Women, spricht auf dem UN-Zukunftsgipfel im September 2024. (UN Photo/Loey Felipe)

Frau Bahous, wo stehen wir heute, 30 Jahre nach der Erklärung von Peking und der Aktionsplattform von 1995, aus Ihrer Sicht? 

Es gibt viel zu feiern: ein weltweiter Anstieg bei der Anzahl von Gesetzen, die geschlechtsspezifische Diskriminierung in der Arbeitswelt verbieten, neue Hilfsangebote, die die enorme Last von unbezahlter Betreuungsarbeit für Frauen erleichtern, zunehmend mehr Gesetze, die Frauen vor häuslicher Gewalt schützen, eine Verringerung der geschlechtsspezifischen Unterschiede im Bildungsbereich, eine drastische Senkung der Müttersterblichkeit, eine Zunahme von Jugendaktivismus und vieles mehr.  Diese Erfolge zu würdigen, heißt aber nicht, dass wir aus den Augen verlieren dürfen, wie viel noch zu tun ist.

Frauen sind in fast allen Bereichen noch weit von einer Gleichstellung entfernt, und wir können feststellen, dass in den vielen Kriegen und Krisen auf der Welt, einschließlich der COVID-19-Pandemie, immer Frauen zuerst und am stärksten betroffen sind.  Noch schlimmer ist, dass wir 30 Jahre später feststellen müssen, dass die Idee der Gleichstellung von Frauen und Mädchen von den höchsten politischen Führungsebenen bis hin zu den Ansichten vor allem junger Männer spürbar zurückgedrängt wird.  Die Arbeit ist also noch lange nicht getan, und wir müssen diesen 30. Jahrestag zum Anlass nehmen, uns erneut zu unseren Bemühungen um die Umsetzung der Erklärung von Peking zu bekennen, sie zu intensivieren und zu beschleunigen. 

Warum ist die Repräsentation von Frauen in der Politik wichtig?

Sie ist auf zwei Ebenen wichtig. Erstens verlangt eine Demokratie umfassende und gleichberechtigte Repräsentation.  Die Demokratie ist nicht nur einigen wenigen vorbehalten.  Doch im Jahr 2024, einem beispiellosen Wahljahr, wurden bei 31 Präsidentschaftswahlen nur fünf Frauen zu Staatsoberhäuptern gewählt, und weltweit ist nur etwa ein Viertel der Parlamentssitze und Ministerposten mit Frauen besetzt.  In 21 Ländern liegt der Frauenanteil in den Parlamenten sogar unter 10 %, in einigen Ländern gibt es gar keine Frauen als Abgeordnete. 

Zweitens wissen wir, dass politische Systeme, die Frauen eine gleichberechtigte Stimme geben, bei allen möglichen Indikatoren besser abschneiden, insbesondere in Schlüsselbereichen wie Gesundheit und Bildung.  Es ist kein Zufall, dass in vielen der Länder, die die COVID-19-Pandemie am besten bewältigt haben, Frauen die Regierung anführten.  Wir alle verlieren, weil wir uns hartnäckig weigern, Frauen in unseren politischen Systemen eine gleichberechtigte Stimme zu geben.

Deshalb begrüße ich ausdrücklich die Feministische Außenpolitik Deutschlands und die Art und Weise, wie sie die globalen Bemühungen um eine stärkere politische Beteiligung von Frauen und die Förderung einer inklusiven Politik unterstützt. Die Welt braucht globale Lösungen für globale Probleme, und das erfordert globale Führungskraft. Die globale Führungskraft, die wir brauchen und verdienen, ist eine gleichberechtigte, die es uns allen ermöglicht, die Vorteile der gleichberechtigten Rolle der Frauen in der Politik zu nutzen. 

Welchen Themen werden bei UN Women in naher Zukunft Priorität haben?

Das dreifache Mandat von UN Women ist breit gefächert.  Die Gleichstellung der Geschlechter und die Stärkung der Rolle der Frau sind für jedes Ziel für nachhaltige Entwicklung von entscheidender Bedeutung.  Es ist also schwierig, Prioritäten zu setzen. Gleichzeitig ist es in einem ressourcenbeschränkten Umfeld unumgänglich, Prioritäten zu setzen.

Deshalb haben wir anlässlich des 30. Jubiläums der Pekinger Erklärung und Aktionsplattform eine 6+1-Aktionsagenda vorgeschlagen, die auf den Fortschrittsberichten der Länder und den Erkenntnissen aus unseren globalen Maßnahmen und Programmen beruht. Erstens: Überwindung der digitalen Kluft. Zweitens: Bekämpfung der Armut, auch durch soziale Absicherung. Drittens: Beendigung der Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Viertens: Förderung von Frauen in Führungspositionen und bei Entscheidungsprozessen. Fünftens: Förderung des Engagements für Frauen, Frieden und Sicherheit. Sechstens: Priorisierung von Frauen und Mädchen bei der Klimagerechtigkeit.  Und in all diesen sechs Bereichen müssen junge Frauen und Mädchen einbezogen werden, denn ihre Rolle wird entscheidend sein.

Ich sehe und verstehe, dass viele Menschen besorgt sind über das, was in der Welt gerade passiert. Aber die Gleichstellung der Geschlechter ist unsere große Hoffnung, denn sie bietet uns neben einer besseren Chance auf Frieden auch soziale und wirtschaftliche Vorteile. Wenn mehr Frauen in der Wirtschaft und in der Regierung gleichberechtigt vertreten sind, verbessert das die Regierungsführung, und die Wirtschaft wächst. Wenn Frauen am Friedensverhandlungstisch sitzen, wird Frieden schneller gefunden und ist dauerhafter.

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