Menü

Katastrophale Bedingungen für Geburten in Gaza

Schwangere Frauen und Säuglinge in Gaza sind mit katastrophalen Bedingungen konfrontiert, darunter ein zusammenbrechendes Gesundheitswesen, psychische Traumata, Hunger und Tod. Der Rückgang der Geburten um 41 Prozent innerhalb von drei Jahren gefährdet laut UN eine ganze palästinensische Generation.

Eine Mutter wäscht Kochutensilien vor dem Zelt ihrer Familie in einem Flüchtlingslager im Westen von Gaza-Stadt.
Eine Mutter wäscht Kochutensilien vor dem Zelt ihrer Familie in einem Flüchtlingslager in Gaza-Stadt (Foto: UNFPA Palestine/Hardy Skills )

„Das Ausmaß des Leids für junge Mütter und ihre Säuglinge in Gaza ist unvorstellbar“, sagt Laila Baker, Regional­direktorin beim UN-Be­völkerungs­fonds (United Nations Population Fund - UNFPA). „Jede Mutter und jedes Kind hat das Recht auf eine sichere Geburt und einen gesunden Start ins Leben. Was wir derzeit erleben, ist eine syste­matische Verweigerung dieser Grundrechte, wodurch eine ganze Generation an den Rand des Abgrunds gedrängt wird“, so Baker.  Eine Sprecherin des Kinder­hilfs­werks (Unicef) stellt fest: Mutter zu werden sollte ein Grund zum Feiern sein, doch in Gaza sei es „ein weiteres Kind, das in die Hölle geboren wird”. 

Diese Zustände herrschen vor dem Hintergrund massiver Kampf­handlungen sowie der Bombar­dierung und vollständigen Blockade des Gazastreifens durch Israel. Dadurch wurde die gesamte palästinensische Bevölkerung mindestens einmal vertrieben und über 60.000 Menschen getötet. Laut des Amts des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschen­rechte (Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights - OHCHR) sind fast 70 Prozent der Todesopfer in Gaza Kinder und FrauenPro Stunde werden in Gaza zwei Mütter getötet. Ausgelöst wurde Israels Invasion durch die Terror­angriffe der Hamas vom 7. Oktober 2023.

Mitte August 2025 hat das israelische Militär seine Bomben­angriffe in Gaza-Stadt massiv verschärft und beschlossen, seine Pläne zur vollständigen Besetzung fortzusetzen. Dies wird zu weiteren „Massentötungen von Zivilisten“ und Vertreibungen führen, warnten OHCHR-Bedienstete. 

Syste­matische Zer­störung des Gesund­heits­wesens

Das OHCHR dokumentierte seit Kriegsbeginn wiederholt gezielte Angriffe des israelischen Militärs auf das Gesundheits­wesen in Gaza. UN-Expertinnen werfen Israels Regierung vor, Ärztinnen und Ärzte, Rettungssanitäter und Krankenhäuser in Gaza bewusst anzugreifen und auszuhungern, um die Gesundheitsversorgung auszuschalten.

Die Weltgesundheitsorganisation (World Health Organisation - WHO) hat bislang 735 Angriffe auf das Gesundheitswesen in Gaza gemeldet. Bei den Angriffen wurden 34 von 36 Kliniken beschädigt oder zerstört. Durch die vollständige Blockade Gazas sind zudem die Medi­kamenten­vorräte fast aufgebraucht. Derzeit gibt es bei einer Bevölkerung von rund 2,14 Millionen Einwohnern und Einwohnerinnen und über 150.000 Vertriebenen in gesamt Gaza acht Kranken­häuser, die teilweise funktionsfähig sind. Israels Zerstörung des Gesundheits­systems hat nicht nur zu Tausenden von Toten und Verletzten geführt, sondern hat auch langfristige Folgen für das Überleben der Palästinenserinnen und Palästinenser in Gaza

Geburten unter unvor­stell­barem Risiko  

Die Zerstörung des Gesundheits­wesens setzt besonders schwangere Frauen und Neugeborene einem unvorstellbaren Risiko aus. Nur noch fünf Krankenhäuser bieten Geburtshilfe für über 55.000 schwangere Frauen in Gaza an. Dies führt dazu, dass die meisten Schwangeren keine regelmäßigen Vor­sorge­unter­suchungen in Anspruch nehmen können und unter extremem Risiko gebären müssen. Täglich gebären in Gaza schätzungs­weise 180 Frauen, viele von ihnen ohne jegliche medizinische Hilfe und unter un­hygieni­schen Bedingungen in ihren Zelten. Fehlendes medizinisches Gerät und Medikamente führten dazu, dass sich Frauen bereits Kaiserschnitten ohne Betäubung unterziehen mussten.

Die katastrophalen Bedingungen für Geburten in Gaza führen zu einer erhöhten Mütter­sterblichkeit. Die Belastung durch den Krieg sowie Stress, Trauma, Hunger und De­hydrierung führen bei einigen Frauen zu Frühwehen. Da eine Not­versor­gung sehr stark beeinträchtigt ist, führt dies häufig zu Früh­geburten, Fehlgeburten und zum Tod des Kindes vor der Geburt. Fehl­geburten in Gaza stiegen seit Kriegs­beginn um 300 Prozent.

Eine Geburts­helferin in Gaza beschreibt es in einem UN-Bericht wie folgt: „Eine Geburt in Gaza ist wie eine Geburt im Mittelalter. Es gibt keinen Zugang zu neo­natologischer, pränataler oder postnataler Versorgung. Grundlegende Ausrüstung für die Entbindung […] ebenso wenig wie wichtige Medikamente […] sind nicht vorhanden. Infolgedessen sind die Mütter­sterblichkeit, Tot­geburten und Fehlgeburten gestiegen.“ 

Be­stätigte Hungers­not erhöht Fehl­geburten 

Seit dem 15. August 2025 ist in Gaza eine Hungersnot bestätigt. Mehr als eine halbe Million Menschen in Gaza sind von der Hungersnot betroffen, die durch weit verbreiteten Hunger und vermeidbare Todesfälle gekennzeichnet ist, so der von den UN unterstützte Bericht. 55.500 schwangere und stillende Frauen sowie 25.000 Säuglinge benötigen dringend Nahrungsmittelhilfe. 16.000 schwangere Frauen in Gaza brauchen sogar dringend Behandlung bei akuter Unterernährung. Fast kein Kind unter zwei Jahren und keine schwangeren und stillenden Frauen in Gaza erreichen ihren täglichen Nährstoffbedarf.

Unterer­nährung bei Schwangeren erhöht das Risiko von Fehlgeburten, Totgeburten und unterernährten Neuge­borenen. Die Unterernährung stillender Frauen gefährdet ihre Gesundheit sowie ihre Fähigkeit, zu stillen. Dies wiederum setzt Neugeborene einem erhöhten Sterberisiko aus, da im gesamten Gazastreifen ein extremer Mangel an Säuglings­anfangsmilch herrscht. Die Hungersnot in Gaza ist laut UN-Generalsekretär António Guterres „eine von Menschen verursachte Katastrophe, eine moralische Anklage – und ein Versagen der Menschheit selbst“. Laut offizieller Prognosen wird sich die Situation noch verschlimmern: Bis Juni 2026 werden schätzungsweise 132.000 Kinder unter fünf Jahren an akuter Unterernährung leiden, darunter 41.000 schwere Fälle mit erhöhtem Sterberisiko

Blockade von Hilfs­gütern wie Inku­batoren 

UNICEF und hunderte weitere humanitäre Organisationen haben tausende Paletten mit Nahrung und anderen Hilfsgütern an der Grenze zu Gaza bereitgestellt. Doch Israels Regierung blockiert trotz offiziell ausgerufener Hungersnot die Einfuhren. Allein der UN-Be­völkerungs­­fonds verfügt über 190 Lastwagen an der Grenze zu Gaza, die lebensrettende Hilfsgüter wie Säuglingsanfangsmilch, Ultraschallgeräte, tragbare Inkubatoren und Geburtshilfe-Sets enthalten. Doch auch hier verweigerten israelische Sicherheitskräfte trotz der Verpflichtungen unter humanitärem Völkerrecht die Einfuhr. Laut UN sind über 25.000 Säuglinge in Gaza unvorstellbarem Risiko ausgesetzt. „Die Menge an Hilfsgütern, die nach Gaza gelangt, ist im Vergleich zum immensen Bedarf nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Vor allem brauchen wir einen Waffenstillstand, um dieser verheerenden Situation ein Ende zu setzen“, so der Sprecher des UN-Generalsekretärs. 

UN-Vor­würfe zur Ver­hinderung von Geburten

Ein Papier der Unabhängigen internationalen Untersuchungskommission für das besetzte palästinensische Gebiet, einschließlich Ost-Jerusalems, und Israels (Independent International Commission of Inquiry) beschreibt die Zerstörung der palästinensischen Bevölkerung durch reproduktive Gewalt. Darunter fallen gezielte Angriffe der israelischen Sicherheitskräfte  auf Einrichtungen der reproduktiven Gesundheitsversorgung in Gaza. Die Kommission schreibt, dass neben Geburtsstationen beispielsweise auch die wichtigste Klinik für Fertilität in Gaza vorsätzlich angegriffen und sämtliches Reproduktionsmaterial vernichtet worden sei. Diese Vernichtung zielt laut des Papiers darauf ab, Geburten unter Palästinen­serinnen in Gaza zu verhindern, was ein Merkmal von Völkermord darstellt. 

Auch ein UN-Sonderausschusses ist zutiefst darüber besorgt, dass die systematische und gezielte Gewalt gegen Frauen und Kinder palästinensische Frauen effektiv daran hindern, Kinder zu gebären. Weiter heißt es, dass palästinensischen Frauen und Kindern schwere körperliche und seelische Schäden zugefügt und ihnen Lebensbedingungen auferlegt werden, die auf ihre physische Vernichtung abzielen. In der ersten Hälfte des Jahres 2025 wurden nur 17.000 Geburten registriert. Dies entspricht einem Rückgang der Geburtenrate in Gaza um 41 Prozent in den letzten drei Jahren. Das gefährdet laut UN eine ganze palästinensische Generation.

Laura Reiner

Das könnte Sie auch interessieren


  • Gezielte Tötungen (Targeted Killings)

    Zugleich ein Kommentar zum Gutachten des Internationalen Gerichtshofs vom 9. Juli 2004Gezielte Tötungen (Targeted Killings)

    01.08.2004
    Scheich Ahmed Yassin, der geistige Anführer der palästinensischen Hamas-Bewegung, wurde am 22. März 2004 beim Verlassen einer moslemischen Gebetsstätte im nördlichen Gazastreifen durch einen israelischen Luftangriff überrascht. Hubschrauber feuerten… mehr

  • Zwischen Intifada und Besatzung

    Gegenwärtige Aufgaben und Probleme des UNRWAZwischen Intifada und Besatzung

    01.02.1992
    Die internationale Nahostkonferenz, unter Schirmherrschaft der Vereinigten Staaten und der damaligen Sowjetunion nach jahrelangen Bemühungen endlich am 30.Oktober 1991 in Madrid eröffnet und im Dezember in Washington sowie im Januar 1992 in Moskau… mehr

  • Das Dilemma bleibt

    Die Palästinenser ›nach Oslo‹Das Dilemma bleibt

    01.12.1997
    Der derzeitige Stillstand im israelisch-palästinensischen Friedensprozeß zeigt deutlich, daß eine Lösung für diesen jahrzehntealten bitteren Konflikt nach wie vor in weiter Ferne liegt. Wenn auch unterschiedliche Auffassungen über die Ursachen der… mehr