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Das vergessene Jubiläum: 70 Jahre Völkermordkonvention

Das Ende des Jahres prägte die Erinnerung an die Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vor 70 Jahren, am 10. Dezember 1948. Fast vergessen wurde dabei, dass einen Tag zuvor die Völkermordkonvention ebenfalls 70 Jahre alt wurde. Eine gute Gelegenheit für eine kurze Bilanz.

Drei Rohingya sitzen in einer dunkelen Hütte. Ein Mann, ein Kind und eine Frau. Die Hütte ist dämmerig und ein Lichtschatten fällt auf sie.
Geflüchtete Rohingya in Cox's Bazar, einem Flüchtlingslager in Bangladesch. (UN Photo/KM Asad)

Ohne Zweifel wurde zu Recht gefeiert und gemahnt, als am 10. Dezember 2018 die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte 70 Jahre alt geworden ist. Das Dokument war und ist ein Meilenstein des Kampfes für Menschenrechte.
Ein weiteres bedeutendes Jubiläum fand im Dezember diesen Jahres jedoch kaum mediale Beachtung: die Verabschiedung der Völkermordkonvention vor ebenfalls 70 Jahren. In der Folge des Holocaust verabschiedete die Generalversammlung der neu gegründeten Vereinten Nationen am 9. Dezember 1948, einen Tag vor der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, nach zähen Verhandlungen das Übereinkommen über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes (engl. Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide). Die Konvention trat am 12. Januar 1951 in Kraft.

Wiederkehrende Verstöße  

Proklamiertes Ziel der Konvention war es, einen rechtlich verbindlichen Rahmen zu schaffen, der Völkermorde in Zukunft verhindern sollte. Hierzu wurde nicht nur erstmalig Völkermord rechtlich definiert, Artikel 8 des Übereinkommens legitimiert auch Interventionen, die für die Verhütung und Bekämpfung von Völkermordhandlungen durch die Staatengemeinschaft als geeignet erachtet werden. Nie wieder sollten Menschen dem sogenannten schwersten Verbrechen aller Verbrechen zum Opfer fallen.

Nicht erst 70 Jahre später fällt die Bilanz jedoch durchwachsen aus. In den Jahrzehnten des Kalten Krieges fand das Übereinkommen über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes nur wenig Beachtung. Erst seit dem Fall des Eisernen Vorhangs und durch die, international als solche anerkannten, Völkermorde in Ruanda 1994 und Srebrenica 1995 fanden internationale Bemühungen zur Bestrafung und Prävention von Völkermord im Rahmen der Vereinten Nationen in zunehmendem Maße statt.

Zunehmend problematisch dabei ist die wiederkehrende Diskussion darüber, welche Verbrechen als Völkermord eingestuft werden. Das liegt vor allem an der sehr spezifischen Auswahl von Gruppen die betroffen sein müssen und das laut Konvention eine Absicht zum Völkermord vorliegen muss die Opfer als Gruppe teilweise oder gänzlich zu vernichten. Das lässt sich schwer nachweisen. Das verhindert letztendlich Interventionen und kostete bereits zigtausende Menschenleben, ob 1965 in Indonesien, 1971 in Bangladesch, 1976 in Osttimor, 1982 in Guatemala oder jüngst in Darfur und in der Zentralafrikanischen Republik.

Jüngstes Beispiel Myanmar

Das Leitmotiv „Nie wieder“, dem die Verfasserinnen und Verfasser der Völkermordkonvention folgten, ist eine Vision geblieben. Vor zwei Jahren erst stuften die Vereinten Nationen die Verbrechen der Terrormiliz „Islamischer Staat“ gegen die Jesiden in Syrien und im Irak, die seit 2014 andauerten, als Völkermord ein. Zu diesem Zeitpunkt waren tausende Jesiden und Jesidinnen als Sexsklavinnen verschleppt, ermordet oder vertrieben worden.

Nun scheint die Weltgemeinschaft Zeuge eines weiteren Völkermordes geworden zu sein. Ein im September 2018 veröffentlichter Bericht der Vereinten Nationen spricht im Kontext des Konfliktes in Myanmar von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Der Bericht ist das Ergebnis einer internationalen, unabhängigen Untersuchungskommission der Vereinten Nationen.  Diese wurde im März 2017 vom UN-Menschenrechtsrat einberufen (A/HRC/RES/34/22). In dem Konflikt im Bundesstaat Rakhine sind nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch mittlerweile mehr als 600.000 muslimische Rohingya ins benachbarte Bangladesch geflohen oder Binnenvertriebene. Es kam zu massiven und systematischen Menschenrechtsverletzungen insbesondere durch die myanmarischen Sicherheitskräfte. Geflohene berichten von außergerichtlichen Hinrichtungen und Massenerschießungen, Brandstiftungen durch die Sicherheitskräfte und sexualisierte Gewalt wie Vergewaltigungen und Gruppenvergewaltigungen. Der ehemalige UN-Hochkommissar für Menschenrechte Zeid Ra’ad Al Hussein sprach in dem Kontext bereits von einem Lehrbuchbeispiel für ethnische Säuberungen und verurteilte die Praxis scharf.

Völkermord oder kein Völkermord?

Der Bericht der Untersuchungskommission vermeidet jedoch, trotz der ungewöhnlich harschen Wortwahl und der Beweislage, explizit davon zu sprechen, dass es sich im Falle der in Myanmar begangenen Verbrechen um Völkermord handelt, er legt es aber nahe. In einem Absatz heißt es zum Beispiel, dass die grauenerregenden Menschenrechtsverletzungen den schwersten Verbrechen nach internationalem Gesetz entsprechen. Völkermord gilt als ebenjenes. Zusätzlich werden diese Verbrechen mit Verbrechen gegen die Menschlichkeit verglichen, bei denen die Absicht zum Völkermord festgestellt wurde. Ebenso empfiehlt die Kommission führende myanmarische Militärs wegen Völkermordes anzuklagen.

Im Abschluss verweist die Untersuchungskommission auf die Arbeit der entsprechenden Stellen der Vereinten Nationen, wie die des Sonderberichterstatters zu Myanmar, um festzuhalten, dass es sich bei den Menschenrechtsverletzungen um eine andauernde Form der Diskriminierung handelt, die seit Jahrzehnten besteht und die in Wellen der Gewalt regelmäßig eskaliert.

Strafverfolgung als einziges Instrument

Andere Organisationen und Institute, darunter das renommierte Holocaust-Museum in Washington D.C., haben die Verbrechen als Völkermord deklariert. Damit beabsichtigt man resolute Schritte gegen die Verantwortlichen in Myanmar anzuregen.

Die Strafverfolgung der Täter und Täterinnen, wie von der Untersuchungskommission gefordert ist eine entscheidende Komponente der Völkermordprävention. Doch es darf nicht allein dabei bleiben. Strafverfolgung und finanzielle Sanktionen dürfen nicht die einzigen Instrumente bleiben, um die Völkermordkonvention 70 Jahre nach ihrer Unterzeichnung als wirksames Werkzeug im Kampf gegen dieses Verbrechen zu stärken. Es muss schneller und entschiedener gehandelt werden – bereits im Vorhinein und erst Recht wenn ein Völkermord vollzogen wird.

Die Indifferenzen bezüglich der Definition des Verbrechens dürfen kein Hindernis bei der Intervention zum Schutz hunderttausender Menschenleben sein. Letztendlich bleibt die Anwendung der Konvention aber abhängig vom politischen Willen der Regierungen. Diesen können Zivilgesellschaften jedoch beeinflussen.

Prokop Bowtromiuk

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