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Verhütung und Bestrafung des Völker­mordes

Obwohl die Geschichte der Mensch­heit etliche Völker­morde aufweist, existierte bis 1948 kein allgemein­gültiger Terminus, um dieses Verbrechen rechts­verbindlich zu beschreiben. Dies änderte sich erst mit dem Holo­caust. Der polnisch-jüdische Jurist Raphael Lemkin prägte den Begriff „genocide“ (dt. Völker­mord), noch bevor die Massen­vernichtungs­lager Nazi­deutsch­lands bekannt wurden.

Drei Kinder stehen nebeneinander und salutieren. Daneben und dahinter stehen Frauen.
21 Jahre danach: Gedenken an den Genozid in Ruanda (UN Photo)

Das Übereinkommen über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes

In der Folge des Holo­caust verabschiedete die General­versammlung der neu gegründeten Vereinten Nationen nach zähen Verhand­lungen am 09. Dezember 1948 das Übereinkommen über die Verhütung und Bestrafung des Völker­mordes (engl. Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide; CPPCG). Die Konvention trat am 12. Januar 1951 in Kraft.

Bis heute (Stand: März 2024) haben 153 Staaten das Überein­kommen ratifiziert. Unter den Nicht-Unter­zeichnern finden sich auch Staaten, die unter besonderer Beobachtung der inter­nationalen Gemeinschaft stehen. Ihre inner­staatlichen Konflikte und instabilen Verhältnisse steigern das Risiko eines Völker­mordes. Hierzu zählen die Zentral­afrikanische Republik, der Tschad und Somalia. Die Bundes­republik Deutsch­land ratifizierte das Übereinkommen 1954, die Deutsche Demokratische Republik 1973.

Zweifelsohne gelang den Vereinten Nationen in ihren Gründungs­jahren mit dem Überein­kommen ein historischer Erfolg. Die enge Definition von Völker­mord in der Konvention, die stark geprägt von der grausamen Erfahrung des Zweiten Welt­kriegs war, wird jedoch bis heute von kritischen Stimmen als unzu­reichend angesehen. So gilt zum Beispiel die Auf­zählung der Unter­scheidungs­merkmale von Gruppen als unvollständig, fehlen doch unter anderem politische und soziale Gruppierungen oder auch indigene Bevölkerungs­gruppen. Kritisiert wird auch die Not­wendigkeit eines Vorsatzes zur Vernichtung einer Bevölkerungs­gruppe, der in der Praxis oft nur schwer nachzuweisen ist.

In den Jahrzehnten des Kalten Krieges fand das Überein­kommen über die Verhütung und Bestrafung des Völker­mordes nur wenig Beachtung. Erst seit dem Fall des Eisernen Vorhangs und durch die Völker­morde in Ruanda und Srebrenica fanden inter­nationale Bemühungen zur Bestrafung und Prävention von Völker­mord im Rahmen der Vereinten Nationen in zunehmendem Maße statt. Die Bilanz fällt jedoch bisher durchwachsen aus.

Die Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völker­mordes steht in einer engen Relation zum Römischen Statut von 1998, das die Schaffung des Internationalen Strafgerichtshofs einleitete. Dieser nahm 2002 seine Arbeit auf und stellt ein Instrument der Inter­nationalen Straf­gerichts­barkeit dar, mit dem Völker­mord, Verbrechen gegen die Mensch­lich­keit, Kriegs­verbrechen und das Verbrechen der Aggression geahndet werden können.

Völkermord und Menschenrechte

Die Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völker­mordes zählt im klassischen Sinne nicht zu den Menschen­rechts­übereinkommen wie etwa der Sozial- oder der Zivilpakt. Nichts­desto­trotz steht sie in engem Verhältnis zu den Menschen­rechten und kann deswegen auch als ein weiteres Instrument angesehen werden, um schwerste Menschen­rechts­verletzungen vorzu­beugen oder zu ahnden.

Ein Völkermord, auch in der Planung oder Anfangs­phase, verletzt elementare Menschen­rechte. Dazu zählen unter anderen das Recht auf Leben, Freiheit und Sicher­heit der Person aber auch der Schutz vor Diskriminierung (Individual­rechte). Ein Völker­mord greift aber ins­besondere die Kollektiv­rechte von Gruppen und Völkern, die deren gemeinsame Existenz, Entwicklung und Wahr­nehmung der politischen, bürger­lichen, wirtschaft­lichen, sozialen und kulturellen Rechte gewähr­leisten sollen, an. Ein völker­rechtliches Vertrags­werk zum Schutz von Kollektiv­rechten ist jedoch noch nicht ausgearbeitet.

Völkermord - Nie wieder?

Zwei Soldaten stehen unter einem Baum. Der eine trägt eine Panzerfaust und schaut grimmig.
Khmer Rouge Soldaten 1992 in Kambodscha (UN Photo/J Bleibtreu)

Als die Staaten­gemeinschaft im Verbund der Vereinten Nationen 1948 die Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völker­mordes verabschiedete, geschah dies unter der Prämisse „Nie wieder!“. Nie wieder sollte die Staaten­gemeinschaft Völker­mord zulassen. Völker­morde sollten frühzeitig verhütet und schon die Verschwörung und der Aufruf zum Völker­mord strafbar sein.

Dieses ambitionierte Ziel konnte der Realität des Kalten Krieges jedoch bald nicht standhalten und in der Folge kam es erneut zu Völker­morden weltweit:

  • 1965 in Indonesien               (mind. 500.000 Tote)
  • 1971 in Bangladesch            (ca. 1.5 Millionen Tote)
  • 1975 in Osttimor                   (ca. 200.000 Tote)
  • 1982 in Guatemala               (ca. 1700 Tote)
  • 1975-1979 in Kambodscha   (ca. 1.7 Millionen Tote)

In keinem dieser Fälle wurde den Tätern auf Veran­lassung der Mitglied­staaten durch die Vereinten Nationen Einhalt geboten. Statt­dessen inter­venierten Nachbar­staaten aus eigenen sicherheits­politischen Interessen. Indien inter­venierte in Bangladesch, Vietnam in Kambodscha und Australien in Osttimor. Dass viele dieser Völker­morde kaum bekannt wurden, liegt mitunter daran, dass sie - mit Ausnahme von Kambodscha - auf der Ebene der Vereinten Nationen keine straf­rechtlichen Konsequenzen zur Folge hatten und entsprechend nie offiziell als Völker­mord definiert wurden. In Kambodscha unterstützen die UN erst seit 2003 ein nationales Sonder­tribunal zur Aufarbeitung und Verfolgung der durch die Rothen Khmer verübten Massen­morde (Extraordinary Chambers in the Courts of Cambodia).

Diese Politik, dass offen­sicht­liche Genozide zum Zeitpunkt des Völker­mordes nicht als solche anerkannt wurden, setzte sich auch nach dem Kalten Krieg fort. Tragischer Höhe­punkt waren die Völker­morde in Ruanda (1993) und Srebrenica (1995). In Ruanda massakrierten Hutu-Milizen bis zu 800.000 Tutsi und in Srebrenica ermordeten serbische Para­militärs 8000 Bosniaken. In beiden Fällen waren zwar UN-Blau­helms­oldaten am Ort des Geschehens, intervenierten jedoch mangels Mandat nicht.

Dem Überein­kommen zu Folge (Art.8) hätten die UN in allen geschilderten Fällen Maßnahmen ergreifen können, „die sie für die Verhütung und Bekämpfung von Völker­mord­handlungen“ als geeignet erachten. Wenn eine Völker­mord­handlung von den Mitglied­staaten der UN jedoch nicht als solche eingestuft wird, können die UN ihrer Schutz­funktion gemäß des Überein­kommens nicht gerecht werden. In Folge dessen erfolgte auch in keinem der geschilderten Fälle eine militärische Inter­vention der Vereinten Nationen um die Völker­mord­handlung zu unterbinden.

Nichtsdestotrotz stellten die Ereignisse in Ruanda und Srebrenica einen erneuten Weckruf an die Staaten­vertreter in den Vereinten Nationen dar. Obwohl die Völker­morde gemäß dem Überein­kommen nicht verhütet werden konnten, erfolgte zumindest ihre völker­recht­liche Anerkennung als Genozide sowie eine Bestrafung der am Völker­mord beteiligten Straf­täter im Nachhinein. In zwei UN-Sonder­tribunalen zum ehemaligen Jugoslawien und Ruanda werden die entsprechenden Vergehen bis heute straf­rechtlich verhandelt.

Myanmar, Darfur und die Zentralafrikanische Republik

Die bisherige Nicht­anwendung des Überein­kommens zur Beendigung einer Völker­mord­handlung oder zur Verhinderung bleibt auch weiterhin ein drängendes Problem der inter­nationalen Staaten­gemeinschaft. So verbergen sich hinter vermeint­lichen Regional­konflikten wie in Myanmar, Darfur oder der Zentral­afrikanischen Republik Fälle von unvorstell­baren Grausamkeiten und Gewalt. Obwohl sie als Völker­morde eingestuft werden müssten, geschieht dies auf der Ebene der Vereinten Nationen bisher nicht.

In Myanmar, ehemals Burma, verfolgt die Regierung auf brutale Art und Weise brutal Minder­heiten wie die der Karen, Shan, Kachin und die muslimischen Rohingya. Dabei kommt es immer wieder zu Massakern von erheblichem Ausmaß. Insbesondere Frauen der unterschied­lichen Minder­heiten gehören zu den Opfern. Nicht­regierungs­organisationen, darunter Genocide Watch, berichten von wiederholten Massen­vergewaltigungen durch Regierungs­truppen als Mittel der Kriegs­führung. Der Bericht „All You Can Do Is Pray“ der Menschen­rechts­organisation Human Rights Watch spricht ebenfalls von Verbrechen gegen die Mensch­lichkeit und ethnischen Säuberungen.

Die Vereinten Nationen verfolgen das Geschehen in Myanmar keines­falls tatenlos. Insbesondere der Menschen­rechts­rat und die Sonder­bericht­erstatterin über die Menschen­rechts­situation in Myanmar kritisierten wiederholt die Menschen­rechts­situation vor Ort.

Ähnlich verhält es sich bis heute mit Darfur. In der west­sudanesischen Region bekämpfen sich seit 2003 die größten­teils muslimischen Reiter­milizen (Janjaweed) und zwei Rebellen­gruppen. Die Regierung in Khartum bewaffnet und unterstützt in dem Konflikt die Janjaweed-Milizen, mitunter auch durch Luftschläge gegen die Zivil­bevölkerung in Darfur. Das Auswärtige Amt und die Vereinten Nationen schätzen die Zahl der Todes­opfer auf rund 300.000 und die Zahl der Vertriebenen auf 2,5 Millionen.

In einem außer­gewöhnlichen Schritt beschuldigte die US-Regierung 2004 die sudanesische Regierung unter Präsident Umar al-Bashir schwerster Menschen­rechts­verletzungen, Verbrechen gegen die Mensch­lichkeit und des Völker­mordes. Eine im Anschluss durch die Vereinten Nationen eingesetzte inter­nationale Untersuchungs­kommission für Darfur erklärte jedoch in ihrem Abschluss­bericht, dass kein Völker­mord vorliege. Nach Auffassung der Kommission bestanden zwar Charakteristika eines Völker­mordes, eine Völker­mord­absicht könne jedoch nicht nachgewiesen werden.

So kam es wiederholt zu keiner UN-Intervention auf Grund­lage der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völker­mordes. Die Verbrechen sollen jedoch juristisch geahndet werden. Der Inter­nationale Straf­gerichts­hof erweiterte seinen Haftbefehl gegen Bashir von 2009 wegen Verdachts auf Kriegs­verbrechen und Verbrechen gegen die Mensch­lichkeit im Jahr 2010 um den Tatbestand des Völker­mordes. Unabhängig davon entsandte die UN 2007 eine Friedens­mission in Kooperation mit der Afrikanischen Union (UNAMID).

Auch in der Zentralafrikanische Republik (ZAR) werden 2014 tausende Menschen ermordet oder befinden sich auf der Flucht. Hinter­grund ist ein brutaler, religiös motivierter Bürger­krieg zwischen den muslimischen Séléka-Milizen und ihren christlichen Wider­sachern den Anti-Balaka-Milizen. Die ZAR befindet sich in einer Gewalt­spirale, die eindeutige Merkmale eines Völker­mordes aufweist. UN-General­sekretär Ban Ki-moon warnte auf seiner Reise nach Ruanda, wo er dem Völker­mord von vor 20 Jahren gedachte, vor einem bevor­stehenden Völker­mord in der Zentral­afrikanische Republik. Der Sicherheits­rat beschloss fünf Tage später, am 10. April 2014, eine Friedensmission für die ZAR (MINUSCA). Er tat dies jedoch auf Grundlage von Artikel 7 der Charta der Vereinten Nationen, nicht auf Grundlage der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völker­mordes.

Eine durchwachsene Bilanz

In allen hier geschilderten Fällen, den aktuellen wie auch den vergangenen, wird eines klar deutlich: Die Völker­mord-Konvention der Vereinten Nationen wurde bis heute nicht angewendet, um einen andauernden Völker­mord zu beenden oder zu inter­venieren. Selbst­verständlich sind die Friedens­missionen der Vereinten Nationen begrüßens­wert und ein existenzieller Fort­schritt auf dem Weg zur welt­weiten Durch­setzung der Menschen­rechte. Die Frage ist aber, ob nicht eine stärkere und aktivere Reaktion auf Massen­morde erfolgen muss, insbesondere dann, wenn es sich um Völker­mord handelt. Im Licht dieser Tat­sachen droht der Sinn und Zweck der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völker­mordes nachhaltig zu verblassen.