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Das Menschrecht auf Gesundheit – nur eine Utopie?

Theoretisch hat jeder Mensch ein Recht auf Gesundheit und ärztliche Versorgung im Krankheitsfall. Tatsächlich gilt dies für weniger als 50% der Weltbevölkerung – die Pandemie droht, dieses Missverhältnis noch weiter zu verschlechtern. Werden die Agenda-Ziele auch im Bereich Gesundheit verfehlt?

Eine Mädchen erhält eine Cholera-Schluckimpfung bei einer von der WHO unterstützuen Impfkampagne auf Haiti.
WHO und UNICEF unterstützen eine Impfkampagne auf Haiti gegen Cholera, 2016. (UN Photo/Logan Abassi)

Das dritte der insgesamt 17 Ziele für Nachhaltige Entwicklung (SDG) beinhaltet die Gewährleistung eines gesunden Lebens für alle Menschen jeden Alters und die Förderung ihres Wohlergehens bis zum Jahr 2030. Die seit 8 Monaten andauernde COVID-19 Pandemie hat bereits unzählige Menschenleben gefordert und bringt weiterhin viele Gesundheitssysteme an ihre Grenzen. Die Erreichung des Ziels – eine weltweit zugängliche medizinischen Versorgung für alle innerhalb der nächsten 10 Jahre – wird durch die Pandemie erheblich erschwert.

Der UN Sustainable Development Report 2020 hält fest, dass im Jahr 2017 lediglich 2,5 bis 3,7 Milliarden Menschen – also nur rund die Hälfte der Weltbevölkerung – Zugang zu einer grundlegenden Gesundheitsversorgung hatten. In einkommensschwachen Ländern lag die Zahl der Versorgten sogar lediglich bei 12 bis 27 Prozent. Ohne signifikante Kursänderung prognostiziert der diesjährige SDG-Bericht, dass bis 2030 maximal 63 Prozent der globalen Weltbevölkerung Zugang zu einer grundlegenden Gesundheitsversorgung haben werden.

Könnte hierin ein Verstoß gegen langjährig bestehende multilaterale Verträge und Völkerrechte bestehen und gibt es sogar ein Recht auf Gesundheit?
 

Welche rechtlichen Grundlagen gibt es?

Bereits die Charta der Vereinten Nationen verkündete, dass Gesundheit ein wesentlicher Aspekt der internationalen Zusammenarbeit ist. Durch Art. 25 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) hat jeder das Recht unter anderem „auf einen Lebensstandard, der Gesundheit und Wohl […] gewährleistet, ärztliche Versorgung und das Recht auf Sicherheit im Krankheitsfall.“ Jedoch ist die AEMR keine Resolution des UN-Sicherheitsrates und kann als Rechtsquelle gegenüber den Mitgliedsstaaten keine rechtsverbindliche Wirkung entfalten. Der AEMR bleibt jedoch eine prägende Inspirationswirkung für regionale Menschenrechtsabkommen und ist als Leitbild für das zu erreichende Ideal der universellen Menschenrechte bedeutsam.

Der später im Jahr 1966 verabschiedete internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (UN-Sozialpakt) bestimmt in Artikel 12, dass die Vertragsstaaten das Recht eines jeden auf das für sie und ihn erreichbare Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit anerkennen. Zudem soll sichergestellt werden, dass jeder Mensch im Krankheitsfall Zugang zu medizinischen Einrichtungen und ärztlicher Betreuung erhält. Dem Sozialpakt mangelte es jedoch an einem zentralen System zur Rechtsdurchsetzung, sodass ihm zunächst nur berichterstattende Wirkung beigemessen wurde. Dagegen verspricht das Zusatzprotokoll des UN-Sozialpaktes vom 10.12.2008 eine weitgehendere Stärkung des Menschenrechtsschutzes. Hiernach erhalten Einzelpersonen oder Personengruppen, die ihre Rechte verletzt sehen, die Möglichkeit der Individualbeschwerde vor dem Fachausschuss der Vereinten Nationen. Ratifiziert wurde das Protokoll allerdings erst von wenigen UN-Mitgliedstaaten. Deutschlands Ratifizierung steht ebenfalls noch aus.

Unabhängig von seiner Durchsetzungskraft hat der UN-Sozialpakt bereits eine positive Ausstrahlungswirkung für viele weitere Menschenrechtskonventionen wie zum Beispiel der Afrikanischen Menschenrechtscharta (Banjul-Charta) und der ASEAN Human Rights Declaration (AHRD) des Verbands südostasiatischer Nationen (ASEAN). In der Banjul-Charta sowie in der AHRD wurde Art. 12 des UN-Sozialpaktes wortwörtlich übernommen.

Eine weitere die Unterzeichnerstaaten bindende völkerrechtliche Vorschrift sind die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) entwickelten Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV). Sie stellen das praktische Grundgerüst in der aktuellen Corona-Politik dar und verpflichten die Staaten zur Überwachung, Berichterstattung und zum Maßnahmenerlass, um grenzüberschreitende Ausbreitungen von Krankheiten einzudämmen.
 

Welche Rolle spielt das Recht im Kontext der Agenda 2030?

Die Resolution der UN-Generalversammlung vom 25.09.2015 umfasst 17 SDGs für die Agenda 2030. Für die Erreichung des 3. Ziels – der weltweiten Gesundheitsversorgung bis 2030 – bedarf es insbesondere in Niedriglohnländern weiterer 18 Millionen Arbeitskräfte im Bereich der Gesundheitsversorgung. Zudem zeigt der SDG-Bericht 2020, dass es in über 40 Prozent aller Länder nur weniger als 10 Ärzte pro 10.000 Einwohner gibt. In Deutschland sind es im Durchschnitt knapp fünfmal so viele.

Auch wenn die SDGs nicht zwanghaft durchsetzbar sind, beschleunigen die bestehenden völkerrechtlichen Abkommen, wie die AEMR und der UN-Sozialpakt, neben der internationalen Zusammenarbeit und Berichterstattung der Staaten, die Erfüllung der Ziele, indem sie kleineren Gruppen mehr Gehör verschaffen und mehr Druck auf autoritäre Staaten ausüben, die Menschenrechte nach wie vor unterdrücken. Die völkerrechtlich garantierten Menschenrechte sind somit essenziell zur Erreichung der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung.
 

Das Recht auf Gesundheit und die WHO

Nach Angaben der WHO lag die Zahl der Infizierten Ende September bei knapp 31 Millionen und die der an COVID-19 verstorbenen Menschen bei knapp einer Million. Verheerende Spätfolgen sind insbesondere für Kleinkinder und Neugeborene prognostiziert, da durch die Pandemie 70% der Immunisierungs-Programme für Kinder unterbrochen wurden, so der Bericht der SDGs 2020. Auch die mentale Gesundheit, die bereits vor Corona ein globales Gesundheitsproblem darstellte, wird durch die Corona-Maßnahmen, wie Kontaktbeschränkungen und -Verbote, für Millionen von Menschen zusätzlich belastet.

Während sich die negativen Meldungen häufen, gibt es auch globale Gesundheitserfolge zu verbuchen. In einer Rede Ende August erklärte der WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus den Wildtyp des Poliovirus auf dem gesamten afrikanischen Kontinent für ausgerottet. Zudem hat sich die Kindersterblichkeit der Unter-Fünfjährigen zwischen 2000 und 2015 von 7,6 % auf 4,3 % um 4 Millionen pro Jahr reduziert.

Die Antwort der WHO auf die Herausforderungen lautet: Universal Health Coverage (UHC). Durch diese medizinische Grundsicherung soll jeder Mensch eine Versorgung erhalten, wann und wo auch immer sie benötigt wird und ohne finanziellen Ruin zu erleiden. Alle UN-Mitgliedsstaaten haben sich dem Ziel der UHC verschrieben, als Teil der Nachhaltigkeitsziele bis 2030 eine globale und bezahlbare Gesundheitsversorgung für alle aufzubauen.

Doch während die SDGs bereits vor dem Ausbruch der Pandemie nicht erreicht zu werden drohten, gibt es auch die Hoffnung auf ein globales Umdenken, das den Stellenwert der Gesundheit maßgeblich höher ansetzt. Letztlich könnten unsere Gesundheitssysteme hiervon profitieren und wir der Realisierung des Rechts auf Gesundheit für alle Menschen doch noch näherkommen.


Alexander Müller

 

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