Care-Work: verborgene Arbeit, riesige Verantwortung
Im Laufe unseres Lebens nehmen wir alle Sorgearbeit (Care-Arbeit) in Anspruch, angefangen in der Kindheit, bei Krankheit oder im hohen Alter. Dennoch bleibt ein Großteil dieser Arbeit unsichtbar und unbezahlt, da sie häufig im häuslichen Umfeld stattfindet. Insbesondere Frauen und Mädchen übernehmen einen unverhältnismäßig großen Anteil dieser Arbeit: rund 2 Stunden und 30 Minuten mehr als Jungen und Männer verbringen sie täglich damit, sich um Familienangehörige, den Haushalt, aber auch das soziale Umfeld oder die Umwelt zu kümmern. Zeit, die ihnen wiederum fehlt, einer bezahlten Arbeit nachzugehen, in die eigene Aus- und Weiterbildung zu investieren oder sich zu erholen.
Um Geschlechtergerechtigkeit und damit das Ziel für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goal - SDG) 5 zu erreichen, ist ein Blick auf die Verteilung von Care-Arbeit unumgänglich!
Wer trägt die Verantwortung?
Wie viel Sorgearbeit in einem Haushalt anfällt, ist sowohl von dessen Wohlstand als auch von den öffentlichen Dienstleistungen abhängig. Angebote für Kinder-, Kranken- oder Altenpflege können Familienmitglieder entlasten. Zugleich kann öffentliche Infrastruktur die für Haushaltsaufgaben notwendige Zeit erheblich verringern. Ein verlässliches Transportsystem verkürzt Wege zur Arbeit oder zum Einkaufen, und die Versorgung mit fließendem Wasser vereinfacht Aufgaben wie Kochen oder Wäschewaschen.
Diejenigen, die es sich leisten können, geben ihre Care-Aufgaben zudem an Haushaltshilfen weiter. Diese sind meist migrantische Frauen, die damit Lücken in der Fürsorge für ihre eigenen Familien hinterlassen und wiederum Haushaltshilfen aus weniger wohlhabenden Ländern anheuern. Daraus entstehende Verflechtungen werden auch als Globale Care-Ketten bezeichnet. Die Herausforderungen in der Bewältigung von Sorgearbeit werden so nicht gelöst, sondern lediglich weitergegeben.
Ihr oft unsicherer Aufenthaltsstatus macht migrantische Haushaltshilfen besonders vulnerabel und ermöglicht ausbeuterische Arbeitsverhältnisse - rund 45,8 Prozent aller Hausangestellten weltweit haben keinen Anspruch auf einen nationalen Mindestlohn. Doch auch darüber hinaus ist die Arbeit in Kindergärten, Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen häufig von Prekarität, schlechter Bezahlung und problematischen Arbeitsbedingungen, geprägt.
Die Übernahme von Sorgearbeit, ob unbezahlt oder schlecht bezahlt in unsicheren Arbeitsverhältnissen, ist so mit einem höheren Armutsrisiko verbunden. Die gesellschaftliche Verteilung von Sorgearbeit befeuert verschiedene Formen von Ungleichheit.
Ein Fahrplan für gerechte Care-Arbeit
Um diesen Herausforderungen zu begegnen, braucht es ein gerechtes und nachhaltiges Care-System. Das von UN Women und der Internationalen Arbeitsorganisation (International Labour Organization – ILO) entwickelte „5R“-System“ bietet einen Orientierungsrahmen für die Transformation politischer Rahmenbedingungen, öffentlicher Dienstleistungen sowie sozialer Normen.
Die 5 R stehen dabei für: Recognise (Anerkennung), Reduce (Reduktion), Redistribute (Umverteilung), Remunerate (Vergütung) und Represent (Repräsentation).
Zunächst muss Sorgearbeit als das anerkannt werden, was sie ist: Arbeit, die spezielle Fähigkeiten erfordert und eine angemessene Ausbildung voraussetzt. Durch die Messung der für unbezahlte Care-Arbeit aufgewendeten Zeit, zum Beispiel mittels Zeitverwendungsstudien, kann sichergestellt werden, dass sie in politischen Entscheidungen berücksichtigt wird. Der Umfang der anfallenden Sorgearbeit kann durch die oben genannten sozial- oder familienpolitischen Maßnahmen sowie durch besseren Zugang zu grundlegender Infrastruktur reduziert werden. Doch Care-Arbeit bleibt ein essenzieller Bestandteil unseres Zusammenlebens. Sie sollte gerecht innerhalb von Familien und Gemeinschaften sowie zwischen staatlichen und privaten Trägern aufgeteilt sein.
Neben politischen Maßnahmen gilt es, die Veränderung sozialer Normen und Geschlechterrollen voranzutreiben, um Männer stärker in die Übernahme von Care-Arbeit einzubinden. Darüber hinaus sollte Sorgearbeit angemessen entlohnt werden, um ihre wirtschaftliche und soziale Bedeutung zu würdigen und die finanzielle Sicherheit derjenigen zu gewährleisten, die diese Arbeit leisten. Hierzu kann auch die Vertretung der Menschen, die Sorgearbeit leisten, in Entscheidungsprozessen beitragen. Durch die Förderung von Gewerkschaften und anderen Formen der Organisation können ihre Rechte und Interessen gewahrt und gestärkt werden.
Globale Verantwortung für die Transformation von Care-Systemen
Der internationale Gemeinschaft kommt eine Schlüsselrolle bei der Transformation von Care-Systemen zu. In einem Policy Paper skizzieren UN Women, die ILO, das UN-Entwicklungsprogramm (United Nations Development Programme – UNDP) und die Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (Economic Commission for Latin America and the Caribbean – ECLAC) die vielfältigen Möglichkeiten, wie die UN hierzu beitragen können. Die Schaffung eines normativen Rahmens kann Regierungen unterstützen, Menschen- und Arbeitsrechtsstandards für Sorgearbeitende in nationale Gesetze umzusetzen. Die ILO-Konvention 189 etwa stellt arbeitsrechtliche Standards für Hausangestellte auf, die unter anderem einen Mindestlohn, eine Sozialversicherung und den Zugang zu Unterstützung für pflegebedürftige Familienmitglieder fordern.
Die UN können darüber hinaus Regierungen und die breite Öffentlichkeit auf die Bedeutung von Pflegearbeit aufmerksam machen. So hat das Abschlussdokument der 68. Frauenrechtskommission (Commission on the Status of Women – CSW) erstmals die geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Übernahme von Care-Arbeit als Hindernis für Gleichstellung festgehalten und Investitionen in die Care-Ökonomie empfohlen. Nicht zuletzt können die Vereinten Nationen die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Akteuren fördern. Das Generation Equality Forum von UN Women hat die Global Alliance for Care hervorgebracht, die eine Plattform zum Austausch und gegenseitigem Lernen zwischen staatlichen Organisationen und weiteren Partnern bietet. Sie treten gemeinsam dafür ein, dass andere multilaterale Organisationen die Dringlichkeit, Antworten auf die ungleiche Verteilung von Care-Arbeit zu finden wahr- und ernstnehmen.
Care-Arbeit in einer sich wandelnden Welt
Angesichts des voranschreitenden demografischen Wandels, der ein Altern der Gesellschaft mit sich bringt, werden sich Care-Bedürfnisse wandeln. Schätzungen der ILO zufolge wird es bis 2030 zusätzliche 200 Millionen pflegebedürftige Kinder sowie Seniorinnen und Senioren geben. Gleichzeitig steigt die Zahl der erwerbstätigen Frauen, womit ihre verfügbare Zeit für Sorgearbeit zurückgeht.
Es ist also an der Zeit, entschlossen zu handeln. Die Covid-19-Pandemie hat uns schmerzlich vor Augen geführt, wie fragil unsere Sorgesysteme sind. Nun gilt es, die Weichen für eine Zukunft zu stellen, in der Sorgearbeit anerkannt und gerecht verteilt wird. So kommen wir nicht nur dem Ziel der Geschlechtergerechtigkeit näher, sondern stärken auch die sozialen und wirtschaftlichen Grundlagen unserer Gesellschaft.
Nora Teuma, Vorstandsmitglied von UN Women Deutschland