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Care-Work: ver­bor­ge­ne Ar­beit, rie­si­ge Ver­ant­wor­tung

Am 29. Oktober wird der Inter­natio­nale Tag der Betreu­ung und Unter­stützung (International Day of Care and Support) begangen – um die Bedeu­tung von Sorge­arbeit in den Fokus zu rücken. Nicht nur für Ge­schlechter­gerech­tig­keit ist ein anderer Um­gang mit Care-Arbeit dringend not­wendig.

Ein Mann hält ein Kind auf dem Arm.
Ein Freiwilliger kümmert sich in einem kongolesischen Betreuungszentrum um Kinder, die ihre Eltern durch Ebola verloren haben. (UN Photo/Martine Perret)

Im Laufe unseres Lebens nehmen wir alle Sorgearbeit (Care-Arbeit) in Anspruch, angefangen in der Kindheit, bei Krankheit oder im hohen Alter. Dennoch bleibt ein Großteil dieser Arbeit unsichtbar und unbezahlt, da sie häufig im häuslichen Umfeld stattfindet. Insbesondere Frauen und Mädchen übernehmen einen unverhältnismäßig großen Anteil dieser Arbeit: rund 2 Stunden und 30 Minuten mehr als Jungen und Männer verbringen sie täglich damit, sich um Familienan­gehörige, den Haushalt, aber auch das soziale Umfeld oder die Umwelt zu kümmern. Zeit, die ihnen wiederum fehlt, einer bezahlten Arbeit nachzugehen, in die eigene Aus- und Weiterbildung zu investieren oder sich zu erholen.

Um Geschlechter­gerechtigkeit und damit das Ziel für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goal - SDG) 5 zu erreichen, ist ein Blick auf die Verteilung von Care-Arbeit unumgänglich!

Wer trägt die Verant­wortung?

Wie viel Sorgearbeit in einem Haushalt anfällt, ist sowohl von dessen Wohlstand als auch von den öffentlichen Dienst­leistungen abhängig. Angebote für Kinder-, Kranken- oder Altenpflege können Familienmitglieder entlasten. Zugleich kann öffentliche Infra­struktur die für Haushalts­aufgaben notwendige Zeit erheblich verringern. Ein verlässliches Transport­system verkürzt Wege zur Arbeit oder zum Einkaufen, und die Versorgung mit fließendem Wasser vereinfacht Aufgaben wie Kochen oder Wäsche­waschen.

Diejenigen, die es sich leisten können, geben ihre Care-Aufgaben zudem an Haushalts­hilfen weiter. Diese sind meist migran­tische Frauen, die damit Lücken in der Fürsorge für ihre eigenen Familien hinterlassen und wiederum Haus­halts­hilfen aus weniger wohlhabenden Ländern anheuern. Daraus entstehende Verflech­tungen werden auch als Globale Care-Ketten bezeichnet. Die Herausfor­derungen in der Bewältigung von Sorgearbeit werden so nicht gelöst, sondern lediglich weitergegeben.

Ihr oft unsicherer Aufent­haltsstatus macht migrantische Haus­halts­hilfen besonders vulnerabel und ermöglicht ausbeu­terische Arbeits­verhältnisse - rund 45,8 Prozent aller Hausan­gestellten weltweit haben keinen Anspruch auf einen nationalen Mindest­lohn. Doch auch darüber hinaus ist die Arbeit in Kinder­gärten, Krankenhäusern und Pflegeein­richtungen häufig von Prekarität, schlechter Bezahlung und problematischen Arbeitsbe­dingungen, geprägt. 

Die Übernahme von Sorgearbeit, ob unbezahlt oder schlecht bezahlt in unsicheren Arbeitsver­hältnissen, ist so mit einem höheren Armutsrisiko verbunden. Die gesellschaftliche Verteilung von Sorgearbeit befeuert verschiedene Formen von Ungleichheit.

Ein Fahr­plan für gerechte Care-Arbeit

Um diesen Herausfor­derungen zu begegnen, braucht es ein gerechtes und nachhaltiges Care-System. Das von UN Women und der Internatio­nalen Arbeitsorga­nisation (International Labour Organization – ILO) entwickelte „5R“-System“ bietet einen Orientierungs­rahmen für die Transformation politischer Rahmenbe­dingungen, öffentlicher Dienstleis­tungen sowie sozialer Normen.

Die 5 R stehen dabei für: Recognise (Anerkennung), Reduce (Reduktion), Redistribute (Umverteilung), Remunerate (Vergütung) und Represent (Repräse­ntation).

Zunächst muss Sorgearbeit als das anerkannt werden, was sie ist: Arbeit, die spezielle Fähigkeiten erfordert und eine angemessene Ausbildung voraussetzt. Durch die Messung der für unbezahlte Care-Arbeit aufgewendeten Zeit, zum Beispiel mittels Zeitverwen­dungsstudien, kann sichergestellt werden, dass sie in politischen Entscheidungen be­rück­sichtigt wird. Der Umfang der anfallenden Sorgearbeit kann durch die oben genannten sozial- oder familien­politischen Maßnahmen sowie durch besseren Zugang zu grundlegender Infrastruktur reduziert werden. Doch Care-Arbeit bleibt ein essenzieller Bestandteil unseres Zusammen­lebens. Sie sollte gerecht innerhalb von Familien und Gemeinschaften sowie zwischen staatlichen und privaten Trägern aufgeteilt sein. 

Neben politischen Maßnahmen gilt es, die Veränderung sozialer Normen und Geschlechter­rollen voranzutreiben, um Männer stärker in die Übernahme von Care-Arbeit einzubinden. Darüber hinaus sollte Sorgearbeit angemessen entlohnt werden, um ihre wirtschaftliche und soziale Bedeutung zu würdigen und die finanzielle Sicherheit derjenigen zu gewährleisten, die diese Arbeit leisten. Hierzu kann auch die Vertretung der Menschen, die Sorgearbeit leisten, in Entscheidungs­prozessen beitragen. Durch die Förderung von Gewerkschaften und anderen Formen der Organisation können ihre Rechte und Interessen gewahrt und gestärkt werden.

Globale Verant­wortung für die Transfor­mation von Care-Systemen 

Der internationale Gemeinschaft kommt eine Schlüssel­rolle bei der Trans­formation von Care-Systemen zu. In einem Policy Paper skizzieren UN Women, die ILO, das UN-Ent­wicklungs­programm (United Nations Development Programme – UNDP) und die Wirt­schafts­kommission für Lateinamerika und die Karibik (Economic Commission for Latin America and the Caribbean – ECLAC) die vielfältigen Möglichkeiten, wie die UN hierzu beitragen können. Die Schaffung eines normativen Rahmens kann Regierungen unterstützen, Menschen- und Arbeitsrechts­standards für Sorge­arbeitende in nationale Gesetze umzusetzen. Die ILO-Konvention 189 etwa stellt arbeitsrechtliche Standards für Hausan­gestellte auf, die unter anderem einen Mindestlohn, eine Sozialver­sicherung und den Zugang zu Unterstützung für pflegebe­dürftige Familien­mitglieder fordern. 

Die UN können darüber hinaus Regierungen und die breite Öffentlichkeit auf die Bedeutung von Pflegearbeit aufmerksam machen. So hat das Abschluss­dokument der 68. Frauenrechts­kommission (Commission on the Status of Women – CSW) erstmals die geschlechts­spezifischen Unterschiede in der Übernahme von Care-Arbeit als Hindernis für Gleichstellung festgehalten und Investitionen in die Care-Ökonomie empfohlen. Nicht zuletzt können die Vereinten Nationen die Zusammen­arbeit zwischen verschiedenen Akteuren fördern. Das Generation Equality Forum von UN Women hat die Global Alliance for Care hervorgebracht, die eine Plattform zum Austausch und gegenseitigem Lernen zwischen staatlichen Organisationen und weiteren Partnern bietet. Sie treten gemeinsam dafür ein, dass andere multilaterale Organisationen die Dringlichkeit, Antworten auf die ungleiche Verteilung von Care-Arbeit zu finden wahr- und ernstnehmen.

Care-Arbeit in einer sich wandel­nden Welt

Angesichts des voran­schreitenden demografischen Wandels, der ein Altern der Gesellschaft mit sich bringt, werden sich Care-Bedürfnisse wandeln. Schätzungen der ILO zufolge wird es bis 2030 zusätzliche 200 Millionen pflegebe­dürftige Kinder sowie Seniorinnen und Senioren geben. Gleichzeitig steigt die Zahl der erwerbstätigen Frauen, womit ihre verfügbare Zeit für Sorgearbeit zurückgeht. 

Es ist also an der Zeit, entschlossen zu handeln. Die Covid-19-Pandemie hat uns schmerzlich vor Augen geführt, wie fragil unsere Sorge­systeme sind. Nun gilt es, die Weichen für eine Zukunft zu stellen, in der Sorgearbeit anerkannt und gerecht verteilt wird. So kommen wir nicht nur dem Ziel der Geschlechterge­rechtigkeit näher, sondern stärken auch die sozialen und wirtschaft­lichen Grundlagen unserer Gesellschaft.

Nora Teuma, Vorstandsmitglied von UN Women Deutschland

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