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Das Recht auf Leben

Das Recht auf Leben wird in Artikel 6 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (Zivil­pakt) der Vereinten Nationen geschützt. Darin heißt es: „Jeder Mensch hat ein ange­borenes Recht auf Leben. Dieses Recht ist gesetz­lich zu schützen. Niemand darf will­kürlich seines Lebens beraubt werden.“

Im Vordergrund schaut ein kleines Mädchen in die Kamera. Im Hintergrund sitzt eine ältere Frau, die ein gerahmtes Männerporträt in den Händen hält.
Menschen in Libyen trauern um Angehörige, die bei einem Massaker unter Machthaber Muammar al-Gaddafi ums Leben kamen (UN Photo/Iason Athanasiadis).

Es gibt keine legitimen Ein­schränkungen für das fundamentale Menschen­recht auf Leben. Nur unter ganz bestimmten Aus­nahmen ist es möglich, dieses Recht aufzu­heben. Dies bezieht sich zum einen auf die Todes­strafe in Ländern, die diese noch nicht abge­schafft haben, unter Berück­sichtigung fest­gelegter Kriterien (mehr dazu unten im Abschnitt ‘Abschaffung der Todes­strafe‘). Ebenso betrifft dies die Tötung von Personen durch staat­liche Sicher­heits­kräfte, wenn dies in einer Not­wehr­situation oder während einer legitimen und verhältnis­mäßigen Polizei­aktion zum Schutz von weiteren Personen nicht zu vermeiden ist, oder die Tötung im Kontext von bewaffneten Konflikten durch staatliche Organe, wenn dabei das humanitäre Völker­recht geachtet wird.

Trotz des absoluten Geltungs­anspruchs des Rechts auf Leben werden Menschen welt­weit Opfer von will­kürlichen, außer­gericht­lichen oder summarischen Hin­richtungen. Beispiele hierfür sind unter anderem der unver­hältnis­mäßige Einsatz von Polizei­gewalt durch die Anwendung scharfer Munition zur Unter­drückung fried­licher Demonstrationen oder die Nicht­ein­haltung der Prinzipien fairer Gerichts­verfahren bei der Ver­hängung der Todes­strafe. Auch die Vernach­lässigung der Schutz­pflicht für Menschen in staat­licher Obhut vor Angriffen durch nicht-staatliche Dritte, z.B. durch mangelnde Schutz­vorkehrungen in Gefäng­nissen, ist hier zu nennen.

Daneben existieren einige kontro­verse Fragen, die das Recht auf Leben betreffen. So ist es zum Beispiel hoch um­stritten, ob und wenn ja, und ab welchem Monat das Recht auf Leben für Embryonen gilt. Auch die Frage, ob Staaten Personen, die sich in ihrer Obhut befinden (Gefängnisse, psychiatrische Anstalten etc.) und die die Nahrungs­aufnahme verweigern, mittels Zwangs­ernährung am Leben halten dürfen oder sogar müssen, ist in diesem Zusammen­hang strittig. Des Weiteren wirft die Debatte um die Mög­lichkeiten und die Legalität von aktiver Sterbe­hilfe kritische Fragen im Hinblick auf das Recht auf Leben auf. Gleiches gilt für gezielte Tötungen durch Kampf­drohnen ohne Gerichts­urteile, wie sie von den USA durch­geführt werden.

Um das Recht auf Leben zu schützen, existieren neben den inter­national bindenden Verträgen weitere Instrumente. So hat der Wirt­schafts- und Sozial­ausschuss der Vereinten Nationen am 24. Mai 1989 in der Resolution 1989/65 die Grund­sätze für die wirksame Verhütung und Unter­suchung von außer­gesetzlichen, will­kürlichen und summarischen Hin­richtungen eingebracht, die von der General­versammlung am 15. Dezember 1989 als Resolution 44/162 ange­nommen wurden. Grund­satz 1 legt fest: „Regierungen sollen alle außer­gesetzlichen, will­kürlichen und summarischen Hin­richtungen verbieten und sicher­stellen, dass derartige Hin­richtungen auf der Grund­lage ihrer Gesetz­gebung als Straf­tat gelten und durch angemessene Strafen (…) geahndet werden. (...) Derartige Hin­richtungen dürfen unter keinen Umständen durch­geführt werden (...) dieses Verbot ist gegen­über einem von einer Regierung erlassenen Dekret als höher­rangig anzusehen.“ Grund­satz 4 schützt darüber hinaus „alle Einzel­personen und Gruppen, die in Gefahr sind, Opfer außer­gesetzlicher, will­kürlicher oder summarischer Hin­richtungen zu werden, unter ihnen alle, die Mord­drohungen erhalten haben (…).“ Sie müssen durch „gerichtliche oder andere Mittel effektiv geschützt werden.“

Um die weltweite Implementierung und Umsetzung des Rechts auf Leben zu dokumentieren, haben die Vereinten Nationen zudem das Mandat des Sonder­bericht­erstatters für außer­gerichtliche, summarische oder will­kürliche Hin­richtungen geschaffen. Er versucht auch, Antworten auf die genannten strittigen Fragen zu finden und Lösungs­vorschläge im Sinne menschen­rechtlicher Standards zu erarbeiten.

Das Recht auf Leben und die Todes­strafe

Tischschild des "Secretary-General", im Vordergrund eine Broschüre mit dem Titel "End Execution".
High Level Event 2016 unter dem Titel "Die Todestrafe und ihre Opfer" (UN Photo/Manuel Elias)

Das Recht auf Leben beinhaltet keinen unmittel­baren Schutz vor der Todes­strafe. Trotzdem wird ihre Ab­schaffung auf inter­nationaler Ebene angestrebt. So hat die UN-General­versammlung seit 2007 bereits vier Resolutionen zur Abschaf­fung der Todes­strafe verabschiedet, in denen sie die Staaten, in denen sie noch existiert, zur Aussetzung der Voll­streckung von Todes­urteilen auffordert (Resolutionen A/RES/62/149, A/RES/63/168, A/RES/65/206, A/RES/67/176).

Völker­rechtlich verbindlich wird die Abschaf­fung durch das zweite Fakultativ­protokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (Zivilpakt) geregelt. Staaten, die die Todes­strafe noch nicht abgeschafft haben, müssen sich jedoch an feste Kriterien halten, um die Todes­strafe verhängen und voll­strecken zu dürfen. Diese Kriterien sind verbindlich in Art. 6 des Zivilpakts verankert. Todes­urteile dürfen demnach nur „für schwerste Verbrechen auf Grund von Gesetzen verhängt werden, die zur Zeit der Begehung der Tat in Kraft waren und die den Bestimmungen dieses Paktes und der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völker­mordes nicht wider­sprechen. Diese Strafe darf nur auf Grund eines von einem zuständigen Gericht erlassenen rechts­kräftigen Urteils voll­streckt werden.“

Ferner darf jede zum Tode verurteilte Person um Begnadigung oder Umwandlung der Strafe bitten. Die Todes­strafe darf außerdem niemals für Jugendliche und Kinder unter 18 Jahren verhängt und an schwangeren Frauen und Menschen mit einer geistigen Behinderung oder schweren psychischen Krank­heit vollstreckt werden. Art. 6 des Zivilpakets nimmt damit auf die Todes­strafe in einer Weise Bezug, die eindeutig zu verstehen gibt, dass ihre Abschaf­fung wünschens­wert ist. Dies wurde auch in der Präambel des zweiten Fakultativ­protokolls des Zivilpaktes klar gestellt.

Abschaffung der Todes­strafe

Mit der Ratifizierung des zweiten Fakultativ­protokolls zum Zivilpakt zur Abschaffung der Todes­strafe verpflichten sich die Vertrags­staaten, niemanden in ihrem Hoheits­gebiet zum Tode zu verurteilen, hinzu­richten und alle erforderlichen Maß­nahmen durchzu­führen, um die Todes­strafe abzuschaffen. Das zweite Fakultativ­protokoll wurde bisher von 90 Staaten (Stand: Februar 2023) – und damit von weniger als der Hälfte der UN-Mitglied­staaten – ratifiziert. Die Todes­strafe wird jedoch von weit weniger Staaten verhängt, als dies nahe legen würde.

Die internationale Menschen­rechts­organisation Amnesty International, die sich seit über 30 Jahren für die welt­weite Abschaffung der Todes­strafe einsetzt, spricht von einem unum­kehrbaren Trend zur Abschaffung. Innerhalb der Euro­päischen Union ist die Todes­strafe bereits voll­ständig abgeschafft und alle Mitglied­staaten haben das zweite Fakultativ­protokoll ratifiziert. Auf dem europäischen Kontinent existiert lediglich ein Land, das die Todes­strafe noch voll­streckt: Belarus. Weltweit haben laut Amnesty International 112 Staaten die Todes­strafe voll­ständig abgeschafft (Stand: Mai 2023). Neun Staaten sehen sie nur noch für außer­gewöhnliche Straf­taten wie etwa Kriegs­verbrechen oder Vergehen nach Militär­recht vor. 23 weitere Staaten haben die Todes­strafe in der Praxis, nicht aber im Gesetz abgeschafft. Somit wenden insgesamt 144 Staaten die Todes­strafe nicht mehr an (Stand: Mai 2023). 

Besorgnis­erregend bleibt trotz dieses Erfolgs, dass in der Mehr­zahl der Staaten, die Menschen zum Tode verurteilen oder hinrichten, die Todes­strafe nach Prozessen verhängt wird, die nicht den inter­nationalen Rechts­standards für ein faires Gerichts­verfahren entsprechen. So kamen Todes­urteile laut Amnesty International häufig unter Heran­ziehung von ‘Geständnissen’ zustande, die vermutlich unter Folter oder Misshandlung erlangt wurden.

Weiter kritisiert die Menschen­rechts­organisation, dass in vielen Staaten Menschen für Taten zum Tode verurteilt werden, die nicht mit den Kriterien in Art. 6 des Zivilpakts vereinbar sind, da sie nicht zu den ‘schwersten Verbrechen’ zählen. In 20 Staaten wurde im Jahr 2022 laut Amnesty International die Todes­strafe angewandt. Straf­tat­bestände, die mit der Todes­strafe geahndet wurden, waren z.B. Drogen­delikte (China, Iran, Saudi-Arabien, Singapur), Gottes­lästerung oder Abtrünnigkeit (Iran, Libyen), Wirtschafts­verbrechen (China, Vietnam), Vergewaltigung (Ägypten, Bangladesch, Indien, Iran, Pakistan, Saudi-­Arabien), Entführungen (Iran, Saudi-Arabien) und ‘Verbrechen gegen den Staat’ (Iran, Nordkorea, Saudi-Arabien). 

Im Jahr 2022 entfielen 93 Prozent der welt­weit bestätigten Hinrichtungen auf die Regionen Naher Osten und Nord­afrika. Die Länder mit den höchsten bestätigten Hinrichtungs­zahlen sind Iran (min. 576), Saudi-Arabien (196), Ägypten (24) und die USA (18). Die meisten Hin­richtungen werden jedoch in der Volks­republik China vermutet: So wird angenommen, dass dort jährlich mehrere Tausend Menschen exekutiert werden. Genaue Zahlen sind jedoch nicht zu ermitteln, da Angaben zur Todes­strafe in China als Staats­geheimnis behandelt werden. Gleiches gilt für Vietnam und Nordkorea, bei denen Amnesty International davon ausgeht, dass die Todesstrafe ebenfalls in großem Umfang angewandt wird.