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Wohnen ist ein Menschenrecht

Steigende Mieten, explodierende Lebenshaltungskosten und Inflation: viele Menschen können sich keine Wohnung mehr leisten, einige werden obdachlos. Welchen Stellenwert hat das Thema Wohnungsnot für die Vereinten Nationen?

Mehrere aus Planen und Latten gebaute Hütten vor einem Wohnblock.
Eine provisorische Unterkunft in der Lower East Side von New York City, anlässlich des internationalen Jahres der Obdachlosenhilfe 1987. Foto: UN Photo/D. Otfinowski

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Im Februar 2020 verabschiedeten die Vereinten Nationen auf der 58. Sitzung der Kommission für soziale Entwicklung (CSocD) erstmals eine Resolution zum Thema Obdachlosigkeit. Seitdem hat eine globale Pandemie die Welt in Atem gehalten. Gleichzeitig sind die Lebenshaltungskosten enorm gestiegen und die Auswirkungen der Klimakrise haben sich verschärft. Die zunehmend unbeständigen Wetterbedingungen betreffen Obdachlosen stärker als andere Menschen, da die Temperaturen im Sommer rapide steigen und die Winter vielerorts kälter werden. Ein guter Zeitpunkt also, um diese Resolution erneut unter die Lupe zu nehmen.

Was ist Obdachlosigkeit?

Derzeit mangelt es sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene an verlässlichen Daten zum Thema Obdachlosigkeit. In ihrem Bericht „Erschwinglicher Wohnraum und soziale Sicherungssysteme für alle zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit 2020“ unterstreicht die CSocD die Bedeutung von Definitionen als Ausgangspunkt für die Erhebung von Daten.

Auf europäischer Ebene hat die European Federation of National Organizations Working with the Homeless, ein Zusammenschluss von Organisationen, die mit Wohnungslosen arbeiten, eine Typologie der Obdachlosigkeit mit dem Namen ETHOS entwickelt. Diese Typologie unterteilt Obdachlosigkeit in sechs Kategorien: (1) Menschen, die auf der Straße oder im öffentlichen Raum leben; (2) Menschen, die in Notunterkünften untergebracht sind, etwa in Notschlafstellen; (3) Menschen, die in Obdachlosenunterkünften leben, zum Beispiel in Obdachlosenheimen, vorübergehenden Unterkünften oder Frauenhäusern; (4) Menschen, die in psychiatrischen Einrichtungen oder Strafvollzugsanstalten leben und keine Unterkunft haben, in die sie entlassen werden können; (5) Menschen, die aufgrund von Wohnungsmangel in unkonventionellen Unterkünften leben, beispielsweise in Wohnmobilen oder provisorischen Bauten; (6) Menschen, die vorübergehend bei Familienmitgliedern oder Freunden leben. Eine solche differenzierte und kontextbezogene Definition von Obdachlosigkeit fehlt bislang auf internationaler Ebene.

In Deutschland wurde im Jahr 2020 ein Gesetz erlassen, das zur Erhebung von Daten über Obdachlosigkeit verpflichtet. So soll die Informationslücke in dieser Hinsicht geschlossen und wichtige Daten auf nationaler, regionaler und kommunaler Ebene zur Bekämpfung des Problems bereitgestellt werden.

Der „Housing First“-Ansatz

Um andere strukturelle oder soziale Probleme überhaupt angehen zu können, benötigen Menschen eine sichere Bleibe. Auf diesem Grundgedanken basiert das sogenannte „Housing First“-Modell. Die USA, Kanada, Finnland, Uruguay und Brasilien haben bereits basierend auf diesem Ansatz politische Maßnahmen in die Wege geleitet. In Finnland konnte so die Zahl der Obdachlosen deutlich reduziert werden: Im Jahr 2018 wurden noch 5.482 Menschen ohne feste Bleibe gezählt, Ende 2021 waren es nur noch 3.950. Als die finnische Regierung in den 1980er-Jahren begann, die Beseitigung der Obdachlosigkeit zu einer Priorität zu machen, belief sich diese Zahl noch auf über 20.000 Menschen.

Gemäß Artikel 25 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte hat jeder Mensch ein Recht auf eine Wohnung. Das „Housing First“-Prinzip baut auf diesem Verständnis auf: Die Versorgung mit einer angemessenen Wohnung muss der erste Schritt sein, um individuelle soziale oder gesundheitliche Probleme – wie beispielsweise den Verlust des Arbeitsplatzes oder Suchtthematiken – angehen zu können. Eine angemessene Unterkunft bietet einen sicheren und geschützten Raum, in dem eine Person mögliche andere Probleme lösen kann. Erst im zweiten Schritt werden einer Person weitere soziale, medizinische oder gemeindeorientierte Dienstleistungen angeboten. Doch das Wohnungsangebot wird nicht unter der Bedingung gestellt, dass der oder die Betroffene diese Dienste in Anspruch nimmt. Für Eveliina Heinäluoma, Mitglied des finnischen Parlaments, ist das „Housing First“-Modell auch aus wirtschaftlicher Sicht sinnvoll, da „Obdachlosigkeit teurer ist als die Sicherung von bezahlbarem Wohnraum“.

Kein Zugang zu angemessenem Wohnraum

Im CSocD-Bericht über Obdachlosigkeit werden die Ursachen von Obdachlosigkeit in zwei Kategorien unterteilt: (1) strukturelle soziale und wirtschaftliche Bedingungen und (2) persönliche oder familiäre Dynamiken. Der fehlende Zugang zu erschwinglichem Wohnraum ist weltweit ein großes Problem. „Unerschwinglich“ bedeutet in diesem Kontext, dass die Wohnkosten 30 Prozent des Haushaltseinkommens übersteigen. Da der Wohnungsbestand in vielen Ländern immer mehr privatisiert wurde, sind öffentliche Einrichtungen nicht in der Lage, die Kosten wirksam zu regulieren. So sind die Wohnkosten in den letzten 20 Jahren dreimal schneller gestiegen sind als das Durchschnittseinkommen in den OECD-Ländern im gleichen Zeitraum. Für einen Großteil der Weltbevölkerung ist Wohnen somit zunehmend unerschwinglich geworden.

Die aktuelle Klimakrise macht weitere Defizite deutlich: Wenn es etwa darum geht, wie gut Wohnraum auf die Belastungen durch Überschwemmungen und extreme Hitze ausgerichtet ist. Vielerorts sind Häuser und Wohnungen mangelhaft gebaut, werden nicht ausreichend instand gehalten und sind keineswegs gewappnet für die Herausforderungen zunehmend extremerer Wetterverhältnisse.

Laut dem Programm der Vereinten Nationen für menschliche Siedlungen (UN-Habitat) müssten täglich 96.000 neue erschwingliche Wohnungen gebaut werden, um die geschätzten 3 Milliarden Menschen zu beherbergen, die bis 2030 Zugang zu angemessenem Wohnraum benötigen. Demnach ist noch viel zu tun, um Obdachlosigkeit und die Wohnungskrise weltweit zu bekämpfen.

Von Teri Shardlow