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Warum Niger im Kampf gegen multiple Krisen auf Bildung setzt

Nicht nur der Klimawandel, sondern auch die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine spitzen die Nahrungsmittelkrise in Niger zu. Und doch hat die Regierung hochgesteckte Ziele, um für mehr Nigrerinnen und Nigrer das Recht auf Bildung zu verwirklichen. Ein wichtiger Baustein: Schulspeisungen.

Sechs junge Schülerinnen sitzen um eine Schüssel mit Reis, Gemüse und Bohnen, die sie sich teilen.
Sechs Schülerinnen teilen sich als Mittagessen eine Schüssel mit Reis, Gemüseeintopf und Bohnen. (Foto: WFP/Evelyn Fey)

Auf dem sandigen Boden sind etliche Metallschüsseln aufgereiht, die mit Hirsebrei und einer Soße aus Blattgemüse gefüllt sind. In Rafa, einem Ort im Süden des westafrikanischen Sahelstaats Niger, steht die Sonne bereits hoch am Himmel, es ist heiß. Trotzdem warten die Schülerinnen und Schüler der hiesigen Schule diszipliniert, bis sie an der Reihe sind. Dann erst holen sie sich eine Schüssel mit ihrem Mittagessen, setzen sich in Gruppen möglichst im Schatten auf den Boden und fangen an zu essen. Dass sie hungrig oder ungeduldig sind, ist ihnen vorher nicht anzumerken. Dabei dürfte die Mahlzeit für die meisten die erste des Tages sein, für viele ist es die einzige.

Niger belegt in der aktuellen Erhebung des Human Development Index (HDI) den drittletzten Platz. Rund 40 Prozent der etwa 25 Millionen Nigrerinnen und Nigrer leben in extremer Armut. Die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine, beispielsweise der Preisanstieg bei Nahrungsmitteln, Düngemitteln und Ölprodukten, verschärfen die Nahrungsmittelkrise in der Region noch mehr. Hilfsorganisationen befürchten, dass in Niger fast drei Millionen Menschen innerhalb der kommenden sechs Monate hungern werden. Das wären 10 Prozent der Bevölkerung.

Schulspeisung als Baustein für Gendergerechtigkeit und Gesundheit

Das Welternährungsprogramm (World Food Programme, WFP) versucht mit anderen UN-Programmen, Sonderorganisationen und privaten Partnern, das Schlimmste zu verhindern. Dass Schulspeisungen wie die in Rafa vom WFP unterstützt werden, ist ein wichtiger Baustein. „Wir versuchen, über eine verbesserte Ernährung auch die Schulbildung zu fördern und dadurch wiederum die ländliche Entwicklung zu stärken“, erklärt Mawa Soro, die das WFP-Büro in der Region Maradi leitet. „Bis hin zum Gesundheitszustand der Menschen hängt alles miteinander zusammen.“

Um zu verhindern, dass Kinder – meist vor allem die Mädchen – die Schule abbrechen, um frühzeitig Arbeit zu suchen, unterstützt das WFP die nigrische Regierung in ihrem Ziel, den Schülerinnen und Schülern wenigstens einmal täglich eine möglichst nährstoffreiche Mahlzeit anzubieten. Denn viele Eltern schaffen das nicht aus eigener Kraft.

Trotz schlechter Sicherheitslage: Fokus auf Bildung

Das liegt neben dem sehr hohen Bevölkerungswachstum von um die 3,9 Prozent und dem Wechsel von Dürreperioden und Überschwemmungen infolge der Klimakrise an der desaströsen Sicherheitslage, die sich ständig weiter verschlechtert. In Niger sind mehrere islamistische Gruppen aktiv, vor allem im Dreiländereck mit Mali und Burkina Faso, aber auch im Südosten in der Region des Tschadsees. Rund 300 000 Flüchtlinge aus den Nachbarländern und fast 380 000 Binnenvertriebe sind innerhalb der Landesgrenzen auf der Suche nach einer sicheren Bleibe.

Dennoch legt Präsident Mohamed Bazoum, der seit April 2021 im Amt ist, einen Schwerpunkt auf Bildung. 20 Prozent des aktuellen Staatshaushalts sind laut Bildungsminister Ibrahim Natatou für sein Ressort vorgesehen - fast eine Verdoppelung im Vergleich zum Vorjahr. Doch dieses Ziel ist nicht leicht zu erreichen. Anfang November waren nach Angaben Natatous mehr als 800 Schulen geschlossen, weil sie aufgrund des Terrors nicht mehr zugänglich waren. Für 72 000 Schülerinnen und Schüler fällt damit der Unterricht aus, Tendenz steigend.

Infrastruktur als wichtiger Pfeiler

Die Regierung versuche alles, um den Trend zu brechen, versichert Natatou. Er kommt aus der Praxis: Bevor er im Mai 2022 sein Ressort übernahm, lehrte er Chemie an einer Universität in Niamey. Weitere Hürden für Natatous Ziele sind fehlende Infrastruktur und Ressourcen. Zwei Drittel der Nigrerinnen und Nigrer können weder lesen noch schreiben, rund vier Millionen Jungen und Mädchen gehen nicht in die Schule, obwohl sie im entsprechenden Alter wären. Die nigrische Bevölkerung ist jung, sie verdoppelt sich alle 18 Jahre - selbst ein reiches Land könnte sich den dafür permanent benötigten Ausbau des Schulsystems kaum leisten.

Trotzdem wolle die Regierung in der Amtszeit bis 2026 viel erreichen, sagt Natatou und zählt auf: Für Kinder aus Konfliktgebieten sollen 76 neue Schulzentren entstehen. 36 000 Klassenräume aus Strohmatten sollen in permanente Strukturen verwandelt werden, die auch Starkregenfälle überstehen.

Und um die Bildung vor allem der Mädchen zu fördern, will die Regierung 100 Mädcheninternate bauen. Präsident Bazoum und Minister Natatou sehen in Bildungsförderung von Mädchen den wichtigsten Weg, um die hohe Geburtenrate zu senken. Natatou verweist darauf, was schon geschehen sei: Sieben Mädcheninternate stehen kurz vor der Einweihung, in zwei neuen Internaten konnte der Schulbetrieb kürzlich bereits aufgenommen werden. Auch sie werden vom WFP mit Schulspeisungen unterstützt.

Von Bettina Rühl

Hinweis: Dieser Beitrag entstand im Rahmen der DGVN-Recherchereise „Humanitäre Hilfe in Niger“. Um einen Beitrag zu einem differenzierteren Bild über die weltweiten Aufgaben und Herausforderungen der Vereinten Nationen zu leisten, bot die Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen (DGVN) im November 2022 eine einwöchige Informations- und Recherchereise für an. Dafür reiste eine Gruppe von Journalistinnen und Journalisten vom 6.-12. November 2022 nach Niger in die Tillabéri-Region mit der Hauptstadt Niamey und dem Ort Simiri.

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