Unglaubwürdig und voreingenommen? Die USA prüfen den Austritt aus dem UN-Menschenrechtsrat
Seit dem Debüt der neuen UN-Botschafterin der Vereinigten Staaten von Amerika, Nikki Haley, auf internationalem Parkett verdichten sich die Zeichen, dass die USA dem Menschenrechtsrat den Rücken kehren könnten. „Damit der Menschenrechtsrat glaubwürdig oder gar erfolgreich ist, muss er von seinen einseitigen und unproduktiven Positionen abrücken. Wir denken jetzt über unser weiteres Engagement im Rat nach“ ließ die US-Diplomatin Erin Barclay in der 34. Sitzung im Menschenrechtsrat (Februar/März 2017) verlauten. Die Mitgliedschaft stehe auf dem Prüfstand, legte dann auch Haley in ihrer ersten Rede vor dem Gremium in der 35. Sitzung nach, die gerade abgelaufen ist. Zuvor hatte sie den Menschenrechtsrat als „ korrupt“ bezeichnet. Traurigerweise würden wie zuvor in der Menschenrechtskommission nun auch im Menschenrechtsrat mehr als die Hälfte der Mitglieder zentrale Menschenrechtsstandards nicht erfüllen. Der gegenwärtige Zustand sei „nicht akzeptabel.“
Neben der Zusammensetzung des Menschenrechtsrats kritisiert die aktuelle US-Regierung vor allem die aus ihrer Sicht unverhältnismäßig häufige Befassung mit Israel oder, wie Haley es formulierte, die „chronische Anti-Israel-Ausrichtung“ des Menschenrechtsrats, die ihn „völlig unglaubwürdig“ mache. Diese beiden Defizite zu ändern, seien die minimalen Voraussetzungen, um den Menschenrechtsrat in den Augen der US-Regierung als „respektablen Verteidiger der Menschenrechte wiederzubeleben“.
Tagesordnungspunkt 7 und die Zusammensetzung des Rates in der Kritik
Die geäußerte Kritik hat durchaus ihre Berechtigung. Ihre Kontextualisierung verdeutlicht jedoch die verkürzte Sichtweise der US-Regierung. Der Menschenrechtsrat beschäftigt sich tatsächlich überproportional häufig mit der Situation in Israel bzw. mit der Situation in den Besetzten Palästinensischen Gebieten. Dies ist unter anderem auf den Tagesordnungspunkt 7 (Item 7: Human rights situation in Palestine and other occupied Arab territories) zurückzuführen. Er stellt den einzigen ständigen Tagesordnungspunkt dar, der sich mit einer spezifischen Ländersituation beschäftigt. Betrachtet man jedoch die Arbeit des Menschenrechtsrats genauer, wird deutlich, wie unverhältnismäßig es ist, ihm deshalb seine Legitimität abzusprechen. Denn die Arbeit des Menschenrechtsrats umfasst sehr viel mehr.
Im Rahmen seines Allgemeinen Periodischen Überprüfungsverfahrens (Universal Periodic Review, UPR) hat der Menschenrechtsrat bereits zwei Mal alle Mitgliedstaaten der UN auf ihre Menschenrechtspraxis hin überprüft und wichtige Verbesserungen erzielt. Ferner wurden über 1400 thematische oder länderspezifische Resolutionen verabschiedet, die sich 120 Themen widmen und über 30 Ländersituationen ins Visier nehmen. Seit seiner Entstehung im Jahr 2006 hat er 26 Krisensitzungen einberufen, um akute Menschenrechtskrisen zu thematisieren. Er setzte 23 Untersuchungskommissionen (Commission of Inquiry, CoI) ein, um gravierende Menschenrechtsverletzungen, Kriegsverbrechen sowie Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu untersuchen und sammelte Beweise, um diese in formelle juristische Verfahren zu überführen. Zudem verfügt er über die sogenannten Sondermechanismen – 80 unabhängige Expert*innen, die in 57 Mandaten allein im Jahr 2016 96 Länder untersucht haben.
Statt also die Legitimität des Menschenrechtsrates und damit all diese Arbeit in Frage zu stellen und mit einem Austritt zu drohen, könnten die USA sich alternativ weiter für die Abschaffung von Tagesordnungspunkt 7 einsetzen. Menschenrechtsverletzungen durch Israel in den Besetzten Palästinensischen Gebieten könnten dann – wie bei jedem anderen Land – im Rahmen anderer Tagesordnungspunkte eingebracht werden.
Die zweite wesentliche Kritik der USA am Menschenrechtsrat, seine Zusammensetzung, ist ebenfalls nicht von der Hand zu weisen. In der Tat sind im Menschenrechtsrat auch Staaten mit erschreckender Menschenrechtsbilanz vertreten. Dies schadet der Glaubwürdigkeit des Gremiums immens. Dass es schwierig sein dürfte, unter den 193 Mitgliedern der Vereinten Nationen kontinuierlich eine wechselnde Besetzung von 47 Staaten zu finden, die keine Menschenrechtsverletzungen begangen haben, tröstet wenig – wobei sich die USA an diesem Punkt auch selbst kritisch hinterfragen müssten.
Dabei wollte die UN-Generalversammlung – um die Erfahrungen des Scheiterns der Menschenrechtskommission reicher – es bei der Gründung des Menschenrechtsrats eigentlich besser machen. So formulierte sie den Anspruch an seine zukünftigen Mitglieder, die höchsten Menschenrechtsstandards zu gewährleisten. Als entscheidende Neuerung führten sie zudem die Möglichkeit ein, Mitglieder – eine zweidrittel Mehrheit in der UN-Generalversammlung vorausgesetzt – bei gravierenden Menschenrechtsverstößen auszuschließen. Im Falle Libyens machte die UN-Generalversammlung am 1. März 2011 auch tatsächlich zum ersten Mal von dieser Möglichkeit Gebrauch.
Das Wahlverfahren der Mitglieder
Dass dennoch immer wieder Staaten im Menschenrechtsrat vertreten sind, die Menschenrechte verletzen, hängt auch mit dem Wahlverfahren zusammen, das die USA ebenso kritisieren. Der Menschenrechtsrat setzt sich aus 47 Staaten zusammen. Um den Bevölkerungszahlen der Regionen der Welt stärker Rechnung zu tragen, stellen die fünf Regionalgruppen entsprechend ihrer Größe unterschiedlich viele Mitglieder. Jedes Jahr nominieren die Regionalgruppen Kandidaten für die in ihren Regionen frei werdenden Sitze. Diese geben freiwillige Zusicherungen darüber ab, wie sie die Gewährleistung der Menschenrechtsstandards verbessern möchten. Gewählt wird in der UN-Generalversammlung. Das Problem an diesem Verfahren ist, dass die Regionalgruppen vermehrt dazu übergegangen sind, nur so viele Kandidaten aufzustellen, wie es Plätze zu besetzen gilt. Dies führt dazu, dass Staaten, die die Menschenrechte teilweise gravierend verletzen, in den Menschenrechtsrat gewählt werden – aus dem einfachen Grund, weil es keinen Gegenkandidaten gibt. Eine konstruktive Debatte darüber wie dies verändert werden kann, wäre sinnvoll, die Unterminierung des Menschenrechtsrats durch einen Austritt der USA wäre es nicht. Ein erster Schritt, hier eine Verbesserung zu erwirken, wäre es, auf mehr Kandidaturen insgesamt vor allem von Staaten mit besserer Menschenrechtsbilanz zu drängen.
Die USA könnten dabei die Führung übernehmen und in ihrer Gruppe mit gutem Beispiel vorangehen. Denn auch die Gruppe der westeuropäischen und anderen Staaten, der die USA angehören, hat in den vergangenen Wahlen nicht mehr Kandidaten aufgestellt als nötig. Auch die USA sind somit ohne Gegenkandidaten in den Menschenrechtsrat gewählt worden.
Trotz aller Probleme – der Menschenrechtsrat ist nicht die Summe seiner Mängel
Der Menschenrechtsrat ist mit Sicherheit nicht perfekt, aber sein Wert ist definitiv höher als die USA durch die Reduzierung auf dessen Mängel glauben machen wollen. Seit dem ersten Beitritt der Vereinigten Staaten unter Präsident Barack Obama hat sich die US-Regierung bisher mit großem Engagement und Einfluss in den Menschenrechtsrats eingebracht. Es ist auch Washington zu verdanken, dass die Situationen in Ländern wie Iran, Myanmar, Nordkorea, Sri Lanka, Südsudan und Syrien nicht von der Tagesordnung verschwanden, während die Befassung mit Israel im gleichen Zeitraum, auch auf Wirken der USA hin, abnahm. Die USA waren maßgeblich an der Einrichtung einer Untersuchungskommission zu Syrien beteiligt, deren Mandat im März erneut verlängert wurde. Gleiches gilt für die Untersuchungskommission zu Nordkorea, deren Bericht zu drei Debatten im Sicherheitsrat geführt hat.
Wollten die USA sich glaubwürdig für die Menschenrechte einsetzen, wäre ein weiterhin klares Bekenntnis zum Menschenrechtsrat auch in ihrem Interesse. Die sehr unterschiedlichen, sich teilweise widersprechenden Aussagen der aktuellen Regierung zur Zukunft der US-amerikanischen Menschenrechtspolitik tragen jedenfalls nicht dazu bei, die Bekenntnisse Haleys in Genf zu untermauern, die USA würden den Einsatz für die „Menschenrechte niemals aufgeben“. Haleys Initiative, Menschenrechte vermehrt im Sicherheitsrat einzubringen und dabei „explizit die Beziehung zwischen Menschenrechten und Sicherheit“ zu betrachten, ist zwar begrüßenswert, sollte jedoch ergänzend zur und in Verknüpfung mit der Arbeit im Menschenrechtsrat gedacht werden.
Zumal es aus menschenrechtspolitischer Sicht irritierend wirkt, wenn die USA die Zusammensetzung im Menschenrechtsrat kritisieren, um dann die Menschenrechtsarbeit in den Sicherheitsrat zu verlagern, deren Mitglieder keinerlei Prüfung unterzogen werden und wo Vetomächte jegliche Resolutionen blockieren, die ihnen oder ihren Verbündeten nicht gefallen.
Vielmehr sollten die USA ihren Einfluss im Menschenrechtsrat im eigenen Interesse sowie zur Verbesserung des Gremiums besser nutzen. Jedes denkbare Alternativgremium hätte letztendlich die gleichen Herausforderungen zu bewältigen, die allen politischen Gremien inne wohnen. Sie sind nicht immun gegen die Instrumentalisierung durch ihre Mitgliedstaaten und deren politische Interessen.
Sollten die USA den Menschenrechtsrat jedoch tatsächlich verlassen, wäre dies auch deshalb problematisch, da es Staaten, die Menschenrechte mit Füßen treten, ermächtigt. Sie tendieren dazu, Kritik durch den Menschenrechtsrat an ihrem Handeln als parteiisch, ungerechtfertigt und illegitim zu diffamieren, sich mit Verweis auf Menschenrechtsverletzungen in weiteren Staaten oder mit Verweis auf kulturelle Unterschiede zu rechtfertigen. Wenn nun auch die USA – als Verfechter der Menschenrechte – in diese Kampagne einsteigen, und dem Menschenrechtsrat seine Legitimation absprechen, ihn deshalb sogar verlassen würden, wäre der Schaden seines Rufs und für seine Glaubwürdigkeit immens. Für ein Gremium, dass keine Sanktionen verhängt, sondern vor allem durch Berichte, Resolutionen und Mahnungen agieren kann, ist dies ein sehr gravierendes Problem. Noch ist offen, ob die USA ihre Drohung umsetzen werden, sagte Haley doch im Juni 2017: „Amerika strebt den Austritt aus dem Menschenrechtsrat nicht an. Wir streben nach der Wiederherstellung der Legitimität des Menschenrechtsrats.“
Sollte die US-Position am Ende dazu beitragen, dass die wirklichen Probleme und Herausforderungen im Rat angegangen würden, wäre dies eine begrüßenswerte Entwicklung. Sollten die USA den Rat jedoch tatsächlich verlassen, würden sie seine Handlungsmacht gravierend schwächen, die Glaubwürdigkeit des wichtigsten Menschenrechtsorgans der Vereinten Nationen verspielen, und letztendlich auch ihren eigenen Einfluss.
Alexia Knappmann
* Einige der Zitate der US-Regierung sind von der Autorin ins Deutsche übersetzt worden. Die Originalaussagen können Sie gerne in den an entsprechenden Stellen hinterlegten Links nachlesen.