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Sexualisierte Gewalt in Konflikten – eine bleibende Herausforderung

In bewaffneten Konflikten ist sexualisierte Gewalt kein neues Phänomen. Schon lange begleitet sie das Kriegsgeschehen – doch ihre Bekämpfung gestaltet sich schwierig. Der Krieg in der Ukraine illustriert einmal mehr die traurige Realität.

Von der UN unterstütze Frauengruppen in Mali arbeiten mit Opfern sexualisierter Gewalt und setzen sich für Frieden im Land ein. (UN Photo/Kani Sissoko)

Im Juni 2022 berichtete das Büro des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte (OHCHR) von 124 dokumentierten Fällen von konfliktbezogener sexualisierter Gewalt in der Ukraine. Die Dunkelziffer dürfte weit darüber liegen. Die UN-Sonderbeauftragte für sexuelle Gewalt in Konflikten, Pramila Patten, musste nach ihrem Besuch in der Ukraine feststellen, dass der Weg zur Vorbeugung und Bekämpfung dieser Gewaltakte noch weit ist. Berichte über Massenvergewaltigungen, Vergewaltigungen vor den Augen von Familienmitgliedern sowie von Vergewaltigungen von Kindern und älteren Frauen, legen eine systematische Anwendung dieser Art von Gewalt als Kriegswaffe nahe.

Kein unbekanntes Phänomen

Im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten ist sexualisierte Gewalt keine Neuheit – es gibt sie, seit es Kriege gibt. Lange wurden diese Gewalttaten deshalb als eine Art natürliche Begleiterscheinung bewaffneter Konflikte wahrgenommen. Sie galten als Ausnutzung des rechtsfreien Raums. Diese Wahrnehmung führte dazu, dass sich die Internationale Gemeinschaft dem Problem lange Zeit nicht annahm. 

Erst der Völkermord in Ruanda und der Jugoslawien-Konflikt – beides Fälle in denen sexualisierte Gewalt gezielt angewandt wurde –  setzten das Thema mit neuer Dringlichkeit auf die Agenda  der Internationalen Gemeinschaft. Allein während des Ruandischen Völkermords im Jahr 1994 wurden laut den Vereinten Nationen zwischen 250.000 und 500.000 Frauen vergewaltigt. In Bosnien-Herzegowina fielen 20.000 bis 50.000 Frauen der systematischen Vergewaltigung zum Opfer. Die Demokratische Republik Kongo, Uganda, Syrien und Irak sind weitere Beispiele von Konfliktschauplätzen, an denen sexualisierte Gewalt systematisch Anwendung fand. Mittlerweile ist klar, dass diese Form der Gewalt gezielt der Einschüchterung, Demütigung und Vertreibung von Opfern dienen kann.
 

Der Paradigmenwechsel

Pramila Patten, UN-Sonderbeauftrage für sexuelle Gewalt in Konflikten berichtet dem UN-Sicherheitsrat über die Lage in der Ukraine. (UN Photo/ Eskinder Debebe)

Vor dem Hintergrund des gezielten Einsatzes von sexuellen Übergriffen als Kriegswaffe, wurde 2007 eine UN-Aktion gegen sexualisierte Gewalt in Konflikten ins Leben gerufen. 23 UN-Organisationen setzen sich in diesem Rahmen für die Vorbeugung sexualisierter Gewalt in bewaffneten Konflikten und für mehr Rechenschaft ein. Mit UN-Resolution 1820 vollzog sich dann 2008 offiziell ein Paradigmenwechsel: Sexualisierte Gewalt galt nicht mehr als unvermeidliches Nebenprodukt bewaffneter Konflikte, sondern wurde als eigenständiges Sicherheitsrisiko anerkannt. Die Bekämpfung und vor allem die Vorbeugung wurden zum erklärten Ziel der Vereinten Nationen.

Anschließend wurde mit Resolution 1888 das Amt des UN-Sonderbeauftragten für sexuelle Gewalt in Konflikten ins Leben gerufen und ein UN-Expertenteam für Rechtstaatlichkeit und sexuelle Gewalt in Konflikten gegründet. Letzteres unterstützt Regierungen dabei, Rechtstaatlichkeitsmechanismen zu stärken, Fälle von sexualisierter Gewalt in Konflikten zu ahnden und Täterinnen und Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Weitere Resolutionen aus den Jahren 2010, 2013, 2016 und 2019 stärkten den politischen Rahmen zur Vorbeugung und Bekämpfung auf Ebene der Vereinten Nationen weiter.

Strafrechtliche Verfolgung sexualisierter Gewalt in Konflikten

Auch rechtlich gewann konfliktbezogene, sexualisierte Gewalt an Bedeutung. In der Verurteilung des ruandischen Politikers Jean Paul Akayesu durch das UN-Sondertribunal für Ruanda wurde sexuelle Gewalt im Jahr 1998 erstmals als Völkermordhandlung bezeichnet. Die Richter befanden, dass die von Akayesu angeordneten Vergewaltigungen von Frauen der Tutsi-Minderheit als Mittel zum Genozid dienten. 

In seinem Bemba-Urteil vom 21. März 2016 betrachtete der Internationale Strafgerichtshof konfliktbezogene Vergewaltigungen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und als Kriegsverbrechen. Jedoch wurde das Urteil nur zwei Jahre später aufgehoben, was als Rückschlag für die strafrechtliche Verfolgung sexualisierter Gewalt in Konflikten verstanden werden kann. Die völkerrechtliche Einordnung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder als Kriegsverbrechen wurde zwar nicht in Frage gestellt, jedoch verschärfte die Berufungskammer die Ansprüche an die Beweisprüfung, was die Verfolgung sexualisierter Gewalt in Konflikten durch den Gerichtshof in Zukunft erschweren könnte

Gerade sexualisierte Gewalt ist von Natur aus schwer nachzuweisen, da Opfer häufig aus Scham und aus Angst vor Stigmatisierung schweigen. In vielen Fällen fürchten sich Opfer sexueller Gewalt davor, von ihrem sozialen Umfeld und ihrer Familie verstoßen zu werden, wenn sie über das Geschehene sprechen. Dies erschwert die strafrechtliche Verfolgung der Täter und führt zu einer sehr hohen Straflosigkeit in diesem Bereich. 

Vergessene Opfer

Darüber hinaus wird sexualisierte Gewalt in Konflikten in der Regel immer mit Frauen und Mädchen in Verbindung gebracht. Männer, die Opfer von Vergewaltigungen werden, werden sowohl auf rechtlicher als auch auf humanitärer Ebene oft vernachlässigt. Dabei sind sie in Konflikten häufiger als angenommen Opfer sexualisierter Gewalt, insbesondere wenn sie in Kriegsgefangenschaft sind oder verhört werden. In Syrien gehörte sexualisierte Gewalt gegen Männer zur Strategie des Assad-Regimes. Auch viele Rohingya-Männer wurden im Kontext ihrer gewaltsamen Vertreibung aus Myanmar Opfer von sexualisierter Gewalt. 

Oft schweigen Männer über diese Taten, weil sie sich schämen oder weil sie befürchten, der Homosexualität beschuldigt und dafür bestraft zu werden. In einigen Ländern wird Homosexualität schließlich noch heute als Straftat angesehen. Die Internationale Gemeinschaft will nun gezielter auf männliche Opfer sexualisierter Gewalt zugehen und Unterstützungsangebote auf diese Opfergruppe ausrichten. 

Zu den vernachlässigten Opfern gehören auch Kinder, die aus einer Vergewaltigung im Konfliktkontext hervorgehen. Ihr rechtlicher Status ist ungeklärt und sie gelten in der Regel nicht automatisch als Opfer des Konflikts. Doch auch hier ist eine Entwicklung zu beobachten: In einem Urteil vom 14 Juli 2022 erkannte ein Gerichtshof in Bosnien und Herzegowina erstmals Kinder, die infolge von Kriegsvergewaltigungen geboren wurden, als zivile Kriegsopfer an.

Die aktuelle Agenda

Um die Vorbeugung und Bekämpfung sexualisierter Gewalt bestmöglich anzugehen, haben die Vereinten Nationen eine Reihe von Initiativen vorgesehen. So sollen zukünftig wirtschaftliche und finanzielle Sanktionen gezielter gegen Täter eingesetzt werden. Darüber hinaus, wird gezielt der Austausch mit Akteuren aus der Zivilgesellschaft und insbesondere mit kulturellen und religiösen Autoritäten gesucht. 

Eine klare Verurteilung sexualisierter Gewalt durch die Gesellschaft sowie eine Entstigmatisierung der Opfer soll soziale Ausgrenzung verhindern und Opfern ermöglichen, über das Geschehene zu sprechen. Außerdem sehen die UN vor, sich stärker für die wirtschaftliche Unterstützung von Opfern sexualisierter Gewalt in Konflikten sowie für ihre angemessene psychologische Betreuung einzusetzen. Im Falle der Ukraine haben die UN diese Bestrebungen bereits in ihr Kooperationsabkommen mit der ukrainischen Regierung aufgenommen. Darin ist festgehalten, für die Opfer des Konflikts umfassende medizinische und spezialisierte psychiatrische Dienste bereitzustellen und bei der Sicherung des Lebensunterhalts zu unterstützen. Inwieweit sich diese Vorhaben wie geplant umsetzen lassen, wird die Zukunft zeigen.

Rebecca Fleming

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