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Nichtdiskriminierung von Menschen mit Behinderungen: Das Recht auf angemessene Unterkunft

In seiner 34. Sitzung hat sich der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen erneut über die Bedeutung des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen verständigt. Gegenstand der Auseinandersetzung war insbesondere Artikel 5 über den Grundsatz der Gleichheit und Nichtdiskriminierung von Menschen mit Behinderungen. Das Recht auf angemessene Unterkunft (engl. reasonable accommodation) wurde dabei als Individualrecht mit großer Bedeutung für ein selbstbestimmtes Leben hervorgehoben.

Ein Teilnehmender mit Bewegungseinschränkungen spricht auf einer Konferenz.
Partizipation und rechtliche Handlungsfähigkeit von Menschen mit Behinderungen sind unter dem Gleichheitsgebot und dem Prinzip der Nichtdiskriminierung geschützt. (UN Photo/Evan Schneider)

Der Grundsatz der Gleichheit ist eines der Kernelemente des internationalen Menschenrechtsschutzes und bereits in Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte festgelegt. Demnach hat jeder Mensch die gleichen Rechte. Dieser Wert muss sich gesellschaftlich auch in der konkreten Lebenssituation der Menschen widerspiegeln. Mit dem Gleichheitsgebot ist deshalb logisch das Prinzip der Nichtdiskriminierung verbunden. Trotzdem werden Menschen mit Behinderungen weltweit diskriminiert, indem sie von rechtlicher Handlungsfähigkeit und allgemeiner Bildung ausgeschlossen werden. Auch Stereotype und Vorurteile sowie erschwerter Zugang zu Lohnarbeit sind an der Tagesordnung. Bisherige Studien führen beispielsweise an, dass 80-90% der Menschen mit Behinderung in Ländern der Entwicklungszusammenarbeit arbeitslos sind. Auch in industrialisierten Ländern liegen die Angaben zwischen 50 und 70%.

Die Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 nehmen sich dieser Probleme als Querschnittsthema an. Damit indizieren sie eine Abkehr vom rein formalen Gleichheitsgedanken. Dieser besagt, dass die Menschen, die gleiche Merkmale und Lebenssituationen teilen, gleich behandelt werden sollen. Die Agenda 2030 hingegen steht für ein Verständnis von der Gleichheit aller, unabhängig von ihren Unterschieden, die auf einem substantiellen Wandel von Chancen und Institutionen beruht

Verschiedene Tiere, u. a. ein Vogel, ein Affe, ein Elefant und ein Fisch stehen in einer Reihe vor einem Baum. An einem Tisch sitzt ein Mensch und fordert sie alle für eine gerechte Auswahl auf, den Baum hochzuklettern.
Der Unterschied zwischen Chancen- und Ergebnisgleichheit wird in diesem Cartoon von Hans Traxler veranschaulicht.

Fördermaßnahmen zugunsten von Gruppen

Diese Form von Gleichheit kann nur erreicht werden, indem benachteiligte Gruppen mit speziellen Bedürfnissen gezielt durch strukturelle Änderungen gefördert und damit gleichgestellt werden. Diese Art der Bevorzugung durch sogenannte spezielle Maßnahmen wie z. B. Steuerfreiheit für die Anschaffung von Rollstühlen oder Parlamentsquoten, kann struktureller Diskriminierung entgegenwirken. Das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen hat deswegen in Artikel 5 nicht nur Chancengleichheit, sondern auch Ergebnisgleichheit von Maßnahmen als Maxime festgelegt. Damit wird deutlich, dass der Weg nicht allein entscheidend ist, sondern das Ergebnis einer Maßnahme als Grundlage für Gleichheit gilt. Dies kann aber nur gelingen, wenn Behindertenfeindlichkeit und andere ablehnende Einstellungen gegenüber Menschen mit Behinderung durch eine Kultur des Respekts von menschlicher Vielfalt ersetzt werden (Artikel 8).

Angemessene Unterkunft als Individualrecht

Eine angemessene Unterkunft, ob am Arbeitsplatz, im Krankenhaus, Zuhause oder unterwegs wird unter dem Übereinkommen nicht als spezielle Maßnahme gesehen. Hierbei geht es nicht um die ausgleichende Bevorzugung einer Gruppe, sondern darum einem einzelnen Menschen mit der notwendigen und angemessenen Unterstützung zu versorgen, unmittelbar Zugang zu einem Gebäude oder Transportmittel zu bekommen. Dies kann man sich so vorstellen, dass beispielsweise Restaurants graduell einen ständigen barrierefreien Zugang ermöglichen sollen, bis dahin aber Abhilfe durch eine entfernbare Rampe schaffen müssen. Auch wenn systemische Änderungen Zeit brauchen und die Vorgaben des Übereinkommens noch nicht erfüllen, müssen individuelle Erleichterungen im Gegensatz dazu sofort umgesetzt werden.

Einige der Kriterien für angemessene Unterkunft, die der Menschenrechtsrat in seinem Abschlussbericht zusammengestellt hat, sind: eine Unterkunft sollte legal sein und materiell umsetzbar. Zum Beispiel sollten bestimmte Produkte, wie eine Software, die einem Menschen mit Sprechstörungen helfen könnte, aber Importverboten unterliegt, nicht illegal erworben werden müssen, sondern Ausnahmen in der Gesetzgebung geregelt sein. Materielle Umsetzung schließt die Einsicht ein, dass es in abgelegenen Gegenden manchmal schwierig sein kann, innerhalb einer kurzen Zeitspanne Ressourcen wie Gebärdendolmetschen bereit zu stellen. Eine angemessene Unterkunft sollte darüber hinaus  auf die Bedürfnisse des Menschen zugeschnitten, notwendig zur Überwindung einer bestimmten Hürde und effektiv sein, das bedeutet Rechtsgleichheit bewirken. Jeder Einzelfall sollte außerdem in Bezug auf Zeit, Kosten, Dauer und Wirkung abgewogen und verhältnismäßig umgesetzt werden. Eine in diesem Sinne angemessene Unterkunft kann den Einzelnen in ihrer Eigenständigkeit und Privatsphäre zu Gute kommen.

Eine Gebärdendolmetscherin wird während eines Vortrages mit der Kamera aufgenommen.
Zu Dienstleistungen, die Barrierefreiheit bewirken, zählt beispielsweise auch, Gebärdendolmetscher*innen anzustellen. (UN Photo/Jean-Marc Ferré)

Selbstbestimmtes Leben

In diesem Zusammenhang gilt es auch, Menschen mit Behinderungen ein selbstbestimmtes und gleichberechtigtes Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen, damit sie eigenständig entscheiden können, mit wem und wo sie leben möchten (Artikel 19). Dafür wiederum braucht es Dienstleistungen und Infrastruktur wie barrierefreie Wege und zugängliche Freizeitmöglichkeiten, die Inklusion fördern und Menschen mit Behinderungen die selbstverständliche Teilhabe am öffentlichen Leben bieten.

In Deutschland lässt sich die Umsetzung des Übereinkommens u. a. anhand des Teilhabeberichts der Bundesregierung über die Lebenslagen von Menschen mit Beeinträchtigungen nachvollziehen. Darin wird zwischen stationärem und ambulant unterstütztem Wohnen im Privathaushalt unterschieden. Demnach erhalten immer mehr Menschen ambulante Eingliederungshilfen zum Wohnen, die ein höheres Maß an Selbstbestimmtheit gewährleisten sollen. Da insgesamt aber die Zahl der Menschen mit Beeinträchtigungen zugenommen hat, ist die Zahl an Menschen, die stationär unterkommen, gleichbleibend hoch.

Repräsentative Daten über die Wohnsituation von Menschen mit Behinderungen sind aber Mangelware. So konnten die Forscher*innen des Instituts für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik, die mit dem Bericht beauftragt wurden, keine Aussagen dazu machen, inwiefern Menschen mit Beeinträchtigungen ihren Wohnort tatsächlich im Einklang mit ihren Wünschen frei wählen können. Auch zur Angemessenheit der Unterkunft liegen nur eingeschränkt Daten vor. Insgesamt kommt der Bericht zu dem Schluss, dass Wohnungen, Straßen, öffentliche Einrichtungen und Bildungseinrichtungen häufig nicht barrierefrei gestaltet sind. Aus diesem Grund halten die Verfasser*innen fest, dass je schwerer die Beeinträchtigungen, desto geringer die Teilhabechancen und damit auch die Lebensqualität von Menschen sind.

Ein Mann fertigt auf dem Boden sitzend Prothesen und Rollstühle an.
Die Forderung nach einer angemessenen Unterkunft bezieht sich nicht nur auf Wohnraum, sondern auch auf den Arbeitsplatz, Gesundheitseinrichtungen und Freizeitmöglichkeiten. (UN Photo/Albert González Farran)

UN-Empfehlungen

Der UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen hat bereits im Jahr 2015 den Mangel an alternativen Wohnformen in Deutschland kritisiert. Er forderte nicht nur den Ausbau sozialer Assistenzdienste, sondern auch den Abbau institutionalisierter Wohnformen wie spezielle Heime für Menschen mit Behinderungen, die exkludierend wirken und wenig Selbstbestimmung zulassen.

Ebenso verweist der Menschenrechtsrat im Abschlussbericht seiner 34. Sitzung auf die Notwendigkeit, Indikatoren zu den Rechten von Menschen mit Behinderungen unter dem Übereinkommen zu entwickeln und auf dieser Grundlage aufgeschlüsselte Daten zur Überwachung der Nichtdiskriminierung und Gleichheit zusammenzutragen. Der Rückgriff auf repräsentative Daten ist Grundlage für alle Forderungen, die systematische Gleichheit von benachteiligten Gruppen bezwecken. Datenlücken wie im Teilhabebericht der Bundesregierung sorgen auch dafür, dass weniger Informationen über erfolgreiche Konzepte zur Umsetzung individueller Rechte verfügbar sind.

 

Claudia Jach

 

Den abschließenden Bericht der 34. Sitzung des Menschenrechtsrats zu Gleichheit und Nichtdiskriminierung nach Artikel 5 des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen können Sie hier nachlesen.

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