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Menschenrechte, Umwelt- und Klimaschutz durch Unternehmen – in einem Abkommen

Vom 25. bis 29. Oktober verhandelt der UN-Menschenrechtsrat in Genf über ein verbindliches Abkommen zu Wirtschaft und Menschenrechten. Deutschland und die EU zögern noch, ob sie proaktiv dabei sein wollen. Was steht auf dem Spiel?

Eine Frau kniet auf einer großen Menge ausgebreiteter Kaffeebohnen, die er zum Trocknen verteilt.
Auch Kaffee ist ein Produkt mit oft undurchsichtigen Lieferketten. (UN Photo/John Isaac)

Worum es bei den Verhandlungen um das „verbindliche Abkommen Wirtschaft und Menschenrechte“ (Binding Treaty Business and Human Rights) geht? Schlicht gesagt um faire, gute und gesunde Arbeits- und Produktionsbedingungen: Um Menschenrechte, Arbeitsrecht und Umweltschutz.

Aus Sicht der Menschen in globalen Wertschöpfungsketten geht es darum, den Konkurrenzdruck zwischen Unternehmen einzuhegen, der in so vielen Fällen ausbeuterische Arbeitsverhältnisse sowie klima- und umweltschädliche Produktionsprozesse verursacht. Viele der bekannteren Lieferketten –für Computerchips, Textilien, Lebensmittel, oder Blumen – beschäftigen überwiegend Frauen, oft in ausbeuterischen und gesundheitsgefährdenden Arbeitsverhältnissen. Bei vielen Rohstoffen, wie Gold, Kakao oderseltenen Erden, herrscht bis heute in vielen Ländern Kinderarbeit vor. Es geht also auch um längst verbriefte Arbeits-, Frauen- und Kinderrechte. Betroffene von Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen sehen sich mit großen Hürden konfrontiert, die verantwortlichen Unternehmen vor Gericht zur Rechenschaft zu ziehen und Schadensersatz zu erhalten.

Aus Sicht der Unternehmen geht es darum, dass alle nach den gleichen Standards arbeiten (auf Englisch oft als „level playing field“ bezeichnet) und sich nicht durch unfaires oder gar schädliches Verhalten gegenseitig unlautere Konkurrenz durch maximalen Druck auf ihre Gewinnspannen machen. Und in der globalisierten Welt geht es darum, dass die gleichen Rechte und hohen Standards entlang der ganzen Wertschöpfungs- oder Lieferkette gelten.

Ein wenig Vorgeschichte

Seit den 1960er-Jahren gibt es Versuche, die Wirtschaftstätigkeit von Unternehmen unter der Ägide der Vereinten Nationen auf Mindeststandards zu verpflichten. Der Entwurf eines „Code of Conduct on Transnational Corporations“, also eines Verhaltenskodex für transnationale Unternehmen, wurde von den USA 1991 abgewürgt. Ein weiterer Versuch einer Arbeitsgruppe der UN-Unterkommission zur Prävention von Diskriminierung und zum Schutz der Menschenrechte, die sogenannten Normen über die Verantwortlichkeiten von TNCs in Bezug auf die Menschenrechte, wurde unter Druck der Wirtschaftslobby von der UN-Menschenrechtskommission links liegen gelassen. Stattdessen entwickelte das UN-Sekretariat in New York freiwillige Richtlinien, die sogenannten UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte. Die Leitprinzipien sind aber nicht verbindlich, und werden allzu oft unterlaufen.

Ein bekanntes Beispiel: Ecuadors Regenwald wurde in den 1990er-Jahren infolge der Ölförderung von Texaco (später Chevron) zerstört. Die Regierung forderte Schadensersatz für die betroffene Bevölkerung; der Rechtsstreit dauert bis heute an.

Diese Erfahrung veranlasste Ecuador dazu, 2014 gemeinsam mit Südafrika den UN-Menschenrechtsrat zur Erstellung eines verbindlichen Abkommens zur Regulierung internationaler Unternehmenstätigkeit aufzufordern. Der Menschenrechtsrat berief daraufhin eine offene zwischenstaatliche Arbeitsgruppe ein. Ein Kernanliegen der Arbeitsgruppe war von Beginn an der Schutz  indigener Völker, Frauen, Kindern und speziell Mädchen, Menschen mit Behinderung, Geflüchteten, und anderen vulnerable Gruppen. Zielsetzung des Abkommens ist es, Regierungen dazu anzuhalten, ihre Unternehmen zur Achtung der Menschenrechte, des Umwelt- und Klimaschutzes in all ihren Geschäftstätigkeiten und entlang ihrer gesamten Wertschöpfungskette zu verpflichten. Darüber hinaus sollen die Regierungen sicherstellen, dass Unternehmen vor Gericht zur Verantwortung gezogen werden, wenn sie dagegen verstoßen.

Die zwischenstaatliche Arbeitsgruppe tagt nun jährlich seit 2015, mit Sitzungen im Herbst und Zwischensitzungen im Frühjahr. Der ecuadorianische Vorsitz baut die vorgebrachten Änderungsvorschläge der Mitgliedsländer in die jeweils nächste Fassung des Verhandlungstextes ein. Bislang beteiligen sich vor allem Länder des globalen Südens, insbesondere aus Lateinamerika und Afrika, und die Zivilgesellschaft inklusive der Gewerkschaften aktiv an diesen Sitzungen. Manche Länder, wie China und Russland, bremsen; viele Industrienationen sind gar nicht präsent, wie bislang die USA. Unternehmen und Wirtschaftsverbände sind gespalten in solche, die angesichts der mittlerweile zahlreichen nationalen Regulierungen durchaus ein „level playing field“ mit hohen internationalen Standardswünschen und jenen, die das für unnötig oder gar wirtschaftsschädigend halten, beziehungsweise wenn, dann nur einen sehr niedrigen internationalen Standard fordern.

Ein Zwischenspiel: Das deutsche Lieferkettengesetz

Bekanntlich hat es die vergangene Bundesregierung nach harten Auseinandersetzungen geschafft, das im Koalitionsvertrag von 2017 versprochene Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) zu verabschieden. Das nach langen regierungsinternen Streitigkeiten schlussendlich verabschiedete Gesetz ist verwässert im Vergleich zu vorherigen Entwürfen aus dem Entwicklungs- und Arbeitsministerium. Aber es ist ein erster Schritt. Bis Ende des Jahres will auch die EU-Kommission einen Entwurf für eine entsprechende Richtlinie vorlegen. Es ist zu hoffen, dass das europäische Lieferkettengesetz über das deutsche Gesetz hinausgeht.

Die nächsten internationalen Schritte

Worum geht es jetzt Ende Oktober in Genf? Es wird im großen Menschenrechtssaal im Völkerbundpalast Verhandlungen am Text geben, Paragraf um Paragraf. Der Vertragsentwurf, der jetzt in der dritten Fassung vorliegt, ist seit den ersten skizzierten „Elementen“ gewachsen und konkretisiert worden.

Unternehmen wären verpflichtet, die Menschenrechte einzuhalten, die mit Verweis auf die Menschenrechtskonventionen und die Kernarbeitsnormen der ILO im Text verankert sind. Das noch relativ junge ILO-Übereinkommen über Gewalt und Belästigung in der Arbeitswelt (Nr. 190 von 2019) ist ausdrücklich benannt. Insoweit  greift der Entwurf Forderungen zu Geschlechtergerechtigkeit auf, die in vielen Produktionsstätten und Arbeitsbeziehungen verletzt werden – durch miserable Löhne, Verbot von Gewerkschaften, fehlende Sozialversicherung und Mutterschutz, und Gewalt am Arbeitsplatz. 

Der dritte Entwurf geht zudem auf umweltpolitische Forderungen ein; er formuliert das Recht auf eine sichere, saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt als Teil der Grundfreiheiten – wie übrigens auch das soeben verabschiedete Recht auf eine saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt. Unternehmen sollen die Auswirkungen auf Umwelt und Klima analysieren, negativen Auswirkungen vorbeugen und eingetretene Schäden beheben und wiedergutmachen.

Alle Schritte der Geschäftstätigkeit –von der Produktion, Transport, Vertrieb, Marketing bis zum Einzelhandel – sind einbezogen. Dies gilt für alle Unternehmen unabhängig von ihrer Größe. Das ist ein maßgeblicher Unterschied zum deutschen Lieferkettengesetz, das nur für Großunternehmen gilt.

… und Deutschland?

Wie eingangs erwähnt, beteiligt sich Deutschland bislang nur verhalten an den Verhandlungen. Vorwand war lange Zeit, dass die Regierung sich nicht für internationale Regeln aussprechen könne, solange es auf nationaler Ebene keine Grundsatzentscheidung über eine entsprechende Regulierung gebe. Aber dieser Vorwand kann seit Verabschiedung des Lieferkettengesetzes nicht mehr gelten.

Die Zivilgesellschaft in Deutschland und international erwartet nun, dass sich die Koalitionspartnerinnen und -partner einer neuen Bundesregierung progressiv und konstruktiv in diesen so wichtigen multilateralen Prozess einbringen.  Deutschland hätte die Gelegenheit, sich mit vulnerablen Gruppen und den Ländern des globalen Südens multilateral zu solidarisieren, und sein leicht verspieltes Renommee als Menschenrechtsverteidiger- und Klimaschutzvorreiterland damit zu erneuern.

Gabriele Köhler, WECF und Karolin Seitz, GPF

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