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Kein Ende der Gewalt: UN-Bericht belegt systematische Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Libyen

Ein UN-Bericht offenbart ein düsteres Bild der Menschenrechtslage in Libyen. Staatliche Akteure üben systematisch Gewalt gegen Frauen, Migrantinnen und Migranten sowie Oppositionelle aus und erhalten dabei teilweise direkte Unterstützung durch die EU.

Eine junge Frau protestiert.
Proteste in Tripolis. (UN Photo/Iason Foounten)

Die Erkenntnisse des abschließenden Berichts 2023 der unabhängigen Ermittlungsmission für Libyen (Independent Fact-Finding Mission on Libya - FFM) sind alarmierend: Willkürliche Inhaftierung, die Anwendung von Folter, sexualisierter Gewalt, Versklavung, Erpressung und Verschwindenlassen sowie gezieltes Ermorden gehörten zum festen Repertoire staatlicher Sicherheitskräfte sowie ihnen nahestehender Milizen in beiden konkurrierenden Machtblöcke in Libyen.

Den Truppen der international anerkannten Regierung der nationalen Eintracht („Government of National Accord – GNA“) mit Sitz in westlichen Tripolis steht die Libysche-Nationale Armee unter General Haftar mit Sitz im östlichen Tobruk gegenüber. Beide Regierungen üben ihre Herrschaft über ein Netzwerk aus staatlichen Sicherheitsbehörden, paramilitärischen Milizen und ausländischen Söldnergruppen aus.

Die FFM wurde 2020 durch die Resolution 43/39 des UN-Menschenrechtsrat beauftragt, Menschenrechtsverletzungen in Libyen aufzudecken. Von Beginn an war die Mission durch mangelnde Finanzierung sowie verwehrten Zugang zu Beweisen, Zeugen und Betroffenen durch libysche Stellen in der Arbeit eingeschränkt. Insbesondere das von Sicherheitskräften erschaffene „Klima der Furcht“ führte zu starker Selbstzensur unter von Gewalt Betroffenen. Trotz dieser widrigen Bedingungen konnte das Team über Hunderte von Interviews sowie mehr als 2 800 Belege (unter anderem Fotos, Videos und Zeugenberichte) im gesamten libyschen Staatsgebiet ein umfassendes Lagebild erstellen.

Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Libyen, das einst zu den wohlhabendsten Ländern Nordafrikas zählte , hat sich seit dem Sturz des langjährigen autoritären Machthabers al-Gaddafi 2011 fast durchgehend im Bürgerkrieg befunden, insbesondere seit 2014. Es verwundert daher nicht, dass die Ermittlungsmission Belege für Menschenrechtsverletzungen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie Kriegsverbrechen aufführt. So wird am Beispiel der Stadt Murzuk nachgewiesen, dass Streitkräfte der Libysch-Nationalen Armee, gemeinsam mit verbündeten Milizen, massive Gewalt gegen Zivilisten ausübten, unter anderem gegen die Minderheit der Tebu. Dazu zählten willkürliche Ermordung, Folter und Verschleppung. Anschließende Kämpfe in der Region um Tripolis, die bis 2022 immer wieder aufflammten, verursachten massive Zerstörung von zivilen Einrichtungen und verhinderten den Zugang zu medizinischer Versorgung.

Verantwortlich waren nicht nur libysche Streitkräfte oder Milizen, sondern auch ausländische Söldnergruppen aus Tschad, Sudan, Syrien sowie Russlands berüchtigte Wagner-Gruppe. So bestehen gesicherte Hinweise, dass Wagner-Söldner, die General Haftar unterstützen, gezielt Sprengfallen und Landminen in zivilen Gegenden sowie Häusern verteilten und sie mitunter in Sofas versteckten. Weiterhin wird die Gruppe beschuldigt, Bewohner gefoltert und ermordet zu haben.

 

Eine Silhouette von Menschenmengen, die Gewehre und libysche Flaggen hochhalten.

Der Konflikt in Libyen und die UN

Der Konflikt in Libyen gerät seit dem Jahr 2011 immer mehr in Vergessen­heit. Es stehen sich zwei libysche Regierungen, eine Reihe von bewaffneten Milizen und inter­nationale Akteure, die auf Libyens Boden ihre Interessen ver­folgen, gegenüber. Zahl­reiche Ver­mittlungs­formate und Waffen­ruhen sind gescheitert. Während die inter­nationale Gemein­schaft zer­stritten und ratlos über die Lösung des Konflikts ist, verschlechtert sich die humanitäre Situation zunehmend. Zum Konflikt-Porträt.

Gewalt gegen unliebsame Personen

Der Bericht behandelt auch die systematische Einschüchterung und Unterdrückung von Menschen, die Kritik an den Autoritäten des Landes üben. So wird die freie Meinungsäußerung in ganz Libyen durch ein Klima der Gewalt, fehlende Rechenschaft und eine vage Gesetzeslage eingeschränkt. Neben der (Selbst-)Zensur von kritischen Inhalten in Medien und Internet, zeigt der Bericht, dass unliebsame Personen entführt, gefoltert, willkürlich inhaftiert und ermordet wurden.

Die beschriebenen Haftbedingungen für mindestens 18 523 inhaftierte Personen können als prekär bis grausambezeichnet werden. Mangelnde Hygiene und medizinische Versorgung, gezielte Entziehung von Nahrung, Isolationshaft sowie physische und psychische Gewalt wurden durch die Ermittlungen nachgewiesen. Die Dunkelziffer der im Land Inhaftierten wird als weit höher geschätzt. Unter den oftmals ohne Gerichtsprozess oder gar offizielle Anschuldigung Inhaftierten fanden sich Menschen aus allen Teilen der Gesellschaft wieder: Anwälte, Richter, politische Repräsentanten, Kinder, Vertreter der Zivilgesellschaft oder Angehörige sexueller Minderheiten.

Gewalt gegen Frauen sowie Migranten und Migrantinnen

Mitunter am heftigsten fallen die dargelegten Verbrechen gegen Frauen ins Gewicht. Neben der Verfolgung durch Sicherheitskräfte und Milizen sind Frauen zunehmend von häuslicher Gewalt oder Femiziden bedroht. Die wenigen Frauen in hohen Ämtern sahen sich Diffamierungen und Hasskampagnen ausgesetzt. So wurde gegen die Ministerin für Frauenrechte 2021 nach Abschluss eines Abkommens mit UN Women Untersuchungen eingeleitet und das Abkommen 2022 aufgekündigt. Der Bericht betont, dass die von sexualisierter Gewalt betroffenen Frauen so gut wie keinen Schutz haben. Ein Klima der Einschüchterung und Stigmatisierung zwinge sie zum Schweigen.

Den vergleichsweise größten Teil des Berichts widmen die Ermittler der systematischen Gewalt gegen und Missbrauch von Migranten und Migrantinnen, von denen sich – Stand 2021 – um die 670 000 aus mindestens 41 Ländern in Libyen aufhielten. Der Bericht offenbart das absolute Ausgeliefertsein dieser Menschen und stellt fest, dass es in offiziellen – unter Kontrolle der GNA oder der Libysch-Nationalen Armee - sowie inoffiziellen Haftanstalten zu schwersten Verbrechen gegen die Menschlichkeit kommt, darunter Erpressung, Folter, Mord, Gruppenvergewaltigungen, Verhungernlassen, Menschenhandel und Formen moderner Sklaverei. Alle von den Ermittlern befragten Personen bestätigten, eine oder mehrere dieser Verbrechen selbst erlebt oder bezeugt zu haben.

Brisante Fragen für Europa

Für Europa und Deutschland brisant sind einige der im Bericht genannten Verantwortlichen für die beschriebenen Verbrechen, insbesondere gegen Migranten und Migrantinnen. So stellte die Mission fest, dass Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Haftanstalten begangen wurden, die der Direktion zur Bekämpfung illegaler Migration, der Behörde zur Förderung der Stabilität des Landes sowie der libyschen Küstenwache unterstehen. Eben diese werden durch die EU und ihre Mitgliedsstaaten finanziell und logistisch unterstützt, um Migranten und Migrantinnen aufzuhalten, wie der Bericht hervorhebt.. Konsequenterweise ruft der Bericht die EU dazu auf, ihre Maßnahmen zur Einschränkung von Migration auf die Einhaltung ihrer menschenrechtlichen Pflichten hin zu überprüfen. Auf EU-Ebene scheinen diese Warnungen – die von Menschenrechts- und humanitären Organisationen seit Jahren geäußert wurden - allerdings überhört zu werden.

Wasil Schauseil

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