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Heimkehr nach Burundi

Unterstützt vom UN-Flüchtlingshilfswerk kehren zehntausende burundische Geflüchtete zurück in ihre Heimat. Freiwillig. Es könnte eine Erfolgsgeschichte humanitärer Hilfe sein. Doch Berichte von Entführung und Folter wecken Zweifel.

Ein Mann hält lächelnd einen Fußball in der Hand
Anaclet Nkunzimana, 36, arbeitete im Mtendeli Camp in Tansania als Fußballtrainer für Kinder und Jugendliche. (oto: iACT/Kelsey Dalrymple)

Es ist drei Uhr morgens, als ein lautes Scheppern Anaclet Nkunzimana aus dem Schlaf reißt. Eine Faust klopft gegen die Wellblechtür seiner Lehmhütte. Nkunzimana öffnet die Augen. Er liegt im Bett, neben ihm seine Frau und seine drei kleinen Söhne. „Wer ist da?”, ruft er. „Polizei, aufmachen!”. Bevor er reagieren kann, treten mehrere Männer seine Tür ein. Die Männer tragen Masken. Nkunzimana beginnt zu schreien. Bevor er sich anziehen kann, schlagen die Männer auf ihn ein, fesseln ihn und zerren ihn in einen vor der Tür wartenden Pick-Up Truck. In dem sitzen bereits zwei weitere Geflüchtete. Auch sie wurden diese Nacht aus ihren Familien gerissen.

Nkunzimana ist einer von über 300.000 Menschen, die in den Jahren 2015 und 2016 aus Burundi geflohen sind. Damals erschüttert eine Welle der Gewalt das kleine Land in Zentralafrika. Sicherheitsbehörden töten hunderte Oppositionelle, nachdem diese gegen eine verfassungswidrige dritte Amtszeit des Präsidenten demonstriert hatten. Zuflucht finden viele Burundierinnen und Burundier im Nachbarland Tansania.

Heute kehren viele dieser Geflüchteten wieder nach Burundi zurück. Freiwillig. Insgesamt über 180.000 Rückkehrerinnen und Rückkehrer aus den Nachbarländern zählt das UN-Flüchtlingskommissariat (UNHCR), das die Heimkehr der Geflüchteten organisiert.

Die Flucht und Rückkehr zehntausender Menschen aus Burundi, es könnte eine Erfolgsgeschichte humanitärer Hilfe sein. Die Geschichte von Menschen, die in der Not Zuflucht bei ihren Nachbarn fanden und die jetzt, da die Situation sich verbessert hat, wieder in ihre Heimat zurückkehren. Wären da nicht Fälle wie die von Anaclet Nkunzimana, die Zweifel daran wecken, wie freiwillig die Rückkehr wirklich ist.

Nkunzimanas Flucht aus Burundi

Nkunzimana sitzt heute in Burundi im Gefängnis. Mit ihm zu kommunizieren ist nicht leicht. Aber über Gespräche mit Familienmitgliedern und Wegbegleitenden lässt sich seine Geschichte rekonstruieren. Auf Fotos aus dem Gefängnis sieht man einen schlanken Mann, der lächelt, obwohl seine Geschichte keinen Anlass dafür gibt.

Nkunzimana flieht im Mai 2016 aus Burundi. Damals lebt er als Prediger im Landesinneren Burundis. Er hält Messen ab, organisiert gemeinsam mit einer Kirche die Unterbringung von Waisen, und hilft Dorfmitgliedern bei Landstreitigkeiten. Doch seine Zusammenarbeit mit amerikanischen und japanischen Kirchen erregt Aufmerksamkeit. Einige Dorfbewohner verdächtigen ihn, als ausländischer Agent gegen die Regierung zu arbeiten. Als die Welle der Gewalt auch seine Familie erfasst und sein Onkel ermordet wird, beschließt er nach Tansania zu fliehen.

Im Flüchtlingscamp Mtendeli in Tansania angekommen, lässt Nkunzimana sich von einer NGO zum Fußballtrainer ausbilden. Die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen macht ihm Spaß. Doch während Nkunzimana sich im Camp wohl fühlt, sogar heiratet und Kinder bekommt, verschlechtert sich die Lage der Geflüchteten. Tansanias Regierung will die Burundierinnen und Burundier nach Hause schicken. Gelingen soll dies mit Hilfe eines freiwilligen Rückführungsabkommen zwischen Burundi, Tansania und dem UNHCR.

Das Wundermittel des UNHCR

Ein Konvoi mit Geflüchteten auf dem Weg nach Burundi, koordiniert durch das UNHCR. (Foto: UNHCR/Maimuna Mtengela)

Freiwillige Rückführungen sind eines der beliebtesten Instrumente des UNHCR in Konflikten weltweit. In der Theorie sind sie ein Win-Win-Win-Instrument. Die Aufnahmeländer werden die oft als Belastung wahrgenommen Geflüchteten los. Die Herkunftsländer signalisieren, dass ihr Land wieder sicher ist. Und die Geflüchteten können zurück nach Hause, finanziell unterstützt vom UNHCR.

Wie weit dieses Idealbild von der Realität entfernt ist, zeigt sich in Tansania. Dort ist die Regierung der Geflüchteten überdrüssig. Seit Jahren fährt sie deshalb einen auf Abschreckung ausgerichteten Kurs.

Nkunzimana hat selbst erlebt, wie diese Strategie funktioniert. Seit seiner Ankunft im Jahr 2016 war er wie alle Geflüchteten im Camp interniert. Das heißt: im Camp eingesperrt. Wer das Camp verlässt, riskiert die Abschiebung. Zudem ist jegliche ökonomische Aktivität in den Camps verboten. Nicht einmal einen kleinen Garten zur Selbstversorgung dürfen die Geflüchteten anlegen. Viele tun es trotzdem. Und müssen immer wieder mit ansehen, wie die Früchte ihrer Arbeit zerstört werden. Und während für die Kinder der Gang in die provisorischen Schulen Abwechslung bietet, bleibt tausenden Erwachsenen tagtäglich nur das Schlangestehen zum Abholen von Rationen.

Wie sicher ist Burundi?

Wer diesen Zuständen entkommen will, dem bieten die Regierungen einen einfachen Ausweg: die Rückkehr nach Burundi. Die Strategie hat Erfolg. Allein dieses Jahr sind mit Hilfe des UNHCR über 60.000 Geflüchtete aus den Nachbarländern nach Burundi zurückgekehrt. Ein Machtwechsel im Juni 2020 gibt vielen die Hoffnung, dass sich die Dinge in Burundi zum Besseren wenden.

Doch noch scheint diese Hoffnung verfrüht. Im September erst schreibt die vom UN-Menschenrechtsrat eingesetzte unabhängige Untersuchungskommission zu Burundi, dass trotz vereinzelter symbolischer Gesten weiterhin schwere Menschenrechtsverletzungen mit Duldung oder sogar auf Veranlassung der Behörden begangen werden. Zu diesen gehört auch die Inhaftierung von Nkunzimana.

Als Nkunzimana am 23. Juli 2020 mitten in der Nacht aus dem Camp in Tansania entführt wird, bringen die maskierten Männer ihn und sieben weitere Geflüchtete auf eine Polizeistation. Dort foltern sie ihn brutal. Sie fordern Geld und werfen ihm vor, sich politisch engagiert und Geflüchtete an der freiwilligen Rückkehr gehindert zu haben. So berichten es er und seine Mitgefangenen.

Nach 23 Tagen fragen die Entführer sie, ob sie nach Burundi zurückkehren wollen. Alle acht Gefangenen sagen ja. An einem inoffiziellen Grenzübergang findet die Übergabe an die burundischen Behörden statt. Seitdem sitzt Nkunzimana in Burundi im Gefängnis.

„Wir schicken euch nach Hause, freiwillig“

Die genauen Umstände der Entführung und Folter von Nkunzimana und den sieben weiteren Männern ist bis heute nicht geklärt. Eine UN-Arbeitsgruppe wirft den Sicherheitsbehörden beider Länder vor, gemeinsam Zwangsrückführungen durchzuführen. In einer Antwort an die Arbeitsgruppe vom April 2021 bezeichnet das burundische Außenministerium diese Anschuldigungen als „allesamt unwahr“. Die tansanische Regierung hatte im August 2020 eine Untersuchung zu den Fällen angekündigt. Ergebnisse sind bisher nicht bekannt.

Eine Luftaufnahme von vielen kleinen Häuschen auf rotbrauner Erde, dazwischen ein paar Büsche und Bäume
Luftaufnahme des Mtendeli Camps in Tansania aus dem Jahr 2017. Hier lebte Anaclet Nkunzimana von 2016 bis 2020. (Foto: UNHCR/Georgina Goodwin)

Nkunzimanas Fall ist nicht repräsentativ für die über 180.000 burundischen Geflüchteten, die seit 2017 in ihr Heimatland zurückgekehrt sind. Und doch wirft er ein Licht auf die zentrale Frage der Rückführungen: Wie freiwillig kann die Entscheidungen zur Rückkehr sein, in einem Umfeld, das von Angst geprägt ist?

Antonio Canhandula ist UNHCR-Repräsentant in Tansania und ein Veteran der Organisation. Er scheut sich nicht, auch den Druck anzusprechen, dem die Geflüchteten ausgesetzt sind.

Formal gehen alle Geflüchteten freiwillig. Vor ihrer Abreise fragen Mitarbeitende des UNHCR jeden Geflüchteten: „Willst du wirklich gehen?“. Aber ob eine Rückkehr freiwillig ist, entscheidet sich schon weit früher. Mit ihrer Politik sendet die Regierung laut Canhandula seit Jahren eine klare Botschaft: „Wir schicken euch nach Hause, freiwillig.“ Physischer Zwang, wie im Fall von Nkunzimana, ist die Ausnahme. Aber die tansanische Regierung schafft systematisch ein Umfeld, in dem es für die Geflüchteten kaum Perspektiven gibt.

Warum das UNHCR trotzdem bleibt

Dass das UNHCR sich trotzdem weiter an den freiwilligen Rückführungen beteiligt, ist für Canhandula alternativlos. „Wir können nicht einfach vom Tisch aufstehen und gehen“, sagt er. Die Menschenrechtslage, die Unterbringung der Geflüchteten, all dies sei nicht perfekt. „Aber wenn wir nicht mehr mit der Regierung zusammenarbeiten, leiden die Geflüchteten“, betont er.

Der UNHCR-Repräsentant Burundis, Abdul Karim Ghoul, sieht dies ähnlich. Und er ist optimistisch: „Die neue burundische Regierung zeigt guten Willen. Sie wollen, dass die Rückkehrer sich hier wohlfühlen.“ Dass die Lage sich seit dem Führungswechsel 2020 verbessert hat, erkennen auch Akteure wie die EU an, die seit Februar 2020 wieder Gespräche mit der burundischen Regierung führt. Zuletzt beendeten die USA ihre Ende 2015 erlassenen Sanktionen gegen mehrere hochrangige Regierungsmitglieder.

Ein Gradmesser für die Nachhaltigkeit dieser Entwicklung wird auch der Umgang mit dem Fall von Eric Nkunzimana sein. Er und fünf der sieben mit ihm Entführten, sitzen über ein Jahr nach ihrer gewaltsamen Rückführung aus Tansania immer noch im Gefängnis. Hinter den Kulissen drängen NGOs und internationale Organisationen die Regierung zur Freilassung der Gefangenen. Ob sie dabei erfolgreich sind, wird zeigen, wie ernst es der Regierung mit ihren Versprechungen eines funktionierenden Rechtsstaats ist. Nkunzimanas nächste Verhandlung im Dezember ist bereits angesetzt.

Von Mitsuo Martin Iwamoto

Disclaimer: Die Recherche für diesen Text hat aufgrund von Visa-Problemen nicht vor Ort stattgefunden. Für den Text hat der Autor mit über einem Dutzend Geflüchteten, Forschenden und Mitarbeitenden von lokalen Organisationen gesprochen.

Dieser Beitrag entstand im Rahmen eines Recherchestipendiums der DGVN zum Thema „Herausforderung Mixed Migration“, finanziert mit Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ).

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