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Digitale Benachteiligung: Was unternehmen die Vereinten Nationen dagegen?

Ungleiche Behandlung und mangelnde Teilhabe sind diskriminierend. Die Vereinten Nationen haben das Ziel, auch digital niemand zurückzulassen – aber wie können die Menschenrechte im virtuellen Raum verteidigt werden?

Auf zwei Bildschirmen sieht man die Videocall-Kacheln von UN-Generalsekretär Guterres und von einigen Mädchen und jungen Frauen
Virtueller Austausch: UN-Generalsekretär António Guterres mit Mitgliedern der Girl MOVE Akademie. Foto: UN Photo/Manuel Elías

Online-Shopping, Homeschooling und digitale Partnersuche: viele Bereiche des Lebens haben sich in den virtuellen Raum verschoben. Diese Entwicklung wurde die durch die Covid-19-Pandemie noch verstärkt wurde. Der Digital Economy Report 2021 der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD) prognostiziert, dass der weltweite Internetverkehr – der sogenannte Traffic – allein im Jahr 2022 den gesamten Internetverkehr, der bis zum Jahr 2016 gemessen wurde, übersteigen wird. Bereits bis zum Jahr 2026 soll der globale Datenverkehr auf monatlich 780 Exabytes anwachsen und sich damit mehr als verdreifachen.  

Dennoch profitieren bislang nur Wenige von der zunehmenden Digitalisierung. Der UNCTAD-Report verdeutlicht den Ursprung des Ungleichgewichts: die größten Unternehmen der Digitalwirtschaft konzentrieren sich auf lediglich zwei Länder. Die USA und China dominieren 90 Prozent des weltweiten Internetmarktes.

Ungleicher Zugang zur digitalen Welt

Daher ist es kein Wunder, dass bereits der Zugang zur digitalen Welt global unterschiedlich hohe Hürden aufweist. 3,6 Milliarden Menschen haben keinen Internetanschluss, schreibt Sven Hilbig im Blog für Brot für die Welt.   Während in Europa 80 Prozent aller Internetnutzer auch online einkaufen, sind es in den ärmsten Ländern der Welt, den Least Developed Countries (LDCs), gerade einmal neun Prozent. Aus dem Report geht ebenfalls hervor, dass in den LDCs 23 Prozent der Menschen keinen mobilen Internetzugang haben. Aufgrund unzureichender Breitbandnetz-Versorgung gibt es vor allem im ländlichen Raum oft kein Netz. Und falls doch, ist es im Verhältnis zum örtlichen Einkommen deutlich teurer als für Menschen in Industrie- und Schwellenländern.

Gerade deshalb appelliert UN-Generalsekretär António Guterres in der Einleitung des UN Digital Economy Reports, dass es eine Hauptaufgabe der UN sei, die digitale Teilhabe zu steuern und dessen Vorteile global zugänglich zu machen. Im Bericht des UN-Secretary-General’s High-level Panel on Digital Cooperation ist zudem das Ziel festgehalten, dass im Rahmen der Einhaltung der Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) bis zum Jahr 2030 jeder Erwachsene bezahlbaren Internetzugang erhalten soll.

Algorithmen als Spiegel der Gesellschaft

Doch was sind überhaupt Daten, warum sind sie so wertvoll und wie können sie jemanden diskriminieren? Laut UN Digital Economy Report sind Daten kleine Informationsbruchteile, die der Mensch verstehen kann. Dies ähnelt der juristischen Definition, nach der Daten kodierte Informationen sind, die verarbeitet werden können. Die Datenherstellung oder -übermittlung findet meist durch Algorithmen statt. Die in Oxford tätige Juraprofessorin Sandra Wachter erklärt in einem Interview der Dokureihe „Digital Empire“ im ZDF, dass  Algorithmen der Spiegel unserer Gesellschaft seien.

Algorithmen entscheiden bereits heute darüber, ob wir kreditwürdig sind, eine Wohnung oder einen Job bekommen, oder welche Informationen und Medieninhalte uns in Suchmaschinen und auf Plattformen angezeigt werden. Sandra Wachter betont, dass insbesondere „Frauen, People of Colour und Menschen der LGBTQ-Community“ spiegelbildlich zur analogen Welt, auch digital von diskriminierender Ungleichbehandlung betroffen sind. Die Tatsache, dass die Algorithmen überwiegend von Männern geschrieben werden, spielt dabei ebenfalls eine Rolle. Die Autorinnen und Autoren des Global Gender Gap Report 2022 des World Economic Forum (WEF) stellen fest, dass im Jahr 2019 fünf Mal so viele Männer wie Frauen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie einen Abschluss erhielten.

Diese kodierte Ungerechtigkeit erfährt Ihren Höhepunkt in der ebenfalls digitaler werdenden Medizin: wenn etwa die Erkrankung einer Frau falsch diagnostiziert wird, oder sie eine überhöhte Medikationsdosierung erhält, weil die Datengrundlage aus klinischen Studien überwiegend auf der Basis von Untersuchungen an Männern erfolgte und in entsprechende Algorithmen übertragen wurde, so Professor Sylvia Thun im Interview.

Die Beispiele zeigen, dass die Menschenrechte auch in digitalen Algorithmen implementiert werden müssten, damit jene wirklich ein Abbild unserer diversen Gesellschaft darstellen. Ohne eine entsprechende Reglementierung und Kontrolle ist die Gefahr, dass die Menschenrechte verletzt werden, nur einen Klick entfernt.

Die Rolle der UN für eine inklusive Digitalisierung

Laut UNCTAD-Bericht sind Daten ein multidimensionales Gut, das ebenso menschenrechtliche wie sicherheitspolitische Aspekte beinhaltet. Darum sollten sie nicht wie Waren behandelt werden, die durch Handelsabkommen geregelt werden.  Die Vereinten Nationen setzen sich deshalb für ein Rahmenabkommen ein, dass die rechtlichen Grundlagen für grenzüberschreitenden Datenverkehr festlegen soll. Hiervon würden vor allem die LDCs profitieren. Laut UNCTAD haben 48 Prozent der LDCs keine Datenschutzgesetze verabschiedet.

Damit Daten tatsächlich als multidimensionales Gut angesehen werden können, darf der Zugang nicht exklusiv und lediglich Privilegierten vorbehalten bleiben. Zeitgleich müssten die Menschenrechte mit den digitalen Technologien in Einklang gebracht werden. Auch hier besetzen die UN eine Schlüsselrolle für den Austausch zwischen Bevölkerungen, Regierungen und Technologie-Konzernen.

Einen kleinen Lichtblick – zumindest auf nationaler Ebene im Bereich des Urheberrechts – stellt das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 2. Juni 2022 dar, nach welchem Plattformen wie Youtube für Urheberrechtsverletzungen ihrer Nutzer haftbar gemacht werden können.

Auch wenn ein rechtlich bindender multilateraler Rahmen für digitale Belange jetzt schon dringend benötigt wird, befindet sich die Menschheit laut UN Digital Cooperation Report gerade erst in den Startlöchern des digitalen Zeitalters. Darum ist es umso wichtiger, schnell entsprechende Regulierungswerkzeuge einzurichten. Schließlich sollte die Digitalisierung nicht zulasten der Menschenrechte voranschreiten.  

Von Alexander Müller

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