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Die UN befasst sich mit Rassismus und Polizeigewalt

Nach der Ermordung von George Floyd im Jahr 2020 führten Massenproteste zu Diskussionen darüber, wie die weltweite Polizeigewalt gegen Schwarze eingedämmt werden kann. Wie geht die UN mit dem Thema um? Ein aktueller Bericht gibt Einblicke.

Zahlreiche Demonstrantinnen und Demonstranten mit Mund-Nasen-Schutz demonstrieren mit Plakaten gegen Polizeigewalt.
Nach dem Tod von George Floyd im Mai 2020 kommt es in New York City zu Protesten gegen Rassismus und Polizeigewalt. (UN Photo/Evan Schneider)

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Nach der Ermordung von George Floyd in den USA im Mai 2020 stand das Thema Rassismus auch bei den Vereinten Nationen auf der Agenda: Burkina Faso forderte den UN-Menschenrechtsrat im Namen der African Group dazu auf, eine dringend notwendige Debatte zur Problematik der gegen Schwarze gerichteten „Menschenrechtsverletzungen, systemischem Rassismus, polizeilicher Gewalt und Gewalt gegen friedliche Demonstranten” zu führen. Die Debatte, die im Juni 2020 begann, ergab, dass Menschen afrikanischer Abstammung nach wie vor strukturellem Rassismus ausgesetzt sind und dass die rassistisch motivierte Diskriminierung schwarzer Bürger der USA beseitigt werden muss.

Untersuchung trotz erster Kritik

Die Trump-Regierung und einige ihrer internationalen Verbündeten sprachen sich jedoch gegen eine auf die USA beschränkte Untersuchung aus. Sie erklärten, eine derartige Untersuchung eines Landes, das nach Aussage von Lana Marks, der Botschafterin der USA in Südafrika, „aktive Maßnahmen gegen Menschenrechtsverletzungen [ergreife]”, sei unfair. Andere Stimmen gaben zu bedenken, dass der Menschenrechtsrat sich beim Kampf gegen Rassismus nicht nur auf ein Land konzentrieren solle, weil Rassismus ein weit verbreitetes, internationales Phänomen sei. Letzten Endes wurde der Beschluss gefasst, einen Bericht zu erstellen, in dem die Themen systemischer Rassismus, Polizeigewalt und Menschenrechtsverletzungen gegen Menschen afrikanischer Abstammung in einem breiteren, internationalen Zusammenhang untersucht werden sollten.

Der Bericht wurde im Juni 2021 veröffentlicht. In ihm wird betont, wie wichtig es sei, die „Stimmen von Menschen afrikanischer Abstammung, die Opfer von Menschenrechtsverletzungen geworden sind, und von deren Familien” in den Mittelpunkt zu stellen. Auf ihre Sorgen und Nöte müsse angemessen reagiert werden. Als weitere Ziele des Berichts werden folgende Punkte genannt: Die „Überwindung einer Kultur der Verleugnung, die Abschaffung des systemischen Rassismus und eine Beschleunigung der hierzu notwendigen Maßnahmen”. Schließlich wird konstatiert, dass es unabdingbar sei, „das eigene Erbe zu akzeptieren und sich ihm zu stellen, auch durch die Übernahme von Verantwortung und durch aktive Wiedergutmachung”.

Verantwortlichkeit schaffen: Es fängt bei den Daten an

Um mit der Bekämpfung des systemischen Rassismus zu beginnen, müssen umfangreiche Daten im Einklang mit den internationalen Richtlinien für Menschenrechte erhoben und öffentlich zugänglich gemacht werden. Diese Daten sollen nach ethnischer Herkunft sowie nach anderen Faktoren, die eine intersektionelle Perspektive ermöglichen, aufgeschlüsselt sein. Derzeit werden die Daten, die über polizeilich verursachte Todesfälle und über die Auswirkungen von Gesetzen, Vorschriften und Praktiken auf bestimmte rassische oder ethnische Gruppen vorliegen, in der Regel von regionalen Gremien, Organisationen der Zivilgesellschaft, Medien, Universitäten und Expertenkommissionen gesammelt. Viele Regierungen oder Strafverfolgungsbehörden erheben keine Daten zu diesen Themen erheben, weshalb andere Organisationen diese Lücke in der Forschung füllen müssen. Der UN-Bericht weist auch darauf hin, dass die vom Staat gesammelten Daten zu diesen Themen oft nicht für eine wirksame Politikgestaltung genutzt werden. Und: die Tatsache, dass staatliche Stellen und Strafverfolgungsbehörden nicht selbst entsprechende Daten erheben, trägt dazu bei, dass niemand die Verantwortung für diese Missstände übernimmt.

Drei Polizeibeamte mit Schutzvisier und Uniform
Polizeibeamte beobachten eine Demonstration gegen Rassismus und Polizeigewalt in New York. (UN Photo/Evan Schneider)

Die im UN-Bericht dargelegten aktuellen Statistiken zu Polizeigewalt und Menschenrechtsverletzungen gegen schwarze Menschen zeichnen ein klares Bild des weltweiten systemischen Rassismus. Im Jahr 2019 machten Afroamerikaner nur dreizehn Prozent der US-Bevölkerung aus, waren aber von sechsundzwanzig Prozent aller Verhaftungen betroffen. Im Vereinigten Königreich kamen zwischen April 2019 und März 2020 auf eintausend Weiße nur sechs Kontrollen und Durchsuchungen, auf eintausend Schwarze dagegen vierundfünfzig. Und eine Studie des Défenseur des droits aus dem Jahr 2016 zeigt, dass in Frankreich „junge Männer, die als Araber/Maghrebiner oder Schwarze wahrgenommen werden, zwanzigmal häufiger einer Identitätskontrolle unterzogen werden als andere und dass sie bei Polizeikontrollen deutlich häufiger beleidigendem Verhalten und körperlichen Misshandlungen ausgesetzt sind“.

Das Büro des UN-Hochkommissars für Menschenrechte hat nicht nur bestehende Statistiken ausgewertet, sondern auch Primärdaten zusammengetragen. Daraus geht hervor, dass mindestens 98 Prozent der 190 von Strafverfolgungsbehörden verursachten Vorfälle, bei denen Afrikaner und Menschen afrikanischer Abstammung getötet wurden, in Europa, Lateinamerika und Nordamerika stattfanden. Schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen gegen afrikanische Geflüchtete wurden aber auch in anderen Teilen der Welt, wie etwa in Libyen, festgestellt. Angesichts der außerordentlich hohen Zahl von 98 Prozent ist es jedoch offensichtlich, dass die Regionen Europa, Lateinamerika und Nordamerika in dieser Frage stärkere Aufmerksamkeit verdienen.

Die Notwendigkeit eines antirassistischen Diskurses

Dem Bericht zufolge beruht der Fortbestand des systemischen Rassismus im Wesentlichen auf dem Irrglauben, dass „rassendiskriminierende Strukturen“ seit der Abschaffung der Sklaverei und dem Ende des Kolonialismus nicht mehr existieren. Stattdessen glaubt man, dass die Maßnahmen der Regierungen zur Schaffung gesellschaftlicher Gleichheit ihr Ziel erreicht haben. Doch um den systemischen Rassismus zu bekämpfen, müssten alle Länder, insbesondere ehemalige Kolonialmächte und solche, in deren Vergangenheit Sklavenhandel eine Rolle spielte, daran arbeiten, in allen Bereichen der Bildung neue Diskurse zu verankern. Rassismus, das koloniale Erbe und die rassistischen Ungerechtigkeiten, Ungleichheiten und Menschenrechtsverletzungen, denen schwarze Menschen auch heute noch ausgesetzt sind, dürfen nicht länger geleugnet werden. Angesichts der Tatsache, dass viele der derzeitigen Machthaber weiterhin rassistische Fehleinschätzungen verbreiten wie die, dass Schwarze, einschließlich Migranten, öfter als Weiße in kriminelle Aktivitäten verwickelt seien, ist allerdings fraglich, wieviel Einfluss der OHCHR-Bericht haben wird.

Neues UN-Gremium über Rassismus in der Polizeiarbeit

Im Anschluss an den Bericht haben die UN ein Gremium aus drei Experten für Strafverfolgung und Menschenrechte eingesetzt, das den systemischen Rassismus in der Polizeiarbeit untersuchen soll. Sie werden drei Jahre Zeit haben, um die Untersuchung durchzuführen. Diese Untersuchung wird auch Analysen der Auswirkungen von Sklaverei und Kolonialismus umfassen und Empfehlungen für Veränderungen beinhalten. Weil der Mord an George Floyd in den USA für die Diskussion über systemischen Rassismus und Polizeibrutalität von zentraler Bedeutung ist, wird sich das Gremium, obwohl es die Polizeiarbeit weltweit untersuchen wird, hauptsächlich auf die USA konzentrieren. Daneben sorgt der breitere Kontext der Untersuchung dafür, dass systemischer Rassismus und Polizeibrutalität auch weiterhin als globales Problem wahrgenommen werden.

Der UN-Bericht und das eingesetzte Gremium sind sicherlich nur kleine Schritte im jahrzehntelangen Kampf gegen Rassismus in der Polizeiarbeit. Doch die Zusammenarbeit mit Basisbewegungen wie Black-Lives-Matter und den Familien der von Polizeibeamten getöteten Menschen ist ein Schritt in die richtige Richtung ist.

Von Teri Shardlow

Aus dem Englischen von Caroline Härdter

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