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Deutschland auf dem Prüfstand vor den Vereinten Nationen

Deutschland wurde am 9. November 2023 beim Universellen Periodischen Überprüfungsverfahren (UPR) vor dem UN-Menschenrechtsrat überprüft. Nichtregierungsorganisationen hatten gemeinsam Themen und Vorschläge eingebracht. Die Annahme der schriftlichen Empfehlungen durch Deutschland steht noch aus.

Der dicht gefüllte Sitzungssaal des UN-Menschenrechtsrates.
Sitzung des UN-Menschenrechtsrates (UN Photo/Jean-Marc Ferré)

Appell-Aktionen, Mahnwachen und Lobbyarbeit: Es gibt viele Möglichkeiten, wie sich zivilgesellschaftliche Organisationen wie Amnesty International für die Menschenrechte einsetzen. Berichte für das sogenannte Universelle Periodische Überprüfungsverfahren (Universal Periodic Review - UPR) des UN-Menschenrechtsrates gehören ebenfalls dazu. Das Verfahren bietet die Gelegenheit, zur Menschenrechtslage in einem UN-Mitgliedstaat Stellung zu nehmen. Auch die Zivilgesellschaft kann Forderungen formulieren und auf Menschenrechtsverletzungen im jeweiligen Staat aufmerksam machen. Das ist wichtig, weil Staaten oft versuchen, sich in ein gutes Licht zu rücken. 

Deutschland musste am 9. November vor dem UN-Menschenrechtsrat Rede und Antwort stehen. Im Anschluss werden die Empfehlungen der anderen Staaten an Deutschland zusammengefasst und die Bundesregierung muss dazu Stellung beziehen. Für Deutschland ist das die vierte Überprüfung nach 2018, 2013 und 2009. Zu den Forderungen von Amnesty International gehören beispielsweise konkrete Maßnahmen, um gegen systemischen und institutionellen Rassismus sowie Hasskriminalität vorzugehen. Außerdem gibt es Handlungsbedarf zur Wahrung der Rechte von Frauen, LGBTI+ sowie von geflüchteten und asylsuchenden Menschen und zum Schutz der Versammlungsfreiheit.

Was genau ist dieses Überprüfungsverfahren?

Das Universelle Periodische Überprüfungsverfahren findet seit 2007 vor dem UN-Menschenrechtsrat statt. Ziel ist, die Menschenrechtslage in den 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen zu verbessern. Alle Staaten werden nacheinander überprüft. 2022 startete der vierte Turnus.

Den Ausgangspunkt für die Überprüfung bilden drei Berichte. Ein Bericht wird von dem Staat eingereicht, der überprüft wird. Ein weiterer wird vom Hochkommissariat der Vereinten Nationen für Menschenrechte (Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights – OHCHR) verfasst. Der dritte setzt sich aus Berichten der Zivilgesellschaft sowie von nationalen Institutionen für die Menschenrechte und zwischenstaatlichen Organisationen zusammen. Zu diesem Bericht trägt auch Amnesty International bei. Nachdem der Staat in Genf Rede und Antwort stehen musste, spricht der UN-Menschenrechtsrat Empfehlungen aus. Der überprüfte Staat muss dann Stellung beziehen, welche der Empfehlungen er annehmen und umsetzten wird.   

Wieso beteiligt sich Amnesty International an dem Verfahren?

Schon seit 2007, also dem Beginn des Universellen Periodischen Überprüfungsverfahrens, reicht Amnesty International wie auch andere NGOs Berichte zur menschenrechtlichen Situation in den jeweiligen Ländern bei den Vereinten Nationen ein. Dabei geben wir auch Empfehlungen ab, wie die Menschenrechte gestärkt werden können. Bei späteren Berichten wird außerdem bewertet, ob es zu Verbesserungen gekommen ist.

Nach der mündlichen Erörterung im Menschenrechtsrat wird ein Bericht mit den Empfehlungen aller anderen Staaten zusammengefasst. Hierbei werden auch Vorschläge aus dem Bericht der Zivilgesellschaft aufgenommen. Der überprüfte Staat muss sich zu jeder Empfehlung klar positionieren.

Mit der Annahme von Empfehlungen und der Abgabe freiwilliger Verpflichtungen bindet sich der Staat politisch, diese bis zur nächsten periodischen Überprüfung umzusetzen. Beispielsweise wurden 2018 bei der letzten Überprüfung knapp 260 Empfehlungen an Deutschland ausgesprochen. Davon hat Deutschland 209 angenommen. Gemeinsam mit anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren setzt sich Amnesty International dafür ein, dass die Umsetzung dann Realität wird.

Forderungen an Deutschland

Auch wenn Deutschland einige Empfehlungen der letzten Überprüfung umgesetzt hat, besteht weiterhin Handlungsbedarf zur Verbesserung der Menschenrechtslage. Dazu gehören Maßnahmen, um systemischen und institutionellen Rassismus und Hasskriminalität zu adressieren. Unter anderem müssen anlasslose Kontrollmöglichkeiten der Polizei als Einfallstor für Racial Profiling abgeschafft und Möglichkeiten geschaffen werden, Vorwürfe gegen die Polizei unabhängig zu untersuchen. Es besteht Änderungsbedarf bei Gesetzen, welche die Versammlungsfreiheit unverhältnismäßig einschränken und alle Überwachungsmaßnahmen müssen das Recht auf Privatsphäre wahren.

Schwangerschaftsabbrüche müssen entkriminalisiert und zugänglicher gemacht werden. Geschlechtsspezifische Gewalt muss zudem effektiv bekämpft werden. Deutschland muss die Rechte von LGBTI+ gewährleisten, unter anderem durch die rechtliche Anerkennung des Geschlechts auf der Grundlage der Selbstauskunft einer Person. Des Weiteren müssen die Rechte von Asylsuchenden und Geflüchteten geschützt werden. Dazu gehört ein umfassendes Recht auf Familiennachzug und die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums für Asylsuchende.

Bezüglich der Verantwortung von Unternehmen ruft Amnesty International die Bundesregierung dazu auf, sich für ein starkes EU-Lieferkettengesetz einzusetzen. Deutschland muss zudem seiner menschenrechtlichen Verantwortung mit Blick auf die Klimakrise gerecht werden. Dazu gehört die Festsetzung von effektiven Emissionsminderungszielen sowie mehr Unterstützung für Länder, die von den Auswirkungen der Klimakrise betroffen sind.

Wie geht es jetzt weiter?

Am 9. November war Deutschland mit einer großen Delegation von Regierungsvertretenden in Genf. Viele Nichtregierungsorganisationen und das Deutsche Institut für Menschenrechte waren ebenfalls vor Ort. Dieses Mal ist positiv aufgefallen, dass insbesondere die Beauftragte für Menschenrechte der Bundesregierung Verbesserungsbedarf in Deutschland angesprochen hat. Selbstkritik ist nicht immer eine Stärke der Staaten.

Aktuell arbeitet der Menschenrechtsrat schriftliche Empfehlungen aus. Danach ist die Bundesregierung an der Reihe und muss entscheiden, welche der Empfehlungen sie annimmt. Die Zivilgesellschaft wird sich dafür einsetzen, dass Deutschland substantiellen Verbesserungen nicht aus dem Weg geht. Im Anschluss werden wir Deutschland immer wieder an die Umsetzung der Empfehlungen erinnern. Denn nach der Überprüfung ist vor der Überprüfung – die nächste steht voraussichtlich 2028 bevor.

Beate Streicher, Amnesty International

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