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Debatte: 50 Jahre deutsche Mitgliedschaft in den UN: Endlich mehr Repräsentanz wagen

1973: Willy Brandts Ostpolitik öffnete die UN für Deutschland. Trotz Engagements gibt es Defizite in der UN: fehlende Vielfalt, ungleiche Repräsentation und globale Ungerechtigkeit. Angesichts aktueller Krisen wie dem Russland-Ukraine-Konflikt braucht es dringend strukturelle Reformen.

Das UN-Hauptquartier mit Länderflaggen an einem sonnigen Tag.
Hauptquartier der Vereinten Nationen (UN Photo/Manuel Elías)

Der 18. September 1973 markiert einen Meilenstein in der deutschen Geschichte. Denn erst die Ostpolitik Willy Brandts läutete eine neue Entspannungsphase im Ost-West-Konflikt und ein politisches Umdenken ein, das sich auch 1972 im Grundlagenvertrag zwischen BRD und DDR niederschlug. So öffneten sich 28 Jahre nach Gründung der Vereinten Nationen die Türen für beide deutsche Staaten in das Staatenbündnis. Vorher war dies schier unvorstellbar. Weder die BRD noch die DDR sowie die westlichen Alliierten als auch die Sowjetunion hätten bei dem anderen einen Alleinvertretungsanspruch als einzig legitimen deutschen Staat akzeptiert. Somit war der Zugang in die Weltorganisation für beide Länder versperrt.

In seiner ersten Rede vor den Vereinten Nationen betonte Willy Brandt, dass die BRD: „auf der Grundlage unserer Überzeugungen und im Rahmen unserer Möglichkeiten - weltpolitische Mitverantwortung“ übernehmen werde. Und so wurde das Engagement in den Vereinten Nationen Teil der deutschen außenpolitischen DNA. Deutschland ist seit dem Beitritt ein engagierter politischer Akteur in den Vereinten Nationen. Sowohl als nicht-ständiges Mitglied im Sicherheitsrat, zuletzt 2019/20, als auch durch den Einsatz von Personal, zum Beispiel bei den Friedensmissionen, übernimmt Deutschland Verantwortung. Als zweitgrößter Beitragszahler hinter den USA für das gesamte UN-System und zweitgrößter bilateraler Geber humanitärer Hilfe setzt sich Deutschland für die Stärkung der internationalen regelbasierenden Ordnung auf Grundlage der Charta der Vereinten Nationen ein. 

Knapp 80 Jahre nach Gründung der Vereinten Nationen und nach 50 Jahren Mitgliedschaft Deutschlands stellt sich auch angesichts der sich immer mehr zuspitzenden internationalen Krisen die Frage:

Sind die Vereinten Nationen in ihrer jetzigen Form noch zeitgemäß oder sind strukturelle Reformen unerlässlich? 

Die Vereinten Nationen – ein Staatenbündnis aus 193 Nationen und damit fast der gesamten Weltbevölkerung. Ein Bündnis, das eigentlich dadurch Vielfältigkeit repräsentiert, die sich aber in den wichtigen Entscheidungsgremien kaum widerspiegelt. So sind lediglich fünf Staaten im UN-Sicherheitsrat vertreten. Afrika und Lateinamerika sind gar nicht vertreten, Asien nur durch China repräsentiert. Auch Deutschland als zweitgrößter Finanzier nach den USA verfügt über keinen ständigen Sitz im höchsten UN-Gremium.

Die Repräsentanz von Frauen in den Vereinten Nationen ist leider immer noch alles andere als ausreichend. Auf der letzten Generalversammlung dauerte es sage und schreibe sechs Stunden und fünfzehn männliche Redner, bis mit der ungarischen Präsidentin Katalin Novak, die erste Frau zur Weltgemeinschaft sprach. Im wichtigsten internationalen Gremium, an dem Ort, wo um Frieden gerungen wird, ist die Hälfte der Weltbevölkerung immer noch nicht ausreichend vertreten. Repräsentanz ist aber essenziell, um ein vollständiges Bild der Welt zu erhalten. Uns muss es aber um noch mehr als Repräsentanz gehen, nämlich um internationale Gerechtigkeit:

  • Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern;
  • Gerechtigkeit zwischen wirtschaftlich armen und reichen Nationen;
  • Gerechtigkeit zwischen Globalem Norden und Süden.

Davon sind die Vereinten Nationen aber noch weit entfernt. Stattdessen haben wir ein Staatenbündnis, das den Auftrag hat, Frieden zu bewahren und Konflikten vorzubeugen, mitten in einer Gegenwart von Krisen und Kriegen, die einige Vetomächte selbst verursacht haben.

Die Resolution der Generalversammlung am 2. März 2022 forderte die sofortige Einstellung der Gewalt Russlands gegen die Ukraine und den unverzüglichen und bedingungslosen Abzug aller russischen Streitkräfte aus dem international anerkannten Hoheitsgebiet der Ukraine. Diese Resolution hat leider zu keinem Umdenken bei der russischen Führung geführt. Keiner Forderung wurde nachgekommen. Die Vereinten Nationen befinden sich in einer Krise, zweifellos. Die Handlungsspielräume sind in der aktuellen Lage begrenzter, doch gibt es Wege. Und es ist jetzt an der Zeit, die dringend notwendigen Reformen anzustoßen: Denn in der Zeit der weltweiten Polykrisen, also gerade jetzt, brauchen wir ein Gremium, das ernst genommen wird und keinen scheinbar zahnlosen Tiger.

Deshalb reicht es nicht mehr, nur den Status Quo zu verteidigen.

Der Weltgemeinschaft muss klar sein, dass die Menschheit eine regelbasierte internationale Ordnung braucht, um aus der Gewaltspirale zu kommen. Wenn wir eine Weltorganisation haben wollen, die Frieden und Sicherheit gewährleistet, die als Vermittlerin anerkannt und deren Votum als zumindest moralisch bindend wahrgenommen wird, braucht es eine grundlegende Reform. Wir brauchen ein starkes und ausgewogenes Staatenbündnis.

Deutschland hat sich in den vergangenen Jahrzehnten zu einem verlässlichen und geschätzten Partner innerhalb der Vereinten Nationen etabliert. Es muss und kann sein politisches Gewicht nutzen, um eine Reform voranzutreiben. Der Sicherheitsrat muss durch eine Erweiterung an die geopolitischen Realitäten des 21. Jahrhundert angepasst werden. Hierzu zählt es, dem bevölkerungsreichsten Land Indien, wie auch afrikanischen und südamerikanischen Ländern dauerhaft eine Stimme zu geben. Und auch Deutschland selbst will nach viermaliger rotierender Mitgliedschaft einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat haben.

Auch wenn die Umsetzung dieses Vorhabens in weiter Ferne scheint, so sollte Deutschland daran selbstbewusst festhalten. Erinnern wir uns also an das Jahr 1973 als ein Jahr, in dem auch ein vormalig weit entferntes Ziel erreicht wurde. Halten wir an dem Ideal einer internationalen regelbasierten Ordnung fest und begeben uns den Weg hin zu gerechteren und auch durchsetzungsfähigeren Vereinten Nationen. Denn wie Willy Brandt schon 1973 richtig sagte: „Rückschläge auf dem Weg zu einem Ideal beweisen nicht notwendig, dass jenes Ideal falsch ist, sondern oft nur, dass der Weg besser sein könnte“.

Rebecca Schamber, MdB

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