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Anhaltende Proteste in Iran: Wie reagieren die Vereinten Nationen?

Trotz massiver Repressionen reißen die Proteste gegen die iranische Regierung nicht ab. Eine junge Generation findet ihre Stimme, fühlt sich aber auch von der internationalen Gemeinschaft allein gelassen. Können die Vereinten Nationen dem Kampf nach politischer Freiheit mehr Nachdruck zu verleihen?

Viele Studierende Protestieren an der Amir Kabir Universität in Teheran
Studierende protestieren an der Amir Kabir Universität in Teheran, September 2022. Photo: Darafsh (CC BY-SA 4.0)

Seit knapp zwei Monaten protestieren tausende Menschen im Iran gegen das autokratische Regime der islamischen Republik. Sie kämpfen für ein politisches System, das ihre grundlegenden politischen und persönlichen Rechte achtet. Auslöser der mittlerweile landesweiten Proteste war der gewaltsame Tod der 22-jährigen Mahsa Amini durch die iranische Sittenpolizei, der die strukturelle Unterdrückung und Gewalt gegen Frauen durch das  Regime einmal mehr unter Beweis stellte.

Auch wenn die Geschichte der islamischen Republik Iran durch eine lange Reihe von Protesten und Aufständen geprägt ist, fällt die derzeitige Bewegung durch ihren besonderen Charakter ins Auge: Vor allem junge Menschen, Frauen und Mädchen, Studierende und Schüler begehren landesweit in einem Maß von Entschlossenheit gegen die Strukturen, das die Welt und die Machthabenden des Landes überrascht. Auf die angestaute Unzufriedenheit, Wut und das Selbstbewusstsein, mit dem die neuen Generationen ein anderes Iran einfordern, reagiert die politische Elite mit Zensur und Gewalt. Mindestens 200 Menschen kamen bislang ums Leben, darunter 30 Kinder und Minderjährige, berichtet Amnesty International.

Aufbegehren der jungen Generation angesichts wachsender Repressionen

Der Großteil der Menschen, die dieser Tage ihre Sicherheit aufs Spiel setzen, wurde nach dem Umbruch der islamischen Revolution von 1979 geboren. Sie verkörpern eine junge, gebildete Generation, die sich von der Ideologie der iranischen Führung selbstbewusst distanziert und sich gegen die Isolation durch das Regime zur Wehr setzt. Die Kulturpolitik der islamischen Führung der letzten Jahrzehnte kann als gescheitert angesehen werden – zu groß wird von vielen Iranerinnen und Iranern der Widerspruch zwischen der islamistischen Ideologie und der persönlichen Freiheit sowie des Wissens über mögliche alternative Lebensweisen erlebt. Trotz massiver Zensurversuche schaffen es die Sicherheitskräfte nicht, den schnellen Fluss von Informationen und Bildern über die landesweiten Proteste völlig einzudämmen.

Zum einen würde eine komplette Blockade des Internets auch die wirtschaftliche Grundlage des Regimes empfindlich treffen. Zum anderen wissen die jungen Menschen über Werkzeuge wie „Snowflake“ – ein Zugang zum anonymen Tor-Netzwerk – geschickt die Zensur zu umgehen. Schulen und Universitäten sind zu wichtigen Knotenpunkten des Widerstandes geworden und auch die Elterngeneration der derzeit Protestierenden solidarisiert sich zunehmend mit der Forderung „Frau, Freiheit, Leben“. Gleichwohl erwarten Wenige ein Einlenken der politischen Elite oder des Sicherheitsapparates, der dafür ausgebildet wurde, politischer Opposition mit größtmöglicher Härte zu begegnen. Tausenden Menschen, die während der letzten Wochen verhaftet wurden, drohen drakonische Strafen bis zu Hinrichtungen – so wie zuletzt vom iranischen Parlament gefordert.

Für viele in- und außerhalb des Iran stellt sich seit Wochen die drängende Frage, ob und wie die internationale Gemeinschaft ihren Teil beitragen kann, damit die Proteste nicht unter der zunehmenden Repression zum Erliegen kommen.

Reaktionen innerhalb der Vereinten Nationen

Auf hoher politischer Ebene im UN-System folgten Ende September erste Reaktionen, als eine Sprecherin des Büros des Hohen Kommissars für Menschenrechte (OHCHR) Besorgnis über die gewaltsame Reaktion der Sicherheitsbehörden ausdrückte. Das OHCHR folgte damit einem Statement des UN-Generalsekretärs António Guterres, der zuvor gegenüber dem Präsidenten der iranischen Republik, Ebrahim Raisi, die Einhaltung der politischen und persönlichen Freiheitsrechte angemahnt hatte.

Ende Oktober folgten weitere Stellungnahmen von UN-Sondergesandten, welche die verschärfte Regulierung und Zensur des Internets und der sozialen Medien dokumentieren und in Hinblick auf die Einschränkung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit kritisieren. Kurz danach bekräftigte der Sondergesandte „zur Situation der Menschenrechte in der Iranischen Republik“, Javaid Rehman, seine Forderung nach einem unabhängigen Untersuchungsmechanismus, um auf die „chronische Straflosigkeit“ der iranischen Behörden zu reagieren.

Forderungen aus der Zivilgesellschaft an die Vereinten Nationen

Trotz dieser vermehrten Stimmen aus UN-Organisationen, die sich für den Schutz und die Rechte der Protestierenden im Iran aussprechen, mehrt sich die Kritik an einer zu zaghaften Reaktion seitens der Vereinten Nationen. So beispielsweise in einem Offenen Brief zahlreicher internationaler Organisationen und Initiativen, die das OHCHR zur eiligen Einberufung einer Sondersitzung aufrufen: „Angesichts der Schwere der Gewalttaten und gravierenden Menschenrechtsverletzungen“ durch die Sicherheitskräfte müsse schleunigst ein unabhängiger Mechanismus zur Aufklärung, Dokumentation und Rechenschaft eingerichtet werden, heißt es in dem Brief. Angeklagt wird der Einsatz von scharfer Munition durch die Sicherheitskräfte sowie die willkürlichen Verhaftungen von Tausenden Personen (bis zu 14.000, laut dem Iran Journal), denen schwere Strafen drohen. In den Worten der Unterzeichnenden müsse die internationale Gemeinschaft nun geschlossen reagieren und über „Erklärungen der Empörung und Aufforderungen“ hinaus konkrete Untersuchungen einleiten.

In dem offenen Brief wird die Stimme des Vaters von Milan Haghigi zitiert, eines 21-jährigen Mannes, der von den Sicherheitskräften getötet wurde: „Die Menschen erwarten von der UN, dass sie uns und die Demonstranten verteidigt. Auch ich kann [die iranischen Behörden] verurteilen, die ganze Welt kann sie verurteilen, aber wozu dient diese Verurteilung?" Der Forderung nach einem unabhängigen UN-Untersuchungsmechanismus verlieh auch Amnesty International Nachdruck: Am 2. November reichte die Organisation im Namen von 760.000 Menschen aus 218 Staaten konkrete Forderungen an Vertreterinnen und Vertreter der Vereinten Nationen in New York ein – parallel zu gezielten Forderungen an die Außenministerien verschiedener Staaten, darunter Deutschland.

Konkrete Maßnahmen sind nicht absehbar

Maßnahmen durch den UN-Sicherheitsapparat sind allerdings nicht zu erwarten, da die ständigen Mitglieder China und Russland dies blockieren. Dennoch zeichnet sich auf UN-Ebene Bewegung ab: Auf Druck der deutschen und isländischen Regierung beschloss der UN-Menschenrechtsrat am 24. November mehrheitlich (mit 25 zu 6 Stimmen) eine Resolution zur Einrichtung einer Untersuchungskommission. Bei der Sammlung von gerichtsfesten Beweisen für Menschenrechtsverletzungen im Iran soll laut Resolution auch die „Gender Dimension“ eine explizite Rolle spielen. Leicht wird dies nicht, denn mit Kooperation durch die iranischen Behörden ist nicht zu rechnen. Beweise können jedoch auf auf anderen Wegen zusammengestellt werden und politisch sendet der Beschluss ein wichtiges politisches Signal.

Von Wasil Schauseil

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