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Albanien: Vom Neuanfang nach dem gescheiterten Asylantrag

Wird ein Asylbescheid abgelehnt, bedeutet das zunächst ein Ende. Doch was passiert mit denjenigen, die gezwungenermaßen in ihr Heimatland zurückkehren? Ein Besuch bei Menschen, deren Migration scheiterte, und bei einer UN-Institution, die ihnen den Neustart in der alten Heimat erleichtert.

Eine Frau mit grünem Kopftuch lächelt freundlich in die Kamera
Die Konditorin Enkeleda Merko. (Foto: Leonhard Simon)

Das neue Leben, es ist süß. Und es ist lecker. Ein einstöckiges, kahles Gebäude an einer staubigen Durchgangsstraße eines kleinen Vorortes der albanischen Stadt Fier. Zwei Tische mit Stühlen davor laden zum Verweilen ein. Enkeleda Merko steht vor dem kleinen Geschäft, das sie in ihrem Heimatort eröffnet hat. Die 35-Jährige ist nach einem abgelehnten Asylbescheid seit 2018 wieder zurück in Albanien und baut sich mit der kleinen Konditorei ein neues Leben auf. 

So wie Merko haben in den vergangenen zehn Jahren viele das Land verlassen. Die Zahl der Auswanderer stieg in dieser Zeit so sehr, dass nun knapp ein Drittel aller Albanerinnen und Albaner im Ausland leben. Viele zieht es beispielsweise nach Westeuropa, wo ein höheres Gehalt ein gutes Leben verspricht. Doch die Einreisemöglichkeiten sind limitiert und die Hürden für einen sicheren Aufenthaltstitel hoch. Nicht Wenige versuchen deshalb, durch Asylanträge einen dauerhaften Aufenthalt in einem wirtschaftlich aussichtsreicheren Land sicherzustellen.

Die Odyssee der Abschiebung

„Meine Familie“, so erzählt es Erisa Pope, heute 19 Jahre alt, „traf diese Entscheidung im August 2015“. Über Italien fuhr sie mit ihren Eltern und ihrem Bruder nach Deutschland, dort beantragten sie Asyl. Aus einem kleinen Dorf im Norden Albaniens kommend, hatten sie ein beschauliches Leben, aber kaum Perspektive. Was sie die ersten Tage von Deutschland mitbekam, „war die Hölle.“ Die Erstaufnahmeeinrichtung war zu eng, überfüllt und beherbergte auch gewalttätige Mitbewohner. Doch die Lage besserte sich. Die Familie konnte weiterziehen und die Kinder kamen in die Schule, lernten schnell Deutsch und fanden Freunde. Doch nach knapp zwei Jahren wurde der Asylantrag abgelehnt und die Familie kehrte zurück.

Eine junge Frau mit Brille steht vor einem Werbeplakat, ihr Gesicht wird blau angeleuchtet.
Die 19-jährige Erica Pope in Tirana. (Foto: Leonhard Simon)

Albanien gilt als sicheres Herkunftsland und die meisten Anträge von albanischen Staatsbürgern werden abgelehnt. Sie haben dann vier Wochen, um freiwillig zurückzukehren, sonst werden sie abgeschoben. Zurück in ihrer Heimat ist das Leben oft zurück auf null gesetzt. Die albanische Wirtschaft ist schwach und bietet der Bevölkerung kaum Möglichkeiten. Wer längere Zeit außer Landes war, hat meist den Anschluss verpasst. Zwar wächst das jährliche Bruttoinlandsprodukt Albaniens, doch der Wohlstand kommt nur bei wenigen an, Korruption ist weitverbreitet. Staatliche Unterstützungsleistungen sind auf ein Minimum reduziert oder gar nicht erst vorhanden.

Bürokratische Hürden statt schneller Unterstützung

Tefta Abedinaj ist 63 Jahre alt und hat als Laborantin in der albanischen, ölverarbeitenden Industrie gearbeitet. Eine Rente von der sie leben kann hat sie trotzdem nicht. Ihre behinderte Tochter zu versorgen ist ihr finanziell kaum möglich: die Gesundheitsversorgung ist kostspielig und oft nicht besonders gut, erzählt sie. Ein wenig Hilfe kommt lediglich von ihren anderen drei Kindern. Um ihrer Tochter eine gute Behandlung zu ermöglichen, versuchte sie, in Deutschland Asyl zu beantragen – ohne Erfolg. Nach knapp drei Jahren musste sie wieder ausreisen. Seitdem hat sich der Gesundheitszustand ihrer Tochter massiv verschlechtert. „Die Natur und die Ruhe in Deutschland vermissen wir sehr,“ sagt Abedinaj. Unterstützung von staatlicher Seite hat sie nach ihrer Rückkehr nicht bekommen. Sie hätte sich für finanzielle Unterstützungsleistungen in den ersten Monaten von der deutschen Regierung bewerben können. Doch die Hürden sind für sie als älterer Frau zu hoch gewesen. Viele Formulare müssen online ausgefüllt und Termine persönlich noch in Deutschland vereinbart werden.

Vor dem Schaufenster einer Apotheke sieht man von hinten den lockigen Kopf einer älteren Frau.
Die Rentnerin Tefta Abedinaj vor einer Apotheke. (Foto: Leonhard Simon)

Beliebte europäische Zielländer wie Deutschland haben erkannt, dass striktere Asylgesetze keine Lösung sind, um Menschen an der Migration zu hindern. Darum wurde dazu übergegangen, in den Herkunftsländern selbst Unterstützungsleistungen anzubieten und gezielt die Potenziale der Menschen zu unterstützen. In Albanien übernehmen Organisationen mit viel Erfahrung in den Bereichen Migration und Entwicklungsförderung diese Aufgaben.

IOM-Starthilfen nach der Rückkehr 

Für Menschen wie Abedinaj ist die Internationale Organisation für Migration (IOM) zuständig. Als Teil des UN-Systems agiert sie global und ist auch in Tirana mit einem Büro vertreten. „Finanzielle Unterstützungsleistungen an abgelehnte, heimkehrende Asylbewerber zu zahlen ist eine wichtige Säule der Arbeit vor Ort“, sagt die IOM-Informations- und Medienkoordinatorin Bardha Qokaj. Im Jahr 2020 wurden über 400 in Deutschland abgelehnte Asylbewerber bei ihrem Neustart zurück in Albanien finanziell unterstützt. Die Leistungen werden von der deutschen Regierung bereitgestellt und durch die IOM verteilt. Als Starthilfe sollen sie über die ersten zwei bis drei Monate hinweg helfen, bis eine Arbeit gefunden wird. Und: diese Zahlungen sind an keine Bedingungen geknüpft. Eine zweite Säule der Arbeit der IOM vor Ort ist die Beratung der albanischen Regierung. Durch den ständigen Austausch mit Heimkehrenden wie Abedinaj sammeln die IOM-Expertinnen und Experten viel wichtiges Wissen, um zu beraten, wie die Regierung ihre Migrationspolitik ausgestalten kann. 2019 mündete diese Arbeit in der ersten Nationalen Migrationsstrategie des Landes. Das Papier bündelt hauptsächlich Maßnahmen, wie für Albanerinnen und Albaner Anreize geschaffen werden können, um im Land zu bleiben.

Doch die Bemühungen der Regierung und der internationalen Organisationen greifen langsam und in der Zwischenzeit sind viele zurückgekehrte abgelehnte Asylbewerberinnen und -bewerber auf sich alleine gestellt. So auch Erisa Pope: Nach der Rückkehr nach Albanien wohnte sie nur kurz mit ihren Eltern zusammen. Die Eltern gingen wieder nach Deutschland und konnten Arbeit finden. Doch ihre Kinder mussten sie zurücklassen, da sie zunächst nachweisen müssen, für vier Personen selbständig sorgen zu können. Erst dann werden Visa erteilt. Aus diesem Grund wohnt die heute 19-Jährige Pope seit fast vier Jahren allein in Tirana. Die langsame deutsche Bürokratie und schließlich Corona verhinderten eine Familienzusammenführung. Nun ist sie volljährig und muss sich selbständig um eine Aufenthaltsgenehmigung bemühen. Ihr Ziel ist es, in Wolfsburg VWL zu studieren. Dafür arbeitet sie jeden Tag acht Stunden – parallel zu ihrer Abschlussprüfung, die sie in diesem Sommer an einer Schule mit deutschem Zweig erfolgreich abgeschlossen hat.

Zusammenspiel mit der GIZ

Ein alter Mann mit Schiebermütze sitzt auf einer Parkbank, den Rücken zugewandt.
Die ältere Bevölkerung Albaniens hat meist wenig zum Leben – ein Zustand, dem die Auswanderer entgehen wollen. (Foto: Leonhard Simon)

Sind die Aufgaben der IOM der finanziellen Starthilfe erfüllt, fängt die Arbeit der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) an: Sie organisiert ein umfangreiches Programm, das allen Personengruppen zur Verfügung steht – also sowohl heimkehrenden Migrantinnen und Migranten als auch einheimischen Interessierten. Damit sollen die Menschen gezielt auf den albanischen Arbeitsmarkt vorbereitet werden. „Jedes Jahr finden knapp 2.000 Beratungen statt,“ berichtet der albanische GIZ-Koordinator Florenc Qosja. Mit den Beratungen verbunden ist die Hoffnung, dass den Menschen durch Wissenstransfer eine Perspektive im Land geboten werden kann – wie der Konditorin Enkeleda Merko. 

Vor ihrer kleinen Konditorei in Fier erzählt sie, dass die Rückkehr nach Albanien schwer war. Zwei der Kinder waren bereits in Deutschland in der Schule, hatten Freunde gefunden. „Zurück mussten sich die Kinder erst wieder integrieren", berichtet sie, „Anschluss finden, mit dem Schulsystem zurechtkommen.“ Sie selbst musste von null starten. Ohne Vorkenntnisse, aber mit dem Willen, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen und ihren Kindern eine bessere Zukunft zu schaffen, meldete sie sich schließlich bei einem Kurs für Konditoren an. Schnell fand sie Gefallen daran. Das war Motivation genug, um über ein eigenes Geschäft nachzudenken. Denn in Fier, so heißt es in Albanien, sind alle Geschäftsleute. Merko belegte einen weiteren Kurs in Unternehmensentwicklung, organisiert und finanziert von der GIZ. Dort erhielt sie auch Zugang zu finanziellen Mitteln, um ihre Geschäftsidee schließlich Wirklichkeit werden zu lassen.

Enkeleda Merko aus Fier hat von dieser Art der direkten Förderung profitiert und möchte in Albanien bleiben. Doch sie ist eine Ausnahme. Viele Albanerinnen und Albaner wollen trotz Abschiebeerfahrung das Land verlassen – oder hoffen zumindest darauf, dass ein Familienmitglied ihnen finanzielle Leistungen aus dem Ausland zukommen lässt.

Leonhard Simon

Dieser Beitrag entstand im Rahmen eines Recherchestipendiums der DGVN zum Thema „Herausforderung Mixed Migration“, finanziert mit Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ).

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