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50. Jubiläum der UN-Menschenrechtspakte (Teil III): Die Zivilgesellschaft unter Druck

Der dritte und letzte Teil unserer Serie zum 50. Jahrestag der Verabschiedung des Sozial- und Zivilpaktes (16.12.) und dem Tag der Menschenrechte (10.12.) beleuchtet die Rolle der Zivilgesellschaft im UN-Menschenrechtsschutz. Obwohl die Zivilgesellschaft einen festen Platz im Staatenverbund der Vereinten Nationen eingenommen hat und unter gesondertem Schutz der Pakte steht, gerät sie weltweit zunehmend unter Druck. Das ist besonders besorgniserregend, da aktive und wachsame Zivilgesellschaften für eine umfassende Umsetzung der Menschenrechte unentbehrlich sind.

Das Logo der Vereinten Nationen zum Menschenrechtstag 2016. Zwei gezeichnete Figuren geben sich ein sogenanntes High five
Das Kampagnenlogo der Vereinten Nationen zum Tag der Menschenrechte 2016 - Eine Ermutigung an die Zivilgesellschaft.

Nahezu die Hälfte der Menschheit lebt nach aktuellen Schätzungen der unabhängigen Nichtregierungsorganisation (NGO) CIVICUS in Staaten, in denen zivilgesellschaftliches Engagement stark eingeschränkt oder unterdrückt wird. Diese Einschränkungen betreffen auch Nichtregierungsorganisationen, die Hauptträger des Engagements. Nach Angaben des Deutschen Bundestages wurden allein in den letzten drei Jahren in 60 Staaten entsprechend repressive Gesetze verhängt. Diese sich bereits länger abzeichnenden Entwicklungen sind besonders besorgniserregend, da zivilgesellschaftliches Engagement nicht nur die treibende Kraft im Umsetzungs- und Fortentwicklungsprozess der Menschenrechte ist, sondern auch besonderen Schutz durch den Zivilpakt genießt. Das 50. Jubiläum des Sozial- und Zivilpaktes ist deshalb auch eine Mahnung, zivilgesellschaftliches Engagement weiterhin zu schützen und zu stärken.
 

Die Rolle der Zivilgesellschaft im Menschenrechtsschutz

Aktive Zivilgesellschaften sind für den internationalen Menschenrechtsschutz unentbehrlich. Sie leisten einen entscheidenden Beitrag zur Umsetzung von Menschenrechtsübereinkommen, zur Überwachung der Einhaltung bestehender Verpflichtungen sowie zur Fortentwicklung des internationalen Menschenrechtssystems. Mit dem Ende des Kalten Krieges und spätestens seit der Wiener Menschenrechtskonferenz 1993 erlebten die Vereinten Nationen einen Wandel, den der ehemalige Generalsekretär Kofi Annan als NGO-Revolution bezeichnete: den Bedeutungszuwachs zivilgesellschaftlicher Akteure auch im Verbund der Vereinten Nationen. Als einer der Höhepunkte dieses Wandels gilt bis heute der Ottawa-Prozess, die globale Kooperation zur Ächtung von Landminen. Am Ende dieses zivilgesellschaftlichen Engagements stand 1997 das Übereinkommen über das Verbot des Einsatzes, der Lagerung, der Herstellung und der Weitergabe von Antipersonenminen und über deren Vernichtung. Als aktuelleres Beispiel für populäre Erfolge kann mit Gewissheit auch der 2013 beschlossene Waffenhandelsvertrag der Vereinten Nationen herangeführt werden (Arms Trade Treaty). An der Kampagne beteiligten sich erfolgreich über 300 zivilgesellschaftliche Zusammenschlüsse aus der ganzen Welt.

Zivilgesellschaft im alltäglichen Einsatz für die Menschenrechte

Von besonderer Bedeutung ist jedoch vor allem die alltägliche Arbeit von NGOs im Menschenrechtsschutzsystem der Vereinten Nationen. In den letzten Jahren haben NGOs zunehmend Einfluss auf die Überprüfung von Staaten durch den Menschenrechtsrat im Rahmen des Allgemeinen Periodischen Überprüfungsverfahrens (engl. Universal Periodic Review, kurz UPR) nehmen können. Das gleiche gilt auch für die Staatenüberprüfungen durch Ausschüsse der Vereinten Nationen zu den entsprechenden Menschenrechtsübereinkommen (Vertragsorgane) wie dem Menschenrechtsausschuss (Zivilpakt) oder dem Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Sozialpakt). NGOs haben hier mittlerweile die Möglichkeit, sogenannte Parallelberichte (Schattenberichte) zur Überprüfung von Staaten einzureichen und am Kontrollverfahren des Menschenrechtsrats teilzunehmen. Dieses Verfahren ermöglicht es, den teilweise geschönten Berichten der Mitgliedsstaaten, kritische Berichte von NGOs entgegenzustellen und deren Perspektive einzubringen. Darüber hinaus können registrierte NGOs an den regulären Treffen und den Sondersitzungen des Menschenrechtsrates observierend teilnehmen oder sich mündlich einbringen. Die Teilhabe und die Registrierung von NGOs beim Menschenrechtsrat regelt der Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen (ECOSOC). Mittlerweile haben sich mehr als 4000 NGOs aus allen Bereichen (Stand 2014) beim ECOSOC registrieren lassen. Ein weiteres Zeichen für das rege Interesse und die Teilhabe von Zivilgesellschaft an den Vereinten Nationen.

Der Generalsekretär sitzt an einem großen U-förmigen Tisch und um ihn herum sehr viele Zivilist*innen die ihm zuhören
Der ehemalige UN-Generalsekretär Ban Ki-moon eröffnet eine Veranstaltung am Rande des Flüchtlingsgipfels der Vereinten Nationen in New York, September 2016. Eine der vielen Gelegenheiten, bei denen Vertreter der Zivilgesellschaft ihre Interessen vorbringen können. (UN Photo/Rick Bajornas)

NGOs und der Zivilgesellschaft kommen jedoch noch weitere wichtige Aufgaben außerhalb des Menschenrechtsrats zu: sie decken Menschenrechtsverletzungen auf, erzeugen Öffentlichkeit und Druck auf Regierungen, unterstützen Opfer, praktizieren Menschenrechtsbildung und arbeiten permanent an der Fortentwicklung des internationalen Rechts mit.

Zivilgesellschaft unter Druck

Zivilgesellschaftliches Engagement ist insbesondere durch den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (Zivilpakt) geschützt. Der Zivilpakt garantiert das Recht auf Versammlungsfreiheit (Art. 21), auf Vereinigungsfreiheit (Art. 22) und das Recht auf freie Meinungsäußerung (Art. 19). Diese drei Rechte können als Grundlage für zivilgesellschaftlichen Einsatz bezeichnet werden. Sie ermöglichen die Mitwirkung zivilgesellschaftlicher Akteure bei der Umsetzung weiterer Rechte. So sind zum Beispiel Gewerkschaften, NGOs und Vereine die treibende Kraft im Umsetzungsprozess wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte (Sozialpakt). Doch die Zivilgesellschaft gerät zunehmend unter Druck.

Einem Bericht der NGO CIVICUS zufolge leben im Jahr 2016 rund 3,2 Milliarden Menschen in Staaten, in denen zivilgesellschaftliches Engagement stark eingeschränkt oder unterdrückt wird. Nur in neun von 104 untersuchten Staaten gilt der Handlungsspielraum für Zivilgesellschaften als offen. Das Freedom House stellte 2013 fest, dass sich die Achtung des Rechtes auf Vereinigungsfreiheit weltweit auf dem niedrigsten Niveau seit 11 Jahren befand.

Aktuell zeichnet sich zusätzlich eine Entwicklung ab, im Zuge derer insbesondere NGOs ins Visier von Regierungen geraten. Nicht nur autoritäre Regime, sondern auch Demokratien bedienen sich mittlerweile unterschiedlicher Gesetzgebungsverfahren, die den Handlungsspielraum von NGOs einzuschränken sollen. Ägypten reihte sich erst diesen November in eine lange Liste von Staaten ein, darunter Russland, Indien und Israel, die in den letzten Jahren die Arbeit von NGOs eingeschränkt haben. Ein NGO-Gesetz, das sich noch im Beratungsprozess befindet, könnte verheerende Auswirkungen auf die ägyptische Zivilgesellschaft haben und diese für Generationen lähmen, so Maina Kiai der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit in einer sehr deutlichen Pressemitteilung. Kiai war es auch, der für den kleiner werdenden Handlungsspielraum von NGOs und anderen Teilen der Zivilgesellschaft den englischen Begriff „shrinking space for civil society“ prägte.

Die Vereinten Nationen halten dagegen

Die Zivilgesellschaft wird im Menschenrechtssystem der Vereinten Nationen von mehreren Instrumenten geschützt. Hierzu zählen neben dem bereits erwähnten, rechtlich bindenden Zivilpakt und dem dazugehörigen Ausschuss, die zwei Fakultativprotokolle sowie die entsprechenden Sondermechanismen des UN-Menschenrechtsrats (Sonderberichterstatter für Versammlungsfreiheit und - über den Schutz der Meinungsfreiheit). Zusätzlichen Schutz gewährt die Erklärung der Vereinten Nationen zum Schutz von Menschenrechtsverteidigern und das entsprechende Amt des Sonderberichterstatters. Obwohl die Erklärung von 1998 selbst nicht rechtlich bindend ist, enthält sie Elemente aus anderen völkerrechtlich bindenden Vertragswerken wie dem Zivilpakt. So dient die Erklärung den Mitgliedsstaaten als Orientierung, Referenz und Motivation um Menschenrechtsverteidiger*innen gezielter schützen und fördern zu können.

Uneinigkeit macht sich bemerkbar

Eine Fortentwicklung der Erklärung zum Schutz von Menschenrechtsverteidigern scheint jedoch allein in Anbetracht der Resolution A/RES/70/161 vom November 2015 in weiter Ferne. Damals hatten bereits beim Entwurf der Resolution Mitgliedsstaaten wie Russland und China im Dritten Ausschuss der Generalversammlung gegen eine Bekräftigung der Erklärung durch die Generalversammlung gestimmt. 1998 wurde diese noch einstimmig angenommen. 2015 musste im Ausschuss abgestimmt werden, ein eindeutiges Zeichen gegen eine einvernehmliche Position der VN-Mitgliedsstaaten in Bezug auf Menschenrechtsverteidiger*innen und damit auch gegen eine Stärkung zivilgesellschaftlichen Engagements. Neben den beiden Vetomächten stimmten zwölf weitere Staaten gegen die Resolution, 40 Delegierte enthielten sich.

Dichte Schwaden an Tränengas verhüllen den Blick auf die Szenerie. Im Hintergrund fliehen drei Menschen vor dem Gas zwischen blauen Wellblechhütten.
Zivilgesellschaft darf nicht verschwinden. Demonstranten fliehen vor dem Einsatz von Tränengas in Port-au-Prince, Haiti. (UN Photo/Logan Abassi)

In Bezug auf das Engagement anderer Teile der Zivilgesellschaft lässt sich eine fast identische Uneinigkeit feststellen. Im Juni 2016 versuchte Russland eine Resolution des Menschenrechtsrats zu ändern. Die Resolution A/HRC/32/L.29 wurde jedoch auf Druck der einbringenden Mitgliedsstaaten und auch der Zivilgesellschaft zur Abstimmung gebracht und angenommen. Insgesamt 244 NGOs hatten sich in einem Offenen Brief gegen die Änderung der Resolution ausgesprochen. Sie bekräftigt im Wesentlichen die Bedeutung der Zivilgesellschaft für die Vereinten Nationen und drängt zum Schutz und Erhalt von lebendigen und offenen Zivilgesellschaften in den Mitgliedsstaaten. Der Resolution war ein entsprechender Bericht des Amtes des Hohen Kommissariats für Menschenrechte vorangegangen.

Zivilgesellschaft muss erhalten bleiben

Zivilgesellschaftliches Engagement steht also bereits unter dem Schutz der Vereinten Nationen. Nichtsdestotrotz ist spürbar, dass die Einigkeit der Mitgliedsstaaten über die Schutzbedürftigkeit zu schwinden scheint. Dem muss entgegengewirkt werden, denn wie Beate Rudolf, Direktorin des Deutschen Institutes für Menschenrechte, bereits 2013 schrieb: „eine Kultur der Menschenrechte kann nur entstehen, wo es eine wache Zivilgesellschaft gibt, die die Verantwortlichen in Staat und Gesellschaft immer wieder auf Missstände hinweist und Lösungsvorschläge macht“. Zum 50. Jubiläum des so bedeutenden Zivil- und Sozialpakts bleibt dem eigentlich nichts hinzuzufügen außer: diese Zivilgesellschaften müssen nicht nur wach sein, sondern auch frei bleiben.

Prokop Bowtromiuk

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