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Sexuelle Selbst­bestimmung und Geschlechts­identität

Frei von Diskriminierung und ohne Angst vor Gewalt und Repressionen leben und lieben zu können, sollte eigentlich eine Selbst­verständlichkeit sein. Doch in sehr vielen Ländern sind für Lesben, Schwule, Bi­sexuelle, Trans­gender oder Inter­sexuelle (LGBTI) Grund­freiheiten ein­geschränkt - ein klarer Ver­stoß gegen das Dis­krimi­nierungs­verbot.

Drei Personen in Kostümen.
Christopher Street Day in Berlin (Creative Commons/ Flickr)

Sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität stellen zentrale Aspekte der mensch­lichen Persön­lich­keit dar. Jeder Mensch hat deshalb das Recht, diese selbst zu bestimmen und sich offen und frei dazu zu bekennen. Welt­weit werden jedoch Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans­sexuelle und Inter­sexuellen Menschen (LGBTI), wenn sie dieses Recht ausüben wollen, Opfer von Menschen­rechts­verletzungen. Sie erleben Dis­kriminierung und Gewalt, Drang­salierung, Aus­grenzung und Stig­matisierung. Schwule Pärchen werden auf offener Straße beschimpft oder verprügelt, lesbische Frauen werden unter dem Vorwand, sie „heilen“ zu wollen, ver­gewaltigt, Trans­sexuelle und Inter­sexuelle werden diffamiert und marginalisiert. All dies sind Angriffe auf die Un­vers­ehrt­heit und Würde derjenigen, die der­artigen Miss­bräuchen ausgesetzt sind. All dies sind Verlet­zungen gegen das Dis­kri­minierungs­verbot.

Rechtslage

Einige Staaten versuchen immer wieder diese Rechts­verletzung zu negieren, indem sie sexuelle Orientierung und geschlecht­liche Identität gar nicht als Dis­kriminierungs­grund aner­kennen wollen. Die Rechts­lage ist jedoch ein­deutig: die spezifischen Dis­kriminations­gründe, die im Inter­nationalen Pakt über bürger­liche und politische Rechte und anderen Menschen­rechts­verträgen formuliert sind, sind absichtlich nicht voll­ständig. Die Verfasser ließen die Dis­kriminations­gründe bewusst mit den Worten „sonstiger Status“ offen. Sexuelle Orientierung und geschlecht­liche Identität werden also zwar nicht aus­drücklich unter den Diskriminations­gründen erwähnt, fallen aber unter diese Kategorie.

Dies bestätigt auch das Urteil des Menschen­rechts­ausschusses von 1994. In der Ent­scheidung „Toonen gegen Australien“ verfügte er, dass die Staaten verpflichtet sind, Einzel­personen vor Dis­kriminierung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung zu schützen. Diese Position wird auch in allen folgenden Ent­scheidungen des Aus­schusses bestätigt und spiegelt sich in den Ent­scheidungen und allgemeinen Kommentaren der weiteren Vertrags­organe wider. So bestätigte beispiels­weise der allgemeine Kommentar Nr. 20 des Aus­schusses für wirt­schaftliche, soziale und kulturelle Rechte, dass „sonstiger Status“ auch die sexuelle Orientierung umfasst und führt aus: „Die Vertrags­staaten sollten gewähr­leisten, dass die sexuelle Orientierung kein Hindernis für die Ver­wirk­lichung der im Pakt nieder­gelegten Rechte bildet, beispiels­weise beim Zugang zu Hinter­bliebenen­renten. Darüber hinaus gehört die Geschlechts­identität aner­kannter­maßen zu den verbotenen Diskriminierungs­gründen.“

Staatliche Repression und Gewalt – der Bericht des OHCHR

In vielen Ländern werden LGBTI staat­lich verfolgt und kriminalisiert. In allen Regionen kommt es zu Dis­kriminierung und Gewalt gegen LGBTI. Gleich­zeitig werden Aktivistinnen und Aktivisten, die sich für die Rechte von LGBTI ein­setzen, mit Gesetzen, die das „Werben“ für Homo­sexualität verbieten, unter Druck gesetzt. Dies dokumentiert auch der Bericht „Dis­kriminierende Gesetze, Praktiken und Gewalt­handlungen gegen Einzel­personen auf­grund ihrer sexuellen Orientierung und geschlecht­lichen Identität“ (engl. Discriminatory laws and practices and acts of violence against individuals based on their sexual orientation and gender identity), der im Dezember 2011 vom Hoch­kommissariat für Menschen­rechte (OHCHR) vor­gelegt wurde. Folgende Befunde lassen sich dem Bericht ent­nehmen.

Physische und seelische Gewalt

Im Bericht kommt das OHCHR zu dem Ergebnis, dass es in allen Regionen Auf­zeich­nungen über homo­phobe und trans­phobe Gewalt gibt. In vielen Fällen reicht bereits die Vermutung von Homo­sexualität oder Trans­gender-Identität aus, um Menschen einem Risiko auszu­setzen. Solche Gewalt kann körper­lich sein und Mord, Körper­verlet­zung, Ent­führung, Folter, Ver­gewaltigung, Kastrationen und Ver­stümmelung sowie sexuelle Über­griffe umfassen. Aber auch seelische Gewalt wird ausgeübt. Diese umfasst beispiels­weise Bedrohung, Nötigung und will­kürliche Freiheits­beraubung. Dabei weist die Gewalt gegen LGBTI oft ein hohes Ausmaß an Grausam­keit und Brutalität auf.

All diese Angriffe stellen eine Form von geschlechts­basierter Gewalt dar, häufig motiviert von dem Wunsch, jene zu bestrafen, welche sich scheinbar den geschlecht­lichen Normen wider­setzen. Darüber hinaus wurden die Ver­weigerung der Ver­sammlungs-, Rede- und Informations­freiheit und die Dis­kriminierung von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder geschlecht­lichen Identität im Arbeits­leben sowie im Gesundheits- und Bildungs­wesen dokumentiert.

Zusätzlich zu spontanen Über­griffen im öffent­lichen Raum dokumentiert der Bericht, dass jene, die als LGBTI wahr­genommen werden, zum Ziel organisierten Miss­brauchs zum Beispiel durch religiöse Extremisten, para­militärische Grup­pierungen, Neo-Nazis und extreme Nationalisten werden können. Lesben und Trans­frauen sind auf­grund geschlecht­licher Un­gleich­behandlung und den Macht­verhält­nissen in Familie und Gesell­schaft besonders gefährdet.

Kriminalisierung

Der Bericht dokumentiert in mindestens 76 Staaten Gesetze, die zur Krimi­nalisierung von Menschen auf­grund ihrer sexuellen Orientierung oder geschlecht­lichen Identität genutzt werden. Diese Gesetze, ein­schließ­lich der sogenannten „Sodomie­gesetze“, sind oft Über­bleibsel aus der Kolonial­zeit. Sie verbieten in der Regel ent­weder bestimmte Arten sexueller Praktiken oder jede Form gleich­geschlecht­licher Intimität bzw. sexueller Aktivität. In einigen Fällen ist der Wort­laut sehr vage und bezieht sich auf un­definierte Konzepte wie „Ver­brechen gegen die natür­liche Ordnung“ oder „Moral“ oder „Verkommen­heit“. All diese Gesetze werden jedoch für die Dis­kriminierung und Ver­folgung von Menschen aufgrund ihrer tat­sächlichen - oder vermuteten - Sexualität oder geschlecht­lichen Identität genutzt.

Die Strafen reichen von kurz­zeitigen bis lebens­langen Gefängnis­strafen. In mindestens fünf Ländern kann bei Personen, die für Ver­gehen schuldig gesprochen wurden, die ein­vernehm­liche homo­sexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen betreffen, die Todes­strafe verhängt werden. Dies ist nicht nur eine Verletzung des Rechts auf Leben, auf Privat­sphäre und Nicht­diskriminierung, sondern auch des Artikels 6 des Inter­nationalen Paktes über bürger­liche und politische Rechte. Hierin ist fest­gelegt, dass in Ländern, welche die Todes­strafe nicht ab­geschafft haben, ein „Todes­urteil nur für schwerste Verbrechen verhängt werden“ darf.

Bedrohung von Menschen­rechts­ver­teidi­gerinnen

Menschen­rechts­ver­teidi­gerinnen und -verteidiger, die zu LGBTI-Themen arbeiten, tun dies oft unter enormen Sicher­heits­risiken. Die Sonder­bericht­erstatterin für Menschen­rechts­verteidigern bemerkte in ihrem Bericht an den Menschen­rechts­rat im Jahr 2010, dass sie 47 Kommuniqués bezüglich Verteidigern, die im Vorjahr an LGBTI-Thematiken gearbeitet hatten, abgeschickt hatte. In fünf dieser Kommuniqués wurden Morde an LGBTI-Menschen­rechts­verteidigern fest­gestellt, hinzu kamen sechs weitere Fälle von Vergewaltigung und sexueller Gewalt. Unter den Opfern befanden sich auch Männer. Darüber war sie zudem besorgt über „Ver­unglimpfungs­kampagnen und Gewalt­androhungen gegen Menschen­rechts­ver­teidiger von Lesben, Schwulen, Bi­sexuellen und Trans­gendern.“

Die Sonder­beauftragte des General­sekretärs für Menschen­rechts­verteidiger bemerkte bereits 2007, „dass jene, welche die Rechte von LGBT-Menschen und Inter­sexuellen verteidigen, in ihren Häusern und Büros über­fallen, ange­griffen, gefoltert, sexuell miss­braucht, bedroht und getötet wurden“ und fügte hinzu: „Große Sorge bereitet in diesem Zusammen­hang der fast voll­ständige Mangel an Ernst­haftig­keit, mit welchem solche Fälle von den zuständigen Instanzen behandelt werden.“ Einige Staaten setzen auch Gesetze dazu ein, Menschen­rechts­verteidigerinnen unter Druck zu setzen. Diese Gesetze, wie beispiels­weise das Gesetz gegen homo­sexuelle Propaganda in Russland, die das „Werben“ für Homo­sexualität verbieten, können gezielt genutzt werden, um Aktivistinnen und Aktivisten, die sich für die Rechte von LGBTI einsetzen, von ihrer Arbeit abzuhalten, oder sie entsprechend staatlich zu verfolgen.

Einsatz der Vereinten Nationen

Eine Frau hält ein Plakat in Regenbogenfarben mit der Botschaft "Love is love".
LGBTI-Solidaritätsveranstaltung in den USA (Creative Commons/Mathias Wasik)

Die erste Erklärung, die in der General­versammlung zu diesem Thema einge­bracht wurde, ging auf die Initiative Frank­reichs und der Nieder­lande zurück. Sie legten am 18. Dezember 2008 die Erklärung der Vereinten Nationen über die sexuelle Orientierung und geschlecht­liche Identität vor (engl. United Nations Declaration on Sexual Orientation and Gender Identity). Darin appellieren sie an alle Staaten die Menschen­rechte aller Personen ungeachtet ihrer sexuellen Orientierung und ihrer Geschlechts­identität zu fördern und zu schützen, sie fordern die Beendigung staat­licher Dis­kriminierung sexueller Minder­heiten und ihre Ent­kriminalisierung. Alle Menschen­rechts­verlet­zungen auf­grund der sexuellen Orientierung oder Geschlechts­identität sollen unter­sucht und die Verantwort­lichen vor Gericht zur Rechen­schaft gezogen werden. Außer­dem müssen Menschen­rechts­ver­teidigerinnen und -verteidiger ihre Arbeit ungehindert durch­führen können und vor Angriffen geschützt werden. Die Erklärung wurde von 66 Staaten unter­zeichnet, verfehlte damit aber die erforder­liche Mehr­heit. 57 Staaten stimmten gegen die Erklärung und 69 weitere enthielten sich. 2009 schlossen sich die USA unter dem neu­gewählten Präsidenten Obama ebenfalls der Erklärung an, die damit heute 67 Unter­zeichner zählt.

Allerdings wurde ebenfalls 2008 eine Gegen­erklärung von Syrien in der General­versammlung ein­gebracht, die von insgesamt 60 vor allem islamisch geprägten und afrikanischen Staaten, unter­stützt wurde. Auß­erdem befürwortete auch Nord­korea dieses Gegen­statement. Im Statement negierten die Unter­stützer grund­sätzlich die Rechte von LGBTI als schützens­werte Gruppe inner­halb des Anti-Diskriminierungs­gebots und der geltenden Verträge und lehnten die Erklärung als Ein­mischung in innere Angelegen­heiten ab.

Die zweite Initiative wurde von Kolumbien im März 2011 im Menschen­rechts­rat ein­gebracht. Am 23. März trug Kolumbien mit der Unter­stützung 84 weiterer Staaten die „Gemeinsame Erklärung über die Beendigung von Gewalt­akten und ähnlichen Menschen­rechts­verletzungen auf­grund der sexuellen Orientierung und geschlecht­lichen Identität“ vor (engl. Joint statement on ending acts of violence and related human rights violations based on sexual orientation and gender identity). Dieses ähnelt dem Statement von 2008 in der General­versammlung und fordert das Ende der Gewalt gegen die homo-, bi­sexuellen, bzw. gegen die trans- und inter­sexuellen Minder­heiten.

Am 17. Juni 2011 folgte im UN-Menschen­rechts­rat mit der Resolution A/HRC/17/L.9/Rev.1 zum ersten Mal ein gemeinsamer Beschluss zur Beendigung der staat­lichen Dis­kriminierung sexueller Minder­heiten auf UN-Ebene. Der Resolution, die Süd­afrika und Brasilien mit der Unter­stützung von 39 weiteren Staaten ein­gebracht hatten, stimmten bei der Abstimmung 23 Staaten zu. 19 Staaten votierten dagegen, darunter mehr­heitlich afrikanische und muslimisch geprägte Staaten sowie Russ­land und Moldawien. Drei Staaten enthielten sich.

Die Resolution forderte das Amt des Hoch­kommissars für Menschen­rechte (OHCHR) auf, einen Bericht anzu­fertigen, der die Dis­kriminierung und Krimi­nalisierung von LGBTI untersuchen und Menschen­rechts­verletzungen gegen LGBTI dokumentieren sollte. Dieser wurde im Dezember 2011 vorgelegt. Zudem wurde in der Resolution auch erst­malig eine Debatte im Menschen­rechts­rat über die Diskriminierung von LGBTI auf Basis des Berichts gefordert, die im März 2012 sehr kontro­vers und hitzig geführt wurde. Einmal mehr wurde hier die Teilung der Staaten­gemein­schaft bezüglich des Themas offen­gelegt. So haben fast alle Repräsentanten von Staaten, die der Orga­nisation Islamischer Staaten angehören, den Raum bereits nach den ersten Statements der Debatte verlassen.

Trotzdem gilt die Debatte als wichtiges Zeichen dafür, dass die Diskriminierung und Gewalt auf Grund von sexueller Orientierung und Geschlechter­identität nicht mehr länger toleriert wird.

Der Menschen­rechts­rat verabschiedete im September 2014 eine weitere Resolution, erstmalig mit einer Mehr­heit der Mitglieder, von denen 25 mit Ja und nur 14 mit Nein stimmten. Diese Resolution verurteilt Gewalt gegen sexuelle Minder­heiten und fordert einen zweiten Bericht des Hoch­kommissariats für Menschen­rechte, der nun diskriminierende Gesetze aufdecken und best practice-Beispiele zum Schutz von sexuellen Minder­heiten dokumentieren soll. Dieser wurde im Mai 2015 vorgelegt. 2016 wurde zudem mit der Resolution A/HRC/RES/32/2 die Funktion des United Nations Independent "Expert on Protection against violence and discrimination based on sexual orientation and gender identity" eingeführt. Das Mandat des Unab­hängigen Experten besteht darin, Fragen im Zusammen­hang mit Menschen­rechts­verletzungen auf­grund der sexuellen Orientierung und der Geschlechts­identität zu unter­suchen, zu über­wachen, zu beraten und öffent­lich darüber zu berichten. Das Amt wird seit Januar 2018 von Victor Madrigal-Borloz begleitet.