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Kriegsverbrecher Karadžić zu 40 Jahren Haft verurteilt

Der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien hat den politischen Führer der bosnischen Serben während des Bosnienkrieges in zehn von elf Anklagepunkten schuldig gesprochen. Karadžić wurde auch für den Völkermord in Srebrenica im Jahre 1995 verurteilt.

Radovan Karadzic, Führer der bosnischen Serben, während einer Pressekonferenz 1993.
Radovan Karadzic, Führer der bosnischen Serben, während einer Pressekonferenz 1993. (UN Photo/Milton Grant)

Radovan Karadžić wurde am heutigen Donnerstag (24. März 2016) vom Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (engl. International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia – ICTY / siehe Infobox) in Den Haag zu 40 Jahren Haft verurteilt. Das Urteil wurde als eines, wenn nicht als das wichtigste für internationale Gerechtigkeit und Strafgerichtsbarkeit seit den Nürnberger Prozessen erwartet. Karadžić ist der ehemalige Präsident der Republika Srpska und damit der höchste Offizielle, der vom ICTY verurteilt wurde.  

Karadžić verantwortlich für Srebrenica

Das Verfahren hat sich über mehr als fünf Jahre gezogen – auch weil der heute 70-jährige Karadžić den Prozess immer wieder mit Eingaben in die Länge gezogen hat. In elf Punkten wurde Anklage gegen den Mann erhoben, der die bosnischen Serben während des Bosnienkrieges von 1992-95 politisch geführt hat. In zehn Anklagepunkten wurde er schuldig gesprochen. Mit am schwersten wog dabei die Verurteilung wegen Völkermordes im Gebiet Srebrenicas im Jahre 1995. Der gebürtige montenegrinische Serbe war einer der Hauptverantwortlichen für den Massenmord an fast 8.000 muslimischen Männern und Jungen in Umkreis der bosnischen Stadt. Der ICTY verurteilte ihn zudem für die 44 Monate dauernde Belagerung Sarajewos und den Beschuss von Zivilisten dabei. Karadžić und seine Gefolgsleute verfolgten damals in Bosnien das Ziel, Muslime und Kroaten dauerhaft aus den Gebieten der Republika Srpska, einer Teilrepublik Bosniens, zu vertreiben. Diese Verbrechen wurden in den 90er Jahren unter dem Begriff orwellschen „ethnische Säuberungen“ bekannt. 

Die große Frage vor der Urteilsverkündigung war, inwieweit Karadžić juristisch eine Beteiligung am Völkermord zugesprochen werden könne. Die Richter des ICTY gaben nun zumindest im Fall von Srebrenica eine eindeutige Antwort: Der vorsitzende Richter O-Gon Kwon erklärte, dass Karadžić als Präsident der Republika Srpska und Oberbefehlshaber derer Armee die einzige Person war, die den Genozid hätte stoppen können. Stattdessen habe er angeordnet, dass die männlichen Gefangenen, die zunächst in Bratunac festgehalten wurden, an einen anderen Ort deportiert und dort umgebracht werden. Die Kammer befand, dass Karadžić und sein General Ratko Mladić die Absicht hatten, „jeden gesunden, bosnisch-muslimischen Mann zu töten“. 

Auch in den Anklagepunkten Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Verstößen gegen das Kriegsrecht, darunter eine Geiselnahme von UN-Friedenssicherungstruppen, wurde Karadžić schuldig gesprochen. In seiner Verteidigung hatte er sich darauf berufen, nichts von dem Massaker in Srebrenica gewusst zu haben. Zudem sagte er aus, dass sich die bosnischen Serben allgemein nur gegen „islamistische Fundamentalisten“ verteidigt hätten.
Freigesprochen wurde Karadžić im Anklagepunkt, abseits von Srebrenica Völkermord in bosnischen Gemeinden begangen zu haben. 

Untergetaucht als Alternativmediziner

Nach einem internationalen Haftbefehl des ICTY im Juli 1996, tauchte Karadžić, der auch als Gedichteschreiber in Erscheinung trat, lange Zeit im bosnischen Pale und in der serbischen Hauptstadt Belgrad unter. So ließ er sich einen Bart wachsen und praktizierte in Belgrad unter dem Namen Dragan David Dabić als esoterischer Alternativmediziner. Dabei wurde er von Teilen der serbischen Behörden gedeckt. Am 21. Juli 2008 setzten sich die neuen Kräfte des Geheimdienstes durch: Karadžić wurde 13 Jahre nach den Verbrechen in einem Bus verhaftet und nach Den Haag überstellt.

Internationaler Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien

Der ICTY wurde durch die Resolution 827 (1993) des UN-Sicherheitsrats formell eingesetzt. Der ICTY verfolgt vier Kategorien von Straftaten, die während der Jugoslawienkriege (1991-2001) von natürlichen Personen auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens verübt wurden: Verstöße gegen die Genfer Konvention, Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Verbrechen gegen die Gesetze oder Gebräuche des Krieges. 

Im Prozess gegen Karadžić wurden an 497 Tagen 11.500 Beweisstücke anerkannt und 586 Zeugen vorgeladen, 337 davon durch die Ankläger, 248 durch die Verteidigung und einer durch die Strafkammer. Nach den Plädoyers von Karadžić sowie von UN-Ankläger Alan Tieger im Jahre 2014, nahm sich das Gericht zur Urteilsfindung eineinhalb Jahre Zeit. Karadžić hatte sich mit Hilfe eines „juristischen Beraters“ und eines Anwaltsteams selbst verteidigt. Er hat Möglichkeit gegen das Urteil in Berufung zu gehen. Das Verfahren gegen ihn ist eines der letzten des ICTY. Mit Abschluss des Prozesses gegen Ratko Mladić soll das Tribunal geschlossen werden.

100.000 Tote und 2 Millionen Vertriebene

Das Urteil ist auch daher so wichtig, da es ansatzweise Gerechtigkeit für die vielen Opfer des Bosnienkriegs herstellen soll und eine Erinnerung an Gräueltaten ist, die im Gedenken vieler Europäer kaum vorkommen. Bis zum Ausbruch der Gefechte in der Ostukraine waren die Konflikte auf dem Balkan die einzigen Kriege in Europa nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Dabei stach die Gewalt zwischen Serben, Kroaten und Muslimen in Bosnien besonders heraus. Der Krieg in der ehemaligen Teilrepublik der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien zwischen 1992 und 1995 kostete nach Schätzungen rund 100.000 Menschen das Leben und zwang zwei Millionen Menschen, mehr als die Hälfte der Bevölkerung, zur Flucht. Bei einer großen Mehrheit der Opfer handelte es sich um bosnische Muslime. Aber auch Zivilisten der anderen Ethnien wurden Opfer schrecklicher Verbrechen. Am 14. Dezember 1995 unterzeichneten die Konfliktparteien schließlich mit dem Abkommen von Dayton unter Vermittlung der USA einen Friedensvertrag.
Doch auch Jahre später kann man kaum von einer echten Aussöhnung zwischen den Gruppen sprechen. Teile der serbischen Bevölkerung verehren Karadžić noch immer als Nationalhelden, während sich viele Muslime und Kroaten eine möglichst harte Strafe gegen ihn gewünscht haben. Daher wird das heutige Urteil auf dem Westbalkan wohl sehr unterschiedlich aufgenommen.

Mirko Vossen    

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