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Schutz vor dem Verschwinden­lassen

Das Verschwinden­lassen ist eine gravierende Menschen­rechts­verletzung. Opfer sind ihren Ent­führern meist voll­ständig aus­geliefert. Durch die Geheim­haltung ihres Aufent­halt­sortes haben sie keine Möglich­keit, medizinische Ver­sorgung oder andere Formen der Hilfe zu bekommen. Oft geht das Verschwinden­lassen mit anderen Menschen­rechts­verletzungen wie Folter oder Hin­richtungen einher.

Hinter einem halb-transparenten Vorhang sind schemenhaft Männer und Frauen zu sehen.
UN Photo/Mark Garten

Konvention gegen Verschwinden­lassen

Das Inter­nationale Überein­kommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwinden­lassen (engl. International Convention for the Protection of All Persons from Enforced Disappearance) – kurz: Konvention gegen Verschwinden­lassen – wurde am 20. Dezember 2006 von der General­versammlung verab­schiedet (A/RES/61/177). Es trat am 23. Dezember 2010 in Kraft. Die Praxis des Verschwinden­lassens wird in Art. 2 der Konvention als „die Fest­nahme, der Entzug der Frei­heit, die Ent­führung oder jede andere Form der Freiheits­beraubung durch Bedienstete des Staates oder durch Personen oder Personen­gruppen, die mit Ermächtigung, Unter­stützung oder Duldung des Staates handeln, gefolgt von der Weigerung, diese Freiheits­beraubung anzu­erkennen, oder der Verschleierung des Schicksals oder des Verbleibs der verschwundenen Person, wodurch sie dem Schutz des Gesetzes entzogen wird" definiert.

Das Verschwinden­lassen ist eine gravierende Menschen­rechts­verletzung, da Menschen, die Opfer dieser Praxis werden, ihren Ent­führern voll­ständig ausgeliefert sind. Durch die Geheim­haltung ihrer Ent­führung und die Verschleierung ihres Aufent­halts­ortes sind die Opfer von ihren Familien abgeschirmt und haben keine Möglich­keit, juristische Hilfe, medizinische Versorgung oder andere Formen der Hilfe zu bekommen. Sie laufen zudem Gefahr, Opfer weiterer Menschen­rechts­verletzungen zu werden wie Folter, anderer grausamer und un­mensch­licher Behandlungen oder extra­legaler Hinrichtungen.

Die Ziele dieser Methode sind unter­schiedlich. Häufig sollen die inhaftierten Personen dazu gebracht werden, im Bewusst­sein ihrer Abhängig­keit von ihren Entführern, Informationen Preis zu geben. In anderen Fällen dient das Verschwinden­lassen von Aktivistinnen und Aktivisten aber auch der Ein­schüchterung der Zivil­gesellschaft. Im schlimmsten Fall werden unlieb­same Kritikerinnen und Kritiker durch Verschwinden­lassen aus dem Verkehr gezogen und ihr Verbleib wird nie aufgeklärt. Bis heute ist der Verbleib von Tausenden Menschen, die weltweit Opfer dieser Praxis wurden, ungeklärt.

In den Jahren zwischen 2001 und 2006 wurde diese Praxis im Kontext der von der US-Regierung durchgeführten „extraordinary rendition“ kontrovers diskutiert. Dabei ging es vor allem um die Ent­führung und Über­stellung von terror­verdächtigen Personen in Länder, in denen gefoltert wird und in sogenannte geheime Gefängnisse oder „Black-sites“. Die Praxis ist jedoch viel älter. Prominente Beispiele für diese Form der Menschen­rechts­verletzung sind Chile und Argentinien. Während der Militär­diktaturen in den beiden süd­amerikanischen Staaten in den 1970er und 1980er Jahren verschwanden Tausende von Menschen. Bereits 1980 hatte die Menschen­rechts­kommission (Vorläuferin des heutigen Menschen­rechts­rats) eine Arbeits­gruppe zu der Thematik einberufen, die bis heute – nun als Sonder­mechanismus des Menschen­rechts­rats – existiert und arbeitet. 1992 hat die General­versammlung eine Erklärung über den Schutz aller Personen vor dem Verschwinden­lassen (A/RES/47/133) verab­schiedet, die Aus­arbeitung der heutigen Konvention begann im Jahr 2003.

Verpflichtungen der Konvention

Durch die Rati­fizierung der Konvention verpflichten sich die Vertrags­staaten dazu, Verschwinden­lassen als Straftat zu definieren und zu ahnden. Opfer von Verschwinden­lassen müssen in der Rechts­ordnung der Vertrags­staaten das Recht auf Wieder­gut­machung und auf umgehende, gerechte und angemessene Ent­schädigung erhalten (Art. 24). Das Verbot von Verschwinden­lassen gilt als absolutes Menschen­recht. Die ausgedehnte oder systematische Praxis des Verschwinden­lassens von Personen wird als Verbrechen gegen die Menschlich­keit geahndet. Diese klare Verur­teilung wird jedoch längst nicht von allen Staaten unter­stützt; so waren die Philippinen – ein Staat, in dem tausende Fälle von Verschwinden­lassen während der Marcos-Diktatur und der darauf folgenden Präsident­schaft von Gloria Macapagal-Arroyo bis heute nicht aufgeklärt wurden – im Dezember 2012 das erste Land in Asien, in dem diese Praxis zu einem Verbrechen erklärt wurde. Insgesamt haben bis heute lediglich 72 Staaten die Konvention ratifiziert (Stand: März 2024).

Ausschuss über das Verschwinden­lassen

Die Einhaltung der Konvention wird vom Aus­schuss über das Verschwinden­lassen  kontrolliert. Er prüft die Staaten­berichte (Art. 29), kümmert sich in dringenden Fällen um Anfragen (Art. 30), führt Länder­besuche durch (Art. 33) und kann selb­ständige Unter­suchungen anstrengen (Art. 34). Die Konvention hat außer­dem einen Individual­beschwerde-Mechanismus verankert (Art. 31). Das Mandat der Prüfung von Individual­beschwerden liegt eben­falls beim Ausschuss.