Religionsfreiheit und Meinungsfreiheit
Religions- und Meinungsfreiheit gehören zu den Menschenrechten. In freiheitlichen Staaten sind sie außerdem als Grundrecht in der Verfassung festgeschrieben. Nicht selten kommt es jedoch in der Praxis zu Konflikten zwischen beiden Rechten.

Kaum ein Menschenrecht ist – auch in Deutschland - so umstritten wie die Religionsfreiheit. Dabei ist es nicht in erster Linie das Prinzip der freien Glaubenswahl, das immer wieder zu Kontroversen führt, sondern vielmehr die Frage nach der (legitimen) Einschränkungen der Religionsfreiheit. Beispiele für solche Kontroversen sind die Diskussionen um Kopftuch- und Burka-Verbote, die Debatte um die Beschneidung von Jungen, die Verbotsdebatten um religiöse Symbole im öffentlichen Raum, die Diskussionen um die Einführung von Islamunterricht an deutschen Schulen oder auch die allgemeine Problematisierung der kirchlichen Träger von Lehreinrichtungen wie Kindergärten oder Schulen.
Problematisch ist, dass in diesen Debatten häufig mit dem Verweis auf andere Menschenrechte argumentiert wird. So argumentieren Kopftuch- oder Burka-Gegner mit Verweis auf die Frauenrechte und die Diskussion um die Beschneidung von Jungen wird zu einer Debatte um Religionsfreiheit versus Selbstbestimmungsrecht des Kindes. Häufig werden zudem religiöse Symbole in Schulen gegen das religiöse Erziehungsrecht von Eltern (im Einklang mit der Überzeugung des Kindes) aufgewogen. Diese vermeintlichen Konfliktlinien sind problematisch, weil Menschenrechte niemals gegeneinander ausgespielt oder aufgewogen werden sollten. Ein weiterer vermeintlicher Konflikt kennzeichnet die Debatten um Religionsfreiheit versus Meinungsfreiheit, wie dies zum Beispiel in der Diskussion um die Mohammed-Karikaturen sichtbar wurde. Deswegen werden diese beiden Normen hier gemeinsam beschrieben.
Religions- und Weltanschauungsfreiheit
Artikel 18 des ICCPR (Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte, engl. International Covenant on Civil and Political Rights) spricht jedem Menschen das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit zu. Im Sinne des Abkommens hat damit jeder Mensch die Freiheit, eine Religion oder eine Weltanschauung eigener Wahl zu haben oder anzunehmen, sowie die Freiheit diese alleine oder in einer Gemeinschaft auszuüben. Dies darf im privaten sowie im öffentlichen Raum geschehen. Gleichzeitig ist es verboten, Menschen einem Zwang auszusetzen, der diese Freiheiten einschränken würde.
Die Begriffswahl der Weltanschauung- und der Gewissensfreiheit räumt Menschen auch bewusst das Recht ein, keinen religiösen Glauben zu haben und sich keiner Religionsgemeinschaft anzuschließen. Niemand darf gegen seine Überzeugung zur Wahl einer (bestimmten) Religion, einem Glaubensbekenntnis oder zu religiösen Handlungen gezwungen werden. Genauso wenig dürfen Menschen dazu gezwungen werden, ihren religiösen Glauben zu wechseln oder gegen ihren Willen in einer Glaubensgemeinschaft zu verbleiben. Damit hat jeder Mensch das Recht zur Konversion sowie zur Apostasie, was die Abwendung von einer Religion durch einen förmlichen Akt bedeutet. Für Staaten bedeutet dies also, dass sie ihren Bürgerinnen und Bürgern keine Glaubensrichtungen vorschreiben oder einen Religionswechsel verbieten dürfen. Ebenso wenig dürfen Staaten Menschen wegen ihres Glaubens, ihrer Religion oder ihrer atheistischen Weltanschauung unterdrücken oder sie dazu zwingen, am Religionsunterricht teilzunehmen.
Die Religionsfreiheit darf im Sinne von Art. 18 nur eingeschränkt werden, um die öffentliche Sicherheit, Ordnung, Gesundheit, Sittlichkeit oder die Grundrechte und -freiheiten Anderer zu schützen. Das heißt, der Staat kann beispielsweise alle religiösen Symbole an öffentlichen Behörden oder Schulen verbieten, um die staatliche Neutralität gegenüber allen Religionen zu gewährleiten. Das Verbieten von Symbolen einzelner Religionen widerspricht jedoch der Norm der Religionsfreiheit. Staaten können ferner bestimmte Glaubensgruppierungen nur verbieten, wenn diese beispielsweise unter der Ausnutzung einer gehobenen Machtstellung missionieren, ihre Mitglieder oder Anhänger ausbeuten, in ihren Predigen Hass schüren oder gegen Andersgläubige hetzen. Auch können sie verboten werden, wenn sie ihre Mitglieder bedrohen, um sie etwa am Austritt aus der Gruppierung zu hindern. Denn dies würde die Grundrechte und -freiheiten anderer gefährden.
Gedanken-, Gewissens- und Meinungsfreiheit

Art. 19 des ICCPR gesteht jedem Menschen „das Recht auf unbehinderte Meinungsfreiheit“ zu. Dieses Recht beinhaltet „das Recht auf freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt die Freiheit ein, ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen Informationen und Gedankengut jeder Art in Wort, Schrift oder Druck, durch Kunstwerke oder andere Mittel eigener Wahl sich zu beschaffen, zu empfangen und weiterzugeben.“ Absatz 2 spezifiziert, dass diese Rechte mit „besonderen Pflichten und einer besonderen Verantwortung verbunden“ sind. Um die „Achtung der Rechte oder des Rufs anderer“ und den „Schutz der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung (ordre public), der Volksgesundheit oder der öffentlichen Sittlichkeit“ zu gewährleisten, dürfen Staaten die Meinungsfreiheit deshalb bestimmten gesetzlich vorgesehenen Einschränkungen unterwerfen. Diese werden in Art. 20 aufgeführt. Dieser Artikel verbietet jede Form der Kriegspropaganda und das "Eintreten für nationalen, rassischen oder religiösen Hass, durch das zu Diskriminierung, Feindseligkeit oder Gewalt aufgestachelt wird."
Grundsätzlich bedeutet dies somit, dass die Gedanken-, Gewissens- und Meinungsfreiheit das Recht beinhaltet, selbständig zu denken, sich dafür alle nötigen Informationen frei zu beschaffen, nach eigenem Gewissen zu handeln, sich eine eigene Meinung zu bilden und diese frei zu äußern, solange sie keine Hetze, Kriegspropaganda oder Hassreden darstellt oder zu Gewalt aufruft. Kein Mensch darf aufgrund seiner eigenen Meinung bestraft , ideologischen Zwängen unterworfen oder aufgrund von Gewissensentscheidungen, wie zum Beispiel der Kriegsdienstverweigerung, bestraft werden. Die Gedanken-, Gewissens- und Meinungsfreiheit gilt absolut.
In vielen Staaten wird dies jedoch nicht gewährleistet. Insbesondere regierungs- oder staatskritische Personen, wie Aktivisten, Blogger und Journalisten, geraten aufgrund ihrer öffentlichen Äußerungen regelmäßig ins Visier von meist autokratisch geführten Staaten. Zensur im Internet und die Schließung von sozialen Netzwerken wie Twitter, Facebook oder Youtube sind in einigen Ländern häufig angewandte Maßnahmen. Doch auch in demokratischen Staaten wird das Recht auf freie Meinungsäußerung derzeit vermehrt und kontrovers diskutiert. So ist beispielsweise umstritten, wie weit das Recht auf freie Meinungsäußerung im Internet geht. In Deutschland steht z.B. der Kinder- und Jugendschutz über der freien Meinungsäußerung, wenn es um Inhalte geht, die Kindern und Jugendlichen schaden könnten. Staatliche Kontrollmaßnahmen des Internets – beispielsweise ein erschwerter Zugang oder gar die Sperrung von pornografischen oder gewaltverherrlichenden Webseiten werden jedoch häufig als „Zensur“ wahrgenommen und rufen somit massiven Protest hervor.
Um unabhängig zu untersuchen und zu dokumentieren, wie das Recht auf freie Meinungsäußerung weltweit umgesetzt wird, wurde das Mandat des Sonderberichterstatters über die Förderung und den Schutz der Meinungsfreiheit und des Rechts der freien Meinungsäußerung geschaffen.
Religionsfreiheit versus Meinungsfreiheit?
Das Verhältnis zwischen Religions- und Meinungsfreiheit ist traditionell angespannt. Auch innerhalb der Vereinten Nationen haben zahlreiche Debatten zum Thema stattgefunden, die unter dem Schlagwort der „Diffamierung“ von Religion jegliche Religionskritik zurückwiesen. Dabei wurde meist – wie zum Beispiel in der Diskussion um die Mohammed-Karikaturen – die Meinungsfreiheit gegen die Religionsfreiheit gestellt. Dieser Argumentation liegt ein Verständnis zu Grunde, dass das Menschenrecht auf Religionsfreiheit Religionen grundsätzlich vor jeglicher Kritik schütze.
Der ehemalige Sonderberichterstatter für Religions- und Weltanschauungsfragen Prof. Heiner Bielefeldt stellte jedoch klar, dass die Religionsfreiheit das Recht der Menschen schütze, eine Religion zu wählen und auszuüben, jedoch nicht die Religionen an sich schützt. Religionsfreiheit ist also kein "Impfschutz" für Religionen gegen Kritik und sollte auch nicht als solcher missverstanden werden.
Dieses Verständnis hat sich seit 2011 auch innerhalb der Vereinten Nationen durchgesetzt. Anfang 2011 brachte Pakistan, stellvertretend für die Organisation für Islamische Zusammenarbeit eine Resolution im Menschenrechtsrat ein, die diese Wende symbolisiert. Die Resolution 16/18 soll vor negativer Stereotypenbildung und vor Hassreden gegen einzelne Religionen oder deren Anhänger schützen sowie religionsbezogenen Gewaltakten vorbeugen. Sie kommt dabei jedoch ohne den Begriff der Religionsdiffamierung aus.
Zentral ist somit der Ansatzpunkt, der nicht den Schutz der Religion, sondern den Schutz der Menschen vor Hassreden, die von Diskriminierung bis hin zur Gewalt gegenüber Andersgläubigen aufrufen, in den Mittelpunkt stellt. Dies ist auch im „Rabat Plan of Action” verankert. Dem "Rabat Plan of Action" ging ein Konsultationsprozess mit Expertinnen und Experten aus der ganzen Welt voraus, deren Ergebnisse auf einer Konferenz in Rabat (Marokko) zu diesem Abschlussbericht zusammengeführt wurden.