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Religionsfreiheit und Meinungs­freiheit

Religions- und Meinungs­freiheit gehören zu den Menschen­rechten. In frei­heit­lichen Staaten sind sie außer­dem als Grund­recht in der Ver­fassung fest­ge­schrieben. Nicht selten kommt es jedoch in der Praxis zu Kon­flikten zwischen beiden Rechten.

Junge Frauen mit Tüchern um die Schultern sitzen in drei Reihen hintereinander.
Junge Frauen im Ashram, einem klosterähnlichen Meditationszentrum (UN Photo/Mark Garten)

Kaum ein Menschen­recht ist – auch in Deutsch­land - so um­stritten wie die Religions­freiheit. Dabei ist es nicht in erster Linie das Prinzip der freien Glaubens­wahl, das immer wieder zu Kontro­versen führt, sondern viel­mehr die Frage nach der (legitimen) Ein­schränkungen der Religions­freiheit. Beispiele für solche Kontro­versen sind die Diskussionen um Kopf­tuch- und Burka-Verbote, die Debatte um die Beschneidung von Jungen, die Verbots­debatten um religiöse Symbole im öffent­lichen Raum, die Dis­kussionen um die Ein­führung von Islam­unterricht an deutschen Schulen oder auch die all­gemeine Problematisierung der kirch­lichen Träger von Lehr­ein­richtungen wie Kinder­gärten oder Schulen.

Problematisch ist, dass in diesen Debatten häufig mit dem Verweis auf andere Menschen­rechte argumentiert wird. So argu­mentieren Kopf­tuch- oder Burka-Gegner mit Verweis auf die Frauen­rechte und die Diskussion um die Beschneidung von Jungen wird zu einer Debatte um Religions­freiheit versus Selbst­bestimmungs­recht des Kindes. Häufig werden zudem religiöse Symbole in Schulen gegen das religiöse Erziehungs­recht von Eltern (im Einklang mit der Über­zeugung des Kindes) auf­gewogen. Diese vermeint­lichen Konflikt­linien sind problematisch, weil Menschen­rechte niemals gegen­einander aus­gespielt oder aufgewogen werden sollten. Ein weiterer vermeint­licher Konflikt kenn­zeichnet die Debatten um Religions­freiheit versus Meinungs­freiheit, wie dies zum Beispiel in der Dis­kussion um die Mohammed-Karikaturen sicht­bar wurde. Deswegen werden diese beiden Normen hier gemein­sam beschrieben. 

Religions- und Welt­an­schauungs­frei­heit

Artikel 18 des ICCPR (Inter­nationaler Pakt über bürger­liche und politische Rechte, engl. International Covenant on Civil and Political Rights) spricht jedem Menschen das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religions­freiheit zu. Im Sinne des Ab­kommens hat damit jeder Mensch die Frei­heit, eine Religion oder eine Welt­anschauung eigener Wahl zu haben oder anzunehmen, sowie die Frei­heit diese alleine oder in einer Gemein­schaft auszu­üben. Dies darf im privaten sowie im öffent­lichen Raum geschehen. Gleich­zeitig ist es verboten, Menschen einem Zwang auszu­setzen, der diese Frei­heiten ein­schränken würde.

Die Begriffs­wahl der Welt­anschauung- und der Gewissens­freiheit räumt Menschen auch bewusst das Recht ein, keinen religiösen Glauben zu haben und sich keiner Religions­gemeinschaft anzu­schließen. Niemand darf gegen seine Über­zeugung zur Wahl einer (bestimmten) Religion, einem Glaubens­bekenntnis oder zu religiösen Handlungen gezwungen werden. Genauso wenig dürfen Menschen dazu gezwungen werden, ihren religiösen Glauben zu wechseln oder gegen ihren Willen in einer Glaubens­gemeinschaft zu verbleiben. Damit hat jeder Mensch das Recht zur Konversion sowie zur Apostasie, was die Abwendung von einer Religion durch einen förmlichen Akt bedeutet. Für Staaten bedeutet dies also, dass sie ihren Bürgerinnen und Bürgern keine Glaubens­richtungen vorschreiben oder einen Religions­wechsel verbieten dürfen. Ebenso wenig dürfen Staaten Menschen wegen ihres Glaubens, ihrer Religion oder ihrer atheistischen Welt­anschauung unter­drücken oder sie dazu zwingen, am Religions­unterricht teil­zu­nehmen.

Die Religions­freiheit darf im Sinne von Art. 18 nur ein­geschränkt werden, um die öffent­liche Sicher­heit, Ordnung, Gesund­heit, Sitt­lichkeit oder die Grund­rechte und -frei­heiten Anderer zu schützen. Das heißt, der Staat kann beispiels­weise alle religiösen Symbole an öffent­lichen Behörden oder Schulen verbieten, um die staat­liche Neutra­lität gegen­über allen Religionen zu gewähr­leiten. Das Verbieten von Symbolen einzelner Religionen wider­spricht jedoch der Norm der Religions­freiheit. Staaten können ferner bestimmte Glaubens­gruppierungen nur verbieten, wenn diese beispiels­weise unter der Aus­nutzung einer gehobenen Macht­stellung missionieren, ihre Mitglieder oder Anhänger ausbeuten, in ihren Predigen Hass schüren oder gegen Anders­gläubige hetzen. Auch können sie verboten werden, wenn sie ihre Mitglieder bedrohen, um sie etwa am Aus­tritt aus der Gruppierung zu hindern. Denn dies würde die Grund­rechte und -frei­heiten anderer gefährden.

Gedanken-, Gewissens- und Meinungs­freiheit

Eine Frau und ein Mann interviewen einen älteren Mann und halten ihm ein Mikrofon vor den Mund.
Ohne Angst die eigene Meinung zu sagen, sollte selbstverständlich sein. Doch vielerorts bringen sich Menschen, die das tun, in Lebensgefahr (UN Photo/Tim McKulka)

Art. 19 des ICCPR gesteht jedem Menschen „das Recht auf unbe­hinderte Meinungs­freiheit“ zu. Dieses Recht beinhaltet „das Recht auf freie Meinungs­äußerung; dieses Recht schließt die Frei­heit ein, ohne Rück­sicht auf Staats­grenzen Informationen und Gedanken­gut jeder Art in Wort, Schrift oder Druck, durch Kunst­werke oder andere Mittel eigener Wahl sich zu beschaf­fen, zu empfangen und weiter­zugeben.“ Absatz 2 spezifiziert, dass diese Rechte mit „besonderen Pflichten und einer besonderen Verant­wortung verbunden“ sind. Um die „Achtung der Rechte oder des Rufs anderer“ und den „Schutz der nationalen Sicher­heit, der öffent­lichen Ordnung (ordre public), der Volks­gesundheit oder der öffent­lichen Sitt­lich­keit“ zu gewähr­leisten, dürfen Staaten die Meinungs­freiheit deshalb bestimmten gesetz­lich vor­gesehenen Ein­schränkungen unter­werfen. Diese werden in Art. 20 auf­geführt. Dieser Artikel verbietet jede Form der Kriegs­propaganda und das "Eintreten für nationalen, rassischen oder religiösen Hass, durch das zu Dis­kriminierung, Feind­seligkeit oder Gewalt aufgestachelt wird."

Grund­sätzlich bedeutet dies somit, dass die Gedanken-, Gewissens- und Meinungs­freiheit das Recht beinhaltet, selbständig zu denken, sich dafür alle nötigen Informationen frei zu beschaffen, nach eigenem Gewissen zu handeln, sich eine eigene Meinung zu bilden und diese frei zu äußern, solange sie keine Hetze, Kriegs­propaganda oder Hass­reden dar­stellt oder zu Gewalt aufruft. Kein Mensch darf aufgrund seiner eigenen Meinung bestraft , ideologischen Zwängen unter­worfen oder auf­grund von Gewissens­ent­scheidungen, wie zum Bei­spiel der Kriegs­dienst­verweigerung, bestraft werden. Die Gedanken-, Gewissens- und Meinungs­freiheit gilt absolut.

In vielen Staaten wird dies jedoch nicht gewähr­leistet. Insbesondere regierungs- oder staats­kritische Personen, wie Aktivisten, Blogger und Journalisten, geraten aufgrund ihrer öffent­lichen Äußerungen regel­mäßig ins Visier von meist auto­kratisch geführten Staaten. Zensur im Internet und die Schließung von sozialen Netz­werken wie Twitter, Facebook oder Youtube sind in einigen Ländern häufig angewandte Maß­nahmen. Doch auch in demo­kratischen Staaten wird das Recht auf freie Meinungs­äußerung derzeit vermehrt und kontrovers diskutiert. So ist beispiels­weise umstritten, wie weit das Recht auf freie Meinungs­äußerung im Internet geht. In Deutsch­land steht z.B. der Kinder- und Jugend­schutz über der freien Meinungs­äußerung, wenn es um Inhalte geht, die Kindern und Jugend­lichen schaden könnten. Staat­liche Kontroll­maßnahmen des Internets – beispiels­weise ein erschwerter Zugang oder gar die Sperrung von porno­grafischen oder gewalt­verherr­lichenden Web­seiten werden jedoch häufig als „Zensur“ wahr­genommen und rufen somit massiven Protest hervor.

Um unabhängig zu unter­suchen und zu dokumentieren, wie das Recht auf freie Meinungs­äußerung welt­weit umgesetzt wird, wurde das Mandat des Sonder­bericht­erstatters über die Förderung und den Schutz der Meinungs­freiheit und des Rechts der freien Meinungs­äußerung geschaffen.

Religionsfreiheit versus Meinungs­freiheit?

Das Verhältnis zwischen Religions- und Meinungs­freiheit ist traditionell angespannt. Auch inner­halb der Vereinten Nationen haben zahl­reiche Debatten zum Thema statt­gefunden, die unter dem Schlag­wort der „Diffamierung“ von Religion jegliche Religions­kritik zurück­wiesen. Dabei wurde meist –  wie zum Beispiel in der Diskussion um die Mohammed-Karikaturen – die Meinungs­freiheit gegen die Religions­freiheit gestellt. Dieser Argumentation liegt ein Verständ­nis zu Grunde, dass das Menschen­recht auf Religions­freiheit Religionen grund­sätzlich vor jeglicher Kritik schütze.

Der ehemalige Sonder­bericht­erstatter für Religions- und Welt­anschauungs­fragen Prof. Heiner Bielefeldt stellte jedoch klar, dass die Religions­freiheit das Recht der Menschen schütze, eine Religion zu wählen und auszu­üben, jedoch nicht die Religionen an sich schützt. Religions­freiheit ist also kein "Impf­schutz" für Religionen gegen Kritik und sollte auch nicht als solcher miss­verstanden werden.

Dieses Verständnis hat sich seit 2011 auch inner­halb der Vereinten Nationen durchgesetzt. Anfang 2011 brachte Pakistan, stell­vertretend für die Organisation für Islamische Zusammen­arbeit eine Resolution im Menschen­rechts­rat ein, die diese Wende symbolisiert. Die Resolution 16/18 soll vor negativer Stereo­typen­bildung und vor Hass­reden gegen einzelne Religionen oder deren Anhänger schützen sowie religions­bezogenen Gewalt­akten vorbeugen. Sie kommt dabei jedoch ohne den Begriff der Religions­diffamierung aus.

Zentral ist somit der Ansatz­punkt, der nicht den Schutz der Religion, sondern den Schutz der Menschen vor Hass­reden, die von Dis­kriminierung bis hin zur Gewalt gegenüber Anders­gläubigen aufrufen, in den Mittel­punkt stellt. Dies ist auch im „Rabat Plan of Action” verankert. Dem "Rabat Plan of Action" ging ein Konsultations­prozess mit Expertinnen und Experten aus der ganzen Welt voraus, deren Ergeb­nisse auf einer Konferenz in Rabat (Marokko) zu diesem Abschluss­bericht zusammen­geführt wurden.