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Welternährungsbericht 2021: Nicht auf Kurs bei SDG 2

Angesichts der Folgen der Corona-Pandemie wird es weltweit noch mehr Anstrengungen brauchen, Hunger und Unterernährung bis 2030 zu beenden. Der neue Welternährungsbericht zeigt Rückschritte statt Fortschritte – nicht erst seit Beginn der Krise.

Eine Person hält in der einen Hand getrocknete Reiskörner und in der anderen ein Büschel Reisähren.
Reis ist in vielen Ländern ein wichtiges Grundnahrungsmittel. Doch beim Anbau entsteht Methan, das den Klimawandel anheizt. (UN Photo/FAO/J. Ciganovic)

Millionen Menschen weltweit leiden unter Ernährungsunsicherheit, verschiedenen Formen von Mangel- oder Fehlernährung oder sogar Hunger, weil sie keinen ausreichenden Zugang zu ausgewogener Nahrung haben. Zum Teil sind nahrhafte Lebensmittel in Krisensituationen nicht verfügbar. Oft können die Menschen sie sich auch im Alltag schlichtweg nicht leisten. Die Corona-Krise hat die Situation zusätzlich verschärft. Das Ziel für nachhaltige Entwicklung (SDG) Nr. 2, den Hunger in der Welt zu beenden, rückt in weite Ferne. Bis 2030 wird es wohl nicht erreicht werden.

Bereits im Frühjahr 2020 hatte David Beasley, Direktor des Welternährungsprogramms, vor einer „Hunger-Pandemie“ im Schatten der Corona-Pandemie gewarnt. Der kürzlich erschienene Welternährungsbericht („The State of Food Security and Nutrition in the World“) 2021 liefert nun ausführlichere Daten zur Ernährungslage im Pandemiejahr 2020, wagt Einschätzungen der zukünftigen Entwicklung und zeigt Handlungsbedarf auf.

Welternährungsbericht beziffert erste Pandemie-Folgen

Bereits in den vorangegangenen Ausgaben des Berichts wurde deutlich, dass die Ernährungsunsicherheit seit einigen Jahren eher wieder zu- als abnimmt. Doch der geschätzte Anstieg im Jahr 2020 übertraf den der Vorjahre um ein Vielfaches. Er entsprach in etwa dem der vergangenen fünf Jahre zusammengenommen.

Nach den aktuellen Daten hatten 2,37 Milliarden Menschen, also fast ein Drittel der Weltbevölkerung, im Pandemiejahr 2020 keinen Zugang zu ausreichend gesunder Ernährung. Das waren 320 Millionen Menschen mehr als noch 2019. 928 Millionen, 12 Prozent der Weltbevölkerung, litten unter extremer Ernährungsunsicherheit – 148 Millionen mehr als im Jahr vor der Pandemie. Zwischen 720 und 811 Millionen Menschen auf der Welt litten 2020 Hunger. Nimmt man den Mittelwert dieser Schätzungen von 768 Millionen, sind dies rund 118 Millionen mehr als 2019. Geht man vom geschätzten Höchstwert aus, sind es sogar 161 Millionen mehr sein.

Regionale Unterschiede

Nach dem Welternährungsbericht leben mehr als die Hälfte der Menschen, die sich nicht ausreichend ernähren können, in Asien (418 Millionen) und mehr als ein Drittel in Afrika (282 Millionen). Gegenüber 2019 stiegen 2020 die Zahlen in Afrika um 46 Millionen, in Asien um 57 Millionen und in Lateinamerika und der Karibik um etwa 14 Millionen.

Der Anteil der Hungernden an der Gesamtbevölkerung ist auf dem afrikanischen Kontinent besonders hoch. Mit 21 Prozent betrug er dort 2020 mehr als das Doppelte wie in anderen Regionen. Auch der Anstieg gegenüber 2019 war mit drei Prozentpunkten deutlich höher als in Lateinamerika und der Karibik (+ 2,0 Prozent Anstieg auf einen Anteil von 9,1 Prozent) und Asien (+ 1,1 Prozent Anstieg auf 9,0 Prozent).

Corona-Pandemie als „Spitze des Eisbergs“

Insgesamt sei die Welt nicht „auf Kurs“, bis 2030 die Zielvorgaben auch nur eines der gesetzten Ziele des Ernährungs-SDG 2 zu erreichen, heißt es in dem Bericht. In Bezug auf Indikatoren wie ernährungsbedingte Wachstumsstörungen, das Stillen von Babys und das Geburtsgewicht von Säuglingen gebe es zu wenig Fortschritte. Bei anderen Indikatoren wie Übergewicht oder die akute Unterernährung von Kindern, Anämie bei Frauen im reproduktiven Alter oder Adipositas bei Erwachsenen gebe es teilweise sogar Rückschritte.

Die Corona-Beschränkungen weltweit haben dazu beigetragen, dass Hunger und Unterernährung zugenommen haben. Die Pandemie ist jedoch nur die Spitze des Eisbergs. Sie hat Anfälligkeiten in der Nahrungsmittelproduktion, -verarbeitung und -verteilung offengelegt, die über Jahre entstanden sind. Konflikte, der Klimawandel, extreme Wetterereignisse und Wirtschaftskrisen nehmen zu und verschärfen Armut und Ungleichheiten in vielen Teilen der Welt. Sie treten zunehmend zeitgleich auf, wirken zusammen, verstärken sich gegenseitig und beeinträchtigen die Ernährungssicherheit.

Ausblick in die Zukunft

Nach den aktuellen Projektionen wird sich der Hunger in der Welt bis 2030 nicht beseitigen lassen, wenn nicht enorm viel getan wird, um den Zugang zu Nahrungsmitteln zu verbessern. Unter gleichbleibenden Bedingungen werden nach Schätzung im Welternährungsbericht 2030 noch immer 660 Millionen Menschen Hunger leiden. Das sind 30 Millionen mehr, als wenn es keine Pandemie gegeben hätte. Die Auswirkungen der Pandemie im Bereich Ernährungssicherheit könnten also auch in den kommenden Jahren weiter spürbar bleiben. Die verschiedenen Formen von Fehl-, Mangel- und Unterernährung, die durch die Pandemie zugenommen haben, sind für die Betroffenen verheerend. Hinzu kommt, dass die Auswirkungen von einer Generation an die nächste weitergegeben werden könnten. Die Produktivität breiter Teile der Bevölkerung, vor allem in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen, könnte sinken, was eine wirtschaftliche Erholung zusätzlich erschweren würde.

Politischer Handlungsbedarf

Der Bericht beschreibt sechs Handlungsfelder, in denen mehr Resilienz erforderlich ist, um auf nachhaltige und inklusive Weise sicherzustellen, dass alle Menschen auf der Welt sich eine gesunde Ernährung leisten können: 1. die Integration humanitärer, entwicklungs- und friedenspolitischer Maßnahmen in Konfliktgebieten, 2. die Verbesserung der Klima-Resilienz von Systemen zur Ernährungssicherung, 3. die Stärkung der Widerstandsfähigkeit von Menschen, die im Falle wirtschaftlicher Widrigkeiten besonderen Risiken ausgesetzt sind, 4. Maßnahmen im Lebensmittelsektor, um nahrhafte Lebensmittel erschwinglicher zu machen, 5. die Verringerung von Armut und strukturellen Ungleichheiten, um sicherzustellen, dass Maßnahmen gezielt den Armen zugutekommen, und 6. die Förderung umweltfreundlicher und gesunder Ernährungsgewohnheiten.

Die Autorinnen und Autoren des Berichts weisen darauf hin, dass die Umstellung auf eine gesunde Ernährung, bei der auch Nachhaltigkeitsanliegen berücksichtigt werden, dazu beitragen könne, gesundheits- und klimawandelbedingte Kosten bis 2030 zu reduzieren. Die verdeckten Kosten einer gesunden Ernährung seien niedriger als die der gegenwärtig vorherrschenden Konsummuster, so die Argumentation. Zudem sei bei allen Maßnahmen, Investitionen und Gesetzgebungen politische Kohärenz gefordert, das heißt sie dürfen sich nicht gegenseitig beeinträchtigen, sondern sollten Win-Win-Situationen schaffen.

Welche grundlegenden Veränderungen in den globalen Systemen zur Nahrungsmittelproduktion, -verarbeitung und -verteilung und dem Verbrauch nötig sind, diskutieren in diesen Tage Expertinnen und Experten auf einem Vorbereitungstreffen zum Welternährungsgipfel.

Mit dem im September anstehenden Welternährungsgipfel (UN Food Systems Summit), der im November geplanten 26. Vertragsstaatenkonferenz der Klimarahmenkonvention (UNFCCC) und dem „Nutrition for Growth“-Gipfel im Dezember bietet das Jahr 2021 wichtige Gelegenheiten, konkrete Maßnahmen auf den Weg zu bringen, um die Ernährungslage der Weltbevölkerung zu verbessern. Die Gipfeltreffen können wichtige Weichen für Handlungsprogramme in der zweiten Hälfte der UN-Dekade für Ernährung (2016-2025) stellen.

Weitere Informationen:

FAO, IFAD, UNICEF, WFP, WHO (2021): The State of Food Security and Nutrition in the World 2021. Transforming food systems for food security, improved nutrition and affordable healthy diets for all. Rom, FAO.

Christina Kamp

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