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Über einen Kamm geschert: Rassismus in Nordafrika

Struktureller Rassismus prägen die Leben der schwarzen Bevölkerung im Maghreb. Tunesien und Marokko bemühen sich um Ansätze dies zu bekämpfen – bisher mit beschränktem Erfolg. Sie sollten dabei von der UN gefordert und gefördert werden.

Tendayi Achiume ist die Rassismus-Sonderberichterstatterin des UN-Menschenrechtsrats. (UN Photo/Loey Felipe)

Nachkommen von Sklavinnen und Sklaven, lokale ethnische Minderheiten, Studierende und Migrantinnen und Migranten aus Subsahara-Afrika: Die schwarze Bevölkerung der Maghrebstaaten ist geprägt von Diversität ihrer Herkunft und gesellschaftlichen Position vor Ort. Vereint wird sie durch die Konfrontation mit zunehmendem Rassismus. Unterschiedslos werden alle Schwarzen diskriminiert. Adressiert wird die Problematik – sowohl auf nationalstaatlicher Ebene als auch durch Maßnahmen des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR – mit Hinblick auf die prekäre Lage von schwarzen Migrantinnen und Migranten im Maghreb. 2017 veröffentlichte Bilder von Sklavenmärkten in Libyen lösten einen internationalen Aufschrei aus. Aber auch aus Marokko und Algerien kommen regelmäßig Berichte über die Misshandlung von Geflüchteten. Rassismus zieht sich aber durch die Lebenserfahrung aller Schwarzen in den Maghrebstaaten. Tunesien und Marokko bemühen sich um Ansätze, dies zu bekämpfen.
 

Kriminalisiert, aber ignoriert

Nach inoffiziellen Schätzungen identifizieren sich 10 bis 15 Prozent der tunesischen Bevölkerung als schwarz. Hinzu kommen Migrantinnen und Migranten sowie Studierende besonders aus Westafrika, für die die frankophonen Universitäten Tunesiens attraktiv sind. Im Rahmen der weltweiten Demonstrationen in Solidarität mit der Black-Lives-Matter Bewegung in den USA gingen im Juni auch in Tunesien Menschen auf die Straße. Ihr Protest richtete sich gegen alltägliche verbale Beleidigungen, in Läden oder von Taxis nicht bedient zu werden und Schwierigkeiten auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt. Zunehmend kommen auch physische Übergriffe hinzu.

Soziale und wirtschaftliche Marginalisierung sind – unter anderem – Nachwirkungen der Sklaverei in Tunesien und ihrer mangelnden Aufarbeitung. Besonders im Süden des Landes kehrten viele ehemalige Sklavinnen und Sklaven wieder zu ihren früheren Besitzerinnen und Besitzern zurück, da sie keine unabhängige Lebensgrundlage für sich finden konnten. Dieses sogenannte wala System ist bis heute präsent und Ausdruck des mangelnden Zugangs zu Bildung und wirtschaftlichem Aufstieg für die schwarzen Bevölkerung in Tunesien.

Von 2002 bis 2014 verlegte die Afrikanische Entwicklungsbank ihren Sitz aus der konfliktgeschüttelten Elfenbeinküste nach Tunesien – auf Einladung des langjährig regierenden Präsidenten Ben Ali. Nach anfänglichen rassistischen Anfeindungen der Bankangestellten und ihrer Familien warnte Ben Ali die tunesische Bevölkerung davor, „seine Gäste“ nicht anzugreifen. Das Vorurteil, dass Ben Ali Schwarze weißen Tunesierinnen und Tunesiern gegenüber privilegiere, schlug nach seinem Sturz 2011 in Kombination mit der wachsenden Zahl von Migrantinnen und Migranten aus Subsahara-Afrika in offene und rasant zunehmende Diskriminierung gegenüber allen Schwarzen in Tunesien um.

2018 verabschiedete Tunesien ein Gesetz zur Kriminalisierung von Rassismus – ein Erfolg der Zivilgesellschaft.  Noch 2011 war sie mit der Forderung, den Schutz schwarzer Tunesierinnen und Tunesier in der Verfassung zu verankern, abgewiesen worden. Die Begründung damals: Sie schaffe ein Problem, das nicht existiere. Nun können rassistisch motivierte Angriffe und Drohungen mit bis zu drei Jahren Gefängnis und Geldstrafen von bis zu 1.000 US-Dollar bestraft werden. Bisher wurde auf Grundlage dieses Gesetzes erst ein Urteil gesprochen. Ein ähnlicher Gesetzentwurf wurde 2018 im marokkanischen Parlament vorgelegt, aber zugunsten „wichtigerer Themen“ auf unbestimmte Zeit vertagt.
 

Marokko ist der Kampf für Menschenrechte wichtiger als Anti-Rassismus

Marokkos Verfassung erklärt mit Stolz, die marokkanische Bevölkerung sei von ethnischer und religiöser Diversität geprägt. Zu betonen, dass Schwarze ein Teil Marokkos sind, ist für den Territorialanspruch auf die Westsahara wichtig: Die dort lebenden Sahrawi sehen sich selbst als unabhängiges Volk, aus marokkanischer Perspektive jedoch sind sie schwarze Marokkanerinnen und Marokkaner. Auch die marokkanische Amazigh-Bevölkerung (auch bekannt als Berber) berichtet davon, Opfer rassistischer Angriffe zu sein.

2013 löste der rassistisch motivierte Mord an zwei Migranten aus dem Kongo und dem Senegal Proteste aus. In Reaktion darauf verabschiedete die marokkanische Regierung eine neue Migrationsrichtlinie, in der sie circa 2.000 in Marokko lebenden Migrantinnen und Migranten aus Subsahara-Afrika einen legalen Status gab. Rassismus als Faktor wurde in dieser Richtlinie nicht adressiert.

Nach ihrem Besuch in Marokko im Dezember 2018 lobte Tendayi Achiume, UN-Sonderberichterstatterin für Rassismus, Rassendiskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und damit verbundene Intoleranz, dass Marokko sich für die Überwachung und Einhaltung von Menschenrechten einsetze. Der Schutz vor rassistischen Übergriffen – auch durch staatliche Sicherheitskräfte – werde dabei jedoch nicht ausreichend einbezogen. Sie kritisierte, dass Marokko, obwohl Unterzeichner des Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung, keinen legalen Rahmen zum Schutz vor Rassismus implementiert habe. Marokkos Bemühung für Gleichheit der Bürgerinnen und Bürger dürfe sich nicht auf Geschlechtergerechtigkeit beschränken.
 

Der Kampf gegen Rassismus muss ganzheitlich angegangen werden

Tendayi Achiume betonte im Abschlussbericht ihres Besuchs in Marokko, dass der Schutz Geflüchteter gerade im Norden des Landes stärker durch UNHCR und IOM gesichert werden müsse, solange die marokkanischen Sicherheitskräfte dies nicht leisten.

Ansätze zur Bekämpfung von Rassismus müssen jedoch umfassender gedacht werden. Schutzbedürftig sind nämlich ebenso die seit Generationen im Maghreb lebenden Schwarzen, Studierenden aus Subsahara-Afrika sowie als schwarz wahrgenommene Minderheiten. Die internationale Gemeinschaft kann hierzu einen Beitrag leisten: Vereinbarungen in der internationalen Zusammenarbeit beinhalten regelmäßig Konditionen zur Stärkung der gesellschaftlichen Gleichstellung von Frauen in Bereichen von Bildung, Gesundheit, wirtschaftlicher Emanzipation und politischer Teilhabe. Ähnlich sollten Projekte zur Förderung der schwarzen Bevölkerung im Maghreb in allen Bereichen des politischen, sozialen und wirtschaftlichen Lebens forciert werden, um Abhängigkeitsstrukturen und Marginalisierung zu durchbrechen. Hierzu können die UN-Agenturen mit bestehenden lokalen zivilgesellschaftlichen Strukturen zusammenarbeiten, um der Diversität der schwarzen Bevölkerung und ihrer Bedürfnisse gerecht zu werden.


Tonja Klausmann

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