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Menschenrechte in der Landwirtschaft: mehr Schutz von Bäuerinnen und Bauern notwendig!

Sie werden diskriminiert und marginalisiert: die Menschen, die ein Drittel der Welt ernähren, sind laut den Vereinte Nationen überproportional oft von Hunger und Armut betroffen. Die Nichtregierungsorganisation FIAN schätzt, dass 80 Prozent aller Hungernden in ländlichen Regionen leben. Davon sind rund die Hälfte in der kleinbäuerlichen Landwirtschaft tätig – die Ernährungsquelle für fast 2 Milliarden Menschen. Deshalb kämpfen Menschenrechtsorganisationen seit über einem Jahrzehnt für eine Erklärung der Vereinten Nationen zum Schutz von Kleinbäuer*innen und anderen Menschen, die in ländlichen Regionen arbeiten. Die Verabschiedung dieser Erklärung ist aktuell wieder wahrscheinlicher und ihr Aushandlungsprozess beispielhaft für die Genese einer Menschenrechtserklärung.

Ein afghanischer Mann steht in einem sonnenbestrahlten Weizenfeld und hat ein Bündel geernteten Weizen auf der Schulter
Einer von 2 Milliarden. Kleinbäuerliche Landwirtschaft gilt als eine der Haupternährungsquellen für die Weltbevölkerung. Trotzdem werden Kleinbäuer*innen disrkiminiert und marginalisiert. Hier ein Bauer in Afghanistan 2009. (UN Photo/Eric Kanalstein)

Die Nichtregierungsorganisation (NGO) La Via Campesina ist eine der größten Zusammenschlüsse von und Fürsprecherin der ländlichen Bevölkerungsgruppen. Sie berichtet seit Jahren regelmäßig über Menschenrechtsverletzungen an Bäuer*innen und anderen Menschen, die in ländlichen Regionen arbeiten. Diese oft unter dem Begriff der Kleinbäuer*innen zusammengefasste Gruppe bezeichnet neben Bauern und Bäuerinnen mitunter auch kleine und mittelständige Agrarbetriebe, Naturweidewirtschaft, Landlose und Fischer. Ingesamt erstreckt sich der Begriff auf alle Menschen, die durch die Produktion oder Verarbeitung von Nahrungsmitteln eine besondere Beziehung und Abhängigkeit zum Land herstellen. Sie bearbeiten das Land selbst und sind in der Produktion sowie beim Handel auf Familien, lokale Strukturen oder regionale Zusammenschlüsse angewiesen. Zusammen machen diese Menschen in etwa die Hälfte der Weltbevölkerung aus.

Als Ursachen für die massiven Menschenrechtsverletzungen von Kleinbäuer*innen werden soziale, politische und wirtschaftliche Diskriminierung und Marginalisierung angeführt (vgl. DGVN und Michael Windfuhr (Deutsches Institut für Menschenrechte)). Die Folgen sind zum Beispiel Vertreibung und erzwungene Umsiedlung sowie die Vernachlässigung der ländlichen Räume im Hinblick auf Infrastruktur, Gesundheit, Bildung, Finanzwesen und Informationstechnik. Hinzu kommt die Kriminalisierung von Zusammenschlüssen wie Kooperativen oder Gewerkschaften. Ungerechte Agrarpolitik, die beispielsweise Saatgutpatente nicht reguliert und Korruption sind weitere Folgen der Vernachlässigung staatlicher Schutzverantwortung gegenüber Kleinbäuer*innen. Hinzu kommen erschwerend Mehrfachdiskriminierungen aufgrund der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der sozialen Herkunft oder der Arbeitsbedingungen. So sind laut Terre des Femmes Frauen in manchen traditionellen Kulturen kategorisch vom Erbrecht ausgeschlossen und machen weltweit nur 10 bis 20% der Landbesitzer*innen aus.

Eine Frau sitzt in Osttimor in einem gefluteten Reisfeld auf einem Stück Holz und erntet Reis mit der Hand. Sie schaut nach oben in die Kamer.
Obwohl die Menschen in der kleinbäuerlichen Landwirtschaft bereits überproportional oft Opfer von Menschenrechtsverletzungen sind, geht es Frauen noch schlechter. Sie werden zusätzlich wegen ihres Geschlechts diskriminiert. Eine Bäuerin bei der Reisernte in Timor-Leste, 2009. (UN Photo/Martine Perret)

Die Erklärung der Vereinten Nationen nimmt Form an

Seit nun mehr als 15 Jahren versuchen NGOs die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen in den Menschenrechtsgremien dazu zu bewegen, die Menschenrechte von Kleinbäuer*innen intensiver zu schützen. Mit Erfolg. 2009 mandatierte der UN-Menschenrechtsrat seinen Beratenden Ausschuss mit einer Studie zur Menschenrechtssituation von Kleinbäuer*innen. Dieser veröffentlichte 2012 seinen finalen Bericht, der auch einen ersten Entwurf einer Erklärung der Vereinten Nationen zum Schutz von Kleinbäuer*innen und anderen Menschen, die in ländlichen Regionen arbeiten, enthielt (A/HR/C/1975). Der Entwurf basierte auf dem Vorschlag, der zuvor von La Via Campesina eingereicht wurde. Der Bericht bestätigte die Analysen und Berichte der Menschenrechtsorganisationen und unterstrich zum Beispiel eine Wechselbeziehung zwischen Armut und Hunger sowie Menschenrechtsverletzungen in den ländlichen Regionen. Daraufhin beschloss der Menschenrechtsrat (A/HRC/RES/21/19) die Einrichtung einer entsprechenden Offenen Arbeitsgruppe, welche mit der Arbeit an einer Erklärung betraut wurde.

Der aktuellste Entwurf vom März 2017 (A/HRC/WG.15/4/2) beinhaltet auch neue Rechte, betont aber vor allem Verpflichtungen der Mitgliedsstaaten, die aus bereits bestehenden Menschenrechtsübereinkommen hervorgehen. Die Aufforderung zur Umsetzung des Diskriminierungsverbots, des Rechts auf Teilhabe, des Rechts auf Arbeit oder auf Vereinigungsfreiheit wird dort explizit wiederholt.

Als sogenanntes Rückgrat der Erklärung gelten Rechte wie die von Frauen in der bäuerlichen Landwirtschaft (Art. 4), der Zugang zu Justiz für Opfer von Menschenrechtsverletzungen (Art. 12), das Recht auf Nahrung inklusive des Rechts auf Ernährungssouveränität (Art. 15), das Recht auf Produktionsmittel (Art. 16), das Recht auf Land (Art. 17), das Recht auf Saatgut (Art. 19) und das Recht auf biologische Vielfalt (Art. 20).

Zwei Paar Kinderfüße stecken in kaputten und zerrissenen Gummistiefeln die in einer schlammbraunen Pfütze stecken.
Wer Armut bekämpfen will, muss auch die Kleinbauern und Kleinbäuerinnen vor Diskriminierung und Vernachlässigung schützen. (UN Photo/Kibae Park)

Die Erklärung zeichnet sich darüber hinaus dadurch aus, dass sie nicht nur neue Rechte definiert und die besondere Schutzbedürftigkeit der Kleinbäuer*innen unterstreicht, sondern auch ihre Bedeutung für, so wörtlich, „Mutter Erde“, hervorhebt. Die Arbeit von Kleinbäuer*innen und anderen Menschen, die in ländlichen Regionen arbeiten, trägt zur Entwicklung und Erhaltung der biologischen Vielfalt weltweit bei. Diese ist Grundlage der Welternährung und landwirtschaftlichen Produktion des gesamten Planeten. Zusätzlich ist die kleinbäuerliche Produktionsweise Garant der Ernährungssouveränität und somit fundamentaler Bestandteil der international vereinbarten Nachhaltigen Entwicklungsziele (engl: Sustainable Development Goals, kurz SDGs). Ein Schutz der in ländlichen Regionen arbeitenden Menschen kann außerdem eine Abwanderung der Jugend in die Städte bremsen, die auf lange Sicht das Ende der kleinbäuerlichen Produktionsweise bedeuten würde.

Aussicht auf Erfolg

Nach aktuellen Pressemitteilungen der NGO FIAN zählten bei der diesjährigen Sitzung der Offenen Arbeitsgruppe (Mai 2017) das Recht auf Land als Gruppenrecht und die Rechte indigener Bevölkerungen zu den bestimmenden Streitthemen. Insgesamt lässt sich den Stellungnahmen aber entnehmen, dass einer finalen Erklärung vor allem juristische Feinheiten im Wege stehen. In dem Verhandlungsprozess haben sich anfangs vor allem die westlichen Industrienationen skeptisch geäußert und gegen die Erklärung, einer Initiative aus dem Globalen Süden, gestimmt. Mittlerweile enthalten sich die Staaten des Globalen Nordens bei den Abstimmungen. Das kann als Fortschritt erachtet werden.

Eine rechtlich unverbindliche Erklärung der Vereinten Nationen hat nach Michael Windfuhr vom Deutschen Institut für Menschenrechte gewiss nur dann eine symbolische Strahlkraft, wenn sich möglichst viele Mitgliedsstaaten dafür aussprechen. Es bleibt zu hoffen, dass dies in der finalen Abstimmung der Fall sein wird. Kritik an der Erklärung, die diese als redundant erachtet oder gar eine Zersplitterung des Menschenrechtsschutzes beschwört, kann ein Blick auf andere Menschenrechtsübereinkommen, z.B. das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, abschwächen. Tatsächlich müssten die meisten bestehenden Übereinkommen nur konsequenter umgesetzt werden um den Schutz von Kleinbäuer*innen zu gewährleisten. Doch neue Rechte erweitern den Kanon der Menschenrechte und machen sie einfacher zugänglich. Die Erklärung kann dann auch dabei helfen eine schutzbedürftige Gruppe zu identifizieren und ihren Schutz zu fokussieren, eben weil sie auch besonders benachteiligt werden. Bisher fällt die Erklärung nicht hinter bestehende Menschenrechtsstandards zurück und kann somit als sinnvolle und notwendige Erweiterung verstanden werden.


Prokop Bowtromiuk

Lesen Sie auch:

Einen Beitrag zum Thema von Niklas Sense (2014)...

Einen Veranstaltungsbericht über ein Fachgespräch der DGVN (2014) zur Erklärung der Vereinten Nationen zum Schutz von Kleinbäuer*innen und anderen Menschen, die in ländlichen Regionen... arbeiten...

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