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Kein Entkommen aus der Gewaltspirale: Frauen auf der Flucht

Durch den Krieg in der Ukraine rückte die Thematik Frauen auf der Flucht in den Vordergrund. Doch schon seit Jahrzehnten zeigt die Forschung, dass Frauen geschlechtsspezifischen Formen der Gewalt auch auf Fluchtrouten und in Flüchtlingscamps ausgesetzt sind.

Frauen und Kinder fliehen mit ihren Sachen über Moldawien aus der Ukraine
Frauen und Kinder fliehen aus der Ukraine.

(Foto: UNWomen/flickr/CC BY-NC 2.0/ "Moldova - People People fleeing the military offensive in Ukraine")

Über 100 Millionen Menschen waren Ende des Jahres 2022 nach Angaben des Hohen Flüchtlingskommissariats der Vereinten Nationen (UNHCR) weltweit auf der Flucht. Die Hälfte davon sind nach Schätzungen des UNHCR Frauen und Mädchen. Die Gründe für ihre Flucht überschneiden sich in Teilen mit denen von Männern und Jungen, hierunter fallen Diskriminierung und Verfolgung wegen ihres Glaubens oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bevölkerungsgruppe, Krieg sowie wirtschaftliche Faktoren und Klimabedingungen. Allerdings fliehen Frauen zudem vor geschlechterspezifische Gewalt und sind deutlich häufiger von sexueller Gewalt betroffen. Dadurch zeigt sich ein diverses Bild von der Flucht und Migration von Frauen: sowohl Arbeitsmigrantinnen, Asylbewerberinnen als auch Bürgerkriegsgeflüchtete fallen hierunter. (Mehr Informationen zu speziellen Formen von Migration wie Arbeitsmigration im Dossier der LpB Baden-Württemberg „Frauen, Flucht und Migration“.)

Geschlechtsspezifische Fluchtursachen

Zwangsverheiratung, drohende Femizide, Genitalverstümmelungen, häusliche Gewalt und Zwangsprostitution sind Ausprägungen geschlechtsspezifischer Gewalt, die Gründe für die Flucht von Frauen darstellen.

So berichtet beispielsweise die 17-jährige Maimouna* in einem Interview mit der Nichtregierungsorganisation SOS Humanity, dass sie mit ihrer Tochter aus der Elfenbeinküste floh, um sie vor Genitalverstümmelungen zu schützen. Maimouna selbst hat eine Genitalverstümmelung erlebt und leidet bis heute unter den Folgen. Doch auch auf der Flucht war sie weiter Gewalt ausgesetzt: „Im Gefängnis schlug man uns. (…) Die Frauen wurden dort schlecht behandelt. Oft packt dich irgendein Mann, den du noch nie gesehen hast, und vergewaltigt dich. Wenn du dich wehrst, bringt er dich um. Du kannst nichts tun.“

Auch in Bürgerkriegen gehören systematische Vergewaltigungen häufig zur Kriegsstrategie. Lange wurden diese Gewalttaten als eine Art „natürliche Begleiterscheinung“ bewaffneter Konflikte wahrgenommen. Das führte dazu, dass sich die internationale Gemeinschaft bis in die 1990er-Jahre nicht mit diesem Problem befasste. Erst durch den Völkermord in Ruanda und den Konflikt in Jugoslawien, beides Fälle, in denen sexualisierte Gewalt gezielt angewandt wurde, wurde diese Thematik auf die Agenda gesetzt. Allein während des Genozids in Ruanda im Jahr 1994 wurden laut den Vereinten Nationen zwischen 250 000 und 500 000 Frauen vergewaltigt. Mittlerweile ist klar, dass diese Form der Gewalt gezielt der Einschüchterung, Demütigung und Vertreibung von Opfern dient. Ebenfalls besonders stark von struktureller Diskriminierung und Gewalt betroffen sind lesbische, schwule, bisexuelle, trans, queer und intersexuell lebende Personen (LGBTQI+) auf der Flucht. Allerdings wird diese Thematik von der internationalen Gemeinschaft bis heute nur in Teilen betrachtet, da in einigen Ländern, wie zum Beispiel Saudi-Arabien oder Somalia LGBTQI+ Personen nicht anerkannt und kriminalisiert werden.

Gewalt auf den Fluchtrouten

Häufig bleibt als letzter Ausweg die Flucht. Allerdings ist Maimounas Geschichte kein Einzelfall: Menschen sind vor allem auf den Fluchtrouten überproportional viel Gewalt ausgesetzt. Angst ist deshalb ein ständiger Begleiter. Darunter fallen die Sorge vor Krankheit und der Zukunft, aber vor allem Angst vor Gewalt und sexuellen Übergriffen. Laut des Kinderhilfswerks für die Vereinten Nationen (United Nations Children’s Fund - UNICEF) werden alleine auf der Fluchtroute aus der Subsahara über Libyen bis nach Europa fast die Hälfte aller Frauen mindestens einmal Opfer von sexualisierter Gewalt oder sexuellem Missbrauch. Außerdem warnt UNICEF davor, dass die Dunkelziffer deutlich höher liegen könnte. Befragte Migrantinnen gaben an, Gewalt als „Dienstleistung“ für eine Weiterreise ertragen zu müssen. Sie gehe in vielen Fällen von Angehörigen militärischer Einheiten, männlichen Flüchtlingen oder auch von europäischen Sicherheitskräften aus. Zusätzlich sind Frauen während ihrer Flucht meist völlig auf Schmuggler angewiesen. Diese Abhängigkeit führt in vielen Fällen nicht nur zu Missbrauch, sondern zu Freiheitsberaubung und Menschenhandel.

Die Situation in Flüchtlingslagern

Die Situation in Flüchtlingslagern ist generell besonders für Frauen gefährlich, da hier sexualisierte Gewalt weitverbreitet ist. Vor allem an Orten, wo es keine offiziellen Flüchtlingscamps gibt, müssen Frauen mit ihren Körpern für einen Schlafplatz „bezahlen“. Überfüllte Lager, schlechte gesundheitliche Bedingungen, traumatisierte Menschen und sexuelle Übergriffe finden sich jedoch in fast allen Flüchtlingscamps, das gilt ebenfalls für Flüchtlingslager in Europa. Auch über Unterkünfte in Deutschland gibt es immer wieder Berichte über Gewalt und Missbrauch an Frauen. Frauen können sich aus Angst nicht mehr frei im Lager bewegen, sogar in sanitären Anlagen nicht. Meist gibt es dort keine geschlechtergetrennten Toiletten und Waschräume, sodass Frauen diese aus Angst, vor allem abends, nicht mehr nutzen.

Eine nicht endende Gewaltspirale - Kommt Hilfe durch die Vereinten Nationen?

Viele Frauen, die geflüchtet sind, haben geschlechtsspezifische und sexualisierte Gewalt erlebt. Und auch nach ihrer Flucht leiden sie unter den Folgen und der geringen Selbstbestimmung, die sie meist haben. Um diese Probleme anzugehen, haben die Vereinten Nationen verschiedene Schritte zur Bekämpfung von sexualisierter Gewalt eingeleitet. Der grundlegende Beschluss ist die Resolution 1325 „Frauen, Frieden und Sicherheit“ des Sicherheitsrats aus dem Jahr 2000. Diese beinhaltet den Schutz von Frauen und Mädchen in Kriegsgebieten, sowie die Stärkung der Teilhabe von Frauen an politischen Prozessen bei der Bewältigung und Verhinderung von Konflikten.

Im Jahr 2007 entstand die UN-Aktion gegen sexuelle Gewalt in Konflikten (United Nations Action Against Sexual Violence in Conflict), bei der sich 24 UN-Organisationen für die Vorbeugung von sexualisierter Gewalt in Konflikten einsetzen. Mit der Resolution 1820 aus dem Jahr 2008 wurde sexualisierte Gewalt als eigenständiges Sicherheitsrisiko anerkannt und ihre Bekämpfung und Vorbeugung wurde zum erklärten Ziel der Vereinten Nationen. In den folgenden Jahren wurden weitere Resolutionen mit dem Ziel verabschiedet, Frauen in allen Entscheidungsgremien und Mechanismen zur Vermeidung und Lösung von Konflikten stärker zu repräsentiert. Die neuste Resolution 2493 (2019) fordert die vollständige Umsetzung aller Resolutionen zu Frauen, Frieden und Sicherheit.

Das Ziel: Stigmatisierung und strukturelle Diskriminierung bekämpfen

Problematisch dabei ist, dass sexualisierte Gewalt schwer nachzuweisen ist, da Betroffene häufig aus Angst vor Stigmatisierung Gespräche über diese Thematik meiden. In vielen Fällen fürchten sie sich davor, von ihrem sozialen Umfeld verstoßen zu werden, wenn sie über das Geschehene sprechen. Dies erschwert die strafrechtliche Verfolgung der Täter, auch vor dem Internationalen Strafgerichtshof, was in vielen Fällen dazu führt, dass Taten ungestraft bleiben.

Eine klare Verurteilung sexualisierter Gewalt durch die Gesellschaft sowie eine Entstigmatisierung der Betroffenen kann dabei helfen, soziale Ausgrenzung zu verhindern und es Opfern ermöglichen, über das Geschehene zu sprechen.

In von patriarchalen Strukturen geprägten Gesellschaften werden die Rechte, Interessen und Bedürfnisse von Frauen jedoch prinzipiell denen von Männern untergeordnet, auch in Friedenszeiten. Um also eine grundlegende Veränderung zu erreichen, die zu weniger geschlechtsspezifischer Gewalt gegenüber fliehenden Frauen führt, muss eine allumfassende Geschlechtergerechtigkeit erreicht werden, wie sie auch in SDG 5 der Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals – SDG) gefordert wird.

Anna Germann

*Der Name wurde geändert, um die Anonymität zu wahren.