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Impfgerechtigkeit: „Man ist nur geschützt, wenn alle geschützt sind“

Seit über einem Jahr herrscht ein globaler Ausnahmezustand, mit verheerenden sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und psychologischen Auswirkungen. Impfen ist der sicherste Weg, Menschenleben zu retten und die Beschränkungen zurückzunehmen. Doch der Zugang zu Impfstoffen ist global sehr ungleich.

UN-Generalsekretär Antonió Guterres, ein älterer weißer Mann, erhält seine erste Impfung und zeigt das Victory-Zeichen.
UN-Generalsekretär Antonió Guterres erhält seine erste Impfung in einer High School in der Bronx/New York. (UN Photo/Eskinder Debebe)

Seit März 2020, seit über einem Jahr also, befindet sich die Welt im Ausnahmezustand. Am 11.3.2020 hatte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) den globalen Ausbruch der Atemwegserkrankung Covid-19 zur Pandemie erklärt. Seitdem gelten in den meisten Staaten besondere Notstandsregelungen mit zum Teil massiven Einschränkungen des öffentlichen und privaten Lebens. Vielerorts ist das kulturelle und soziale Leben zum Erliegen gekommen, die Wirtschaft fährt auf Sparflamme, das Reiseaufkommen – egal ob international oder in Landesgrenzen – ist regelrecht implodiert, der Flugverkehr liegt auf dem Niveau von 1991. Angesichts der weltweit anhaltend hohen Infektionen (fast 135 Millionen) und Todeszahlen (ca. 2,9 Millionen mit Stand 12. April 2021) sind die Maßnahmen ohne Frage notwendig. Gleichzeit steigen die Kosten von Lockdowns. Die größte Hoffnung, die Pandemie und all ihre Auswirkungen zu bezwingen, liegen in einem umfassenden, globalen Impfschutz.

Globale Impfkampagne in Schieflage

Zunächst: Noch nie wurden so schnell Impfstoffe entwickelt und zugelassen, wie derzeit gegen den Erreger Sars-CoV2. Ein Impfstoff gegen Mumps hatte bis dato den ersten Platz inne – und benötigte vier Jahr bis zur Zulassung. Das ist ohne Frage eine wissenschaftliche und organisatorische Höchstleistung. Eine zudem, die womöglich eine historischen Neuausrichtung für die medizinische Forschung wie auch die pharmazeutische Industrie bedeute, so die Finacial Times.

Doch die Höchstleistung in Forschung, Entwicklung und behördlicher Zulassung kontrastiert mit einer eklatanten Schieflage bei Zugang und Verteilung der Impfstoffe. Die Vereinten Nationen berichten, dass zehn Staaten des globalen Nordens „über fast 80 Prozent aller COVID-19-Vakzine verfügen.“ Das bedeutet, dass die Bevölkerung in diesen Staaten gleich mehrfach geimpft werden könnte, so die die UNESCO – während Entwicklungsländer noch bis Ende nächsten Jahres darauf warten müssen. In Deutschland und Europa wird derzeit viel darüber lamentiert, dass die schleppende Durchimpfung der Bevölkerung an der mangelnden Verfügbarkeit von Vakzinen liege. Falsch ist das nicht. Doch tatsächlich hat sich die EU über 2,6 Milliarden Dosen gesichert, auch wenn auf einem anderen Blatt geschrieben ist, wann diese tatsächlich geliefert werden können.

Covax: Gute Idee mit Startschwierigkeiten

Um dieser ungleichen Verteilung vorzubeugen, gibt es COVAX, kurz für COVID-19 Vaccines Global Access. Die Initiative wurde bereits im April 2020 ins Leben gerufen, um dienoch in der Entwicklung befindlichen – Impfstoffe global verfügbar zu machen. Beteiligt sind neben der WHO auch UNICEF und die Impfallianz Gavi. Die Idee war bestechend einfach: Staaten sollten nicht einzeln und für sich Lieferverträge mit den Impfstoffherstellern abschließen, sondern stattdessen im Verbund Vakzine kaufen und nach Bedarf verteilen. Dazu kam es nicht, denn die Staaten des Globalen Nordens kaufen nicht via COVAX. Vielmehr sicherten sie sich im großen Stil bilaterale Vorkaufsrechte, sogenannte Advance Purchase Committments, allem Wettern gegen Impfnationalismus zu Trotz.  

Das übergeordnete Ziel von COVAX – global gleicher und gerechte Zugang zu Impfstoffen – konnte bislang also nicht erreicht werden. Doch stünde zu befürchten, dass die ärmeren Staaten ohne diese Initiative vollends leer ausgingen. Denn immerhin haben sich bislang 165 Staaten bereit erklärt, an COVAX teilzunehmen. 45 finanzkräftige Staaten stellen die Mittel zur Verfügung, insgesamt gibt es Zusagen in Höhe von über 6 Milliarden US-Dollar, die Europäische Union übernimmt davon ein gutes Drittel. Ein positives Zeichen ist auch, dass sich die USA mittlerweile umfangreich einbringen, eigene Mittel aufbringen und sich dafür einsetzen, dass auch von privater Seite noch mehr in COVAX investiert wird. Denn nach wie vor besteht eine Finanzierungslücke von über 22 Milliarden US-Dollar – mehr als zwei Drittel des Budgets für 2021.

Wenigsten hat nun die Verteilung der Impfstoffe begonnen: Knapp 40 Millionen Impfdosen konnten bislang an genau 102 Staaten ausgeliefert werden. Sicherlich ist das immer noch nur der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein, vom selbst gesetzten Ziel der 2 Milliarden Dosen in diesem Jahr noch weit entfernt. Ein Anfang aber ist gemacht. Sorgen bestehen nach wie vor über besonders vulnerable Gruppen – beispielsweise Geflüchtete oder Menschen in Krisenregionen. Wann, wenn überhaupt, werden sie geimpft werden können?

Stolperstein Patentschutz

Es gibt noch andere Vorschläge als COVAX, um die ungleiche Verteilung der Impfstoffe zu beheben. Der wichtigste darunter ist die temporäre Aufhebung des Patentschutzes, um so kurzfristig große Mengen Impfstoff her- und bereitzustellen. Auf internationaler Ebene haben sich besonders Südafrika und Indien dafür stark gemacht. Auch zivilgesellschaftliche Organisationen setzen sich dafür ein, in Deutschland beispielsweise Brot für dich Welt oder die Welthungerhilfe. Auch die DGVN spricht sich für den sogenannten TRIPS-Waiver aus.

Dieser wird bereits seit Oktober 2020 bei der Welthandelsorganisation (WTO) diskutiert. TRIPS ist das internationale Abkommen über „handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums“. Die Befürworter – der südafrikanisch-indische Vorschlag wird inzwischen von einer Vielzahl afrikanischer, südamerikanischer und asiatischer Staaten unterstützt – sehen in der Suspendierung des Patentschutzes ein notwendiges Mittel, um die Impfstoffproduktion auch lokal zu ermöglichen, nicht nur im industrialisierten globalen Norden. Gegner führen ins Feld, dass mit der Aufhebung zwar das Recht bestünde, lokal zu produzieren. Da es aber vor allem an Produktionskapazitäten mangelt, würde sich an der Verfügbarkeit nichts ändern. Zudem sind die Patente der neu entwickelten Impfstoffe noch gar nicht erteilt. „Frühestens in drei Jahren“ kann damit gerechnet werden, meint der Jurist Reto Hilty. Ein TRIPS-Waiver griffe also vorerst ins Leere.

Bislang gibt es keinen Konsens der Staaten und formelle Verhandlungen stehen noch aus. Es ist nicht zu erwarten, dass es kurzfristig zu einer Einigung kommen wird. Die neue WTO-Generaldirektorin Ngozi Okonjo-Iweala hat sich deshalb dafür ausgesprochen, in der Zwischenzeit in die Produktion in Ländern des Globalen Südens investiert wird. Dazu könnten Lizenzvergaben ein Mittel sein, die auch staatlich angeordnet werden könnten.

#Onlytogether: Corona kann nur gemeinsam besiegt werden

Die Vereinten Nationen versuchen in dieser komplexen Gemengelage eines weiterhin dynamischen Infektionsgeschehens, nationaler Alleingänge und rasanter Forschungsfortschritte wenigstens Impulse zu setzen. COVAX ist hierbei die prominenteste Initiative. Trotz einigen Startschwierigkeiten und mangelnder Finanzierung kann man noch hoffen, dass ihre Ziele mittelfristig erreicht werden. Derweil leisten die UN Aufklärungsarbeit, zum Beispiel mit der Hashtag-Kampagne #Onlytogether. Denn wahr bleibt, was Gavi-CEO Seth Berkley sagt: „Man ist nur geschützt, wenn alle geschützt sind.“

Timon Mürer

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