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Gewalt gegen Frauen: Keine Frage der Ehre

Nach Schätzungen der Vereinten Nationen (UN) werden jedes Jahr weltweit 5.000 Frauen ermordet und misshandelt, weil sie vermeintlich den Ruf der Familie beschädigt haben. Diese „Tötung von Frauen aufgrund ihres Geschlechts“ oder auch als sogenannte „Ehrenmorde“ bezeichneten Gewaltakte beruhen auf strukturellen Diskriminierungen und Gewalt gegen Frauen. In Afghanistan, einem Mitgliedsstaat, in dem diese Praxis relativ weit verbreitet ist, soll gegen die Straflosigkeit der Täter*innen jetzt mit einer Veränderung des Strafrechts vorgegangen werden.

Mehrere Personen tragen ein Transparent mit der Aufschrift: ""Promote Peace at Home, Stop Gender Based Violence and Child Marriage"".
Protest gegen Gewalt gegen Frauen in Südsudan. (UN Photo/Isaac Billy)

Die Menschenrechtsverletzung, die im Englischen als „gender-related killing“ bezeichnet wird, entspricht im Deutschen dem etwas sperrigen Ausdruck „Tötung von Frauen und Mädchen aufgrund des Geschlechts“. In Anlehnung an den englischen Begriff „homicide“ (dt.: Tötung) wird auch häufig von Femicide gesprochen. Alle Umschreibungen meinen im Kern dasselbe: den Mord an Frauen, nur weil sie Frauen sind, also ausschließlich aufgrund eines zugeschriebenen Geschlechts. Als Motiv und Ursache liegen diesen Morden strukturelle Diskriminierungen von Frauen und Mädchen zugrunde. In einem Bericht über Ursachen und Konsequenzen von Gewalt gegen Frauen von Rashida Manjoo (UN-Sonderberichterstatterin über Gewalt gegen Frauen, im Amt von 2009 bis 2015) werden diese Morde als ultimative Gewaltakte gegen Frauen beschrieben, die in Gesellschaften weltweit in einem Kontinuum von Gewalt und Diskriminierungen passieren. Morde an Frauen aufgrund ihrer geschlechtlichen und sozialen Zugehörigkeit bzw. den damit verbundenen gesellschaftlichen Ansprüchen an sie, sind deshalb nie isolierte Einzeltaten, die plötzlich oder gar überraschend auftreten. Letztendlich handelt es sich hierbei vielmehr um ein kalkuliertes Vorgehen, um Frauen und Mädchen Gleichberechtigung und Gleichstellung zu verwehren und sie zu unterdrücken oder Rache zu üben.

Sogenannte „Ehrenmorde“ als Spiegel der Gesellschaft

Sogenannte „Ehrenmorde“ sind ein Beispiel für eine Tötung aufgrund des Geschlechts. Sie sind Ausdruck einer gesellschaftlichen Ordnung, einer individuellen Moralvorstellung oder eines Weltbildes, welches Frauen ihre Menschenrechte verwehrt. Meist geht es darum Entscheidungen, die die sexuelle Selbstbestimmung der Frau betreffen, zu kontrollieren und ihre Bewegungsfreiheit einzuschränken. Der Begriff der Ehre wird hier instrumentalisiert, um die Tötung als ehrbaren, nötigen Akt der Befreiung und Schutzes der Familie zu verteidigen. Er impliziert, dass die Frauen selbst Schuld seien. Denn sogenannte „Ehrenmorde“ sollen eine Familie vor der vermeintlichen Schande, die eine Frau durch ihr Verhalten auf sie gebracht haben soll, bewahren.

Belastbare Zahlen zu sogenannten „Ehrenmorden“ gibt es nur wenige. Schätzungen zufolge wird der Großteil dieser Verbrechen nie zur Anzeige gebracht. Eine zunehmende Verstädterung und Medialisierung von Gesellschaften führen jedoch dazu, dass sie seltener unbeachtet bleiben. In den wenigen Fällen, in denen diese Menschenrechtsverletzungen vor Gericht landen, werden die überwiegend männlichen Täter aus dem Nahraum des Opfers, zum Beispiel der Familie, nicht zur Rechenschaft gezogen.