Menü

Frauengeführte Proteste und SDG 16

Ob in der Türkei, in Polen oder Sudan: Frauen gehen auf die Straße. Sie fordern Gerechtigkeit, Frieden und starke Institutionen – genau die Ziele, die in SDG 16 festgehalten sind. Wie steht es um diese Protestbewegungen und was eint sie?

Frauen in weißen T-Shirts laufen im Rahmen einer Protestaktion in Reihen auf der Straße.
Die Forderungen vieler Protestaktionen mit hoher Frauenbeteiligung - wie in Liberia - haben einen starken Bezug zum SDG 16. (UN Photo/Eric Kanalstein)

Read this article in English

Im März 2021 wurde in der Türkei gegen die Entscheidung von Präsident Recep Tayyip Erdoğan protestiert, aus dem Übereinkommen von Istanbul zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt auszutreten. Am 8. März, dem Internationalen Frauentag, demonstrierten zahlreiche Frauen in Mexiko gegen das extreme Ausmaß an geschlechtsspezifischer Gewalt und die Untätigkeit der Regierung – eine Fortsetzung der Proteste des Jahres 2020. In Indien übernahmen Frauen die Führungsrolle bei den Bauernprotesten, die im Jahr 2020 begannen und bis ins Jahr 2021 andauerten. In Russland bildeten Frauen im Februar 2021 Menschenketten zur Unterstützung der weiblichen politischen Gefangenen. Im Jahr 2020 waren Frauen in Belarus die Anführerinnen bei Demonstrationen gegen eine korrupte Regierung und Wahlmanipulationen. Und in Polen protestierten Frauen gegen verschärfte Abtreibungsgesetze.

All diese Protestbewegungen verbindet, dass sich ein außergewöhnlich hoher Anteil an Frauen unter den Protestierenden befand – und dass viele Protestaktionen von Frauen angeführt wurden. Sie fordern bessere Gesetze, weniger Korruption und Bestechung, den Schutz der Grundfreiheiten und das Ende aller Formen von Gewalt und der damit verbundenen Todesraten. Diese Forderungen entsprechen den Zielvorgaben von SDG 16 – denn darin geht es um eine friedliche und nachhaltige Zukunft für alle Menschen, in der Inklusion und Anerkennung eine wichtige Rolle spielen.

Erfolge, die Mut machen: Sudan und Spanien

Einige dieser Proteste haben bereits zu wichtigen gesetzlichen und politischen Maßnahmen geführt: Im Sudan waren 2019 zahlreiche Frauen als Anführerinnen an der Pro-Demokratie-Bewegung beteiligt. Nach dem Sturz des langjährigen Staatschefs Omar al-Bashir durch einen Militärputsch im Juni 2019 ging das Militär brutal gegen pro-demokratische Demonstrantinnen und Demonstranten in Khartum vor. Dabei wurden viele Protestierende getötet und Frauen vergewaltigt. Doch Verhandlungen zwischen Oppositionsgruppen und der Militärführung führten im August 2019 schließlich zur Bildung einer Übergangsregierung. Im Januar 2021 wurde bei den Friedensvermittlungen betont, dass die Beteiligung von Frauen im Legislativrat nicht unter 40% liegen sollte, was in Artikel 23 (3) des Verfassungsentwurfs aufgenommen wurde. Zu den Kompetenzen des Legislativrats gehört es, Gesetze und Rechtsvorschriften zu erlassen und das Kabinett zur Rechenschaft zu ziehen. Daher bedeutet die stärkere Vertretung von Frauen im Legislativrat, dass sie einen besseren Zugang zu wichtigen Entscheidungspositionen haben werden. Dies ermöglicht ihnen mehr Mitspracherecht bei der Durchsetzung von Reformen und Gerechtigkeit in geschlechtsspezifischen Fragen.

In Spanien wurden Forderungen nach einer Reform des Strafrechts für Sexualdelikte laut. Im Jahr 2019 mündete eine Reihe von Vergewaltigungsfällen und Attacken häuslicher Gewalt in einem einzigen Sommer zum Tod von 19 Frauen, was einen „feministischen Aufstand“ auslöste. Die Proteste führten dazu, dass die Regierung einen Gesetzesentwurf verabschiedete, der das Strafgesetzbuch änderte, sodass jeder nicht-einvernehmliche Sex als Vergewaltigung eingestuft wird.

Wie diese Proteste zeigen, reicht es nicht aus, nur die Rechtsstaatlichkeit zu fördern. Um einen gleichberechtigten Zugang zur Justiz für alle zu gewährleisten, müssen in einigen Fällen bestehende Gesetze reformiert werden. Institutionen können nur dann wirklich gestärkt werden, wenn sie inklusiv und repräsentativ für die Menschen sind, denen sie dienen.

Langsamer Wandel: Mexiko und Indien

In anderen Ländern dauert es deutlich länger, bis sich konkrete Ergebnisse zeigen: In Mexiko eskalierten die Proteste gegen geschlechtsspezifische Gewalt und die Untätigkeit der Regierung bei den jüngsten Protestaktionen am Internationalen Frauentag. Tania Reneaum Panszi, Exekutivdirektorin von Amnesty International Mexiko, stellt fest, dass, obwohl die „Behörden auf verschiedenen Regierungsebenen die Protestaktionen der Frauen stigmatisiert und als 'gewalttätig' charakterisiert haben [...], diese Proteste das Recht der Frauen einfordern, ein Leben ohne Gewalt zu führen“. Die Aussage unterstreicht den mühsamen Kampf der Frauen um Gerechtigkeit und faire Behandlung sowie die langfristigen Ziele, für die sie eintreten: dauerhaften Frieden, Sicherheit und Wohlstand.

In Indien fordern Bäuerinnen und Bauern die Rücknahme von drei Agrargesetzen, die im September 2020 von der Regierung des Premierministers Narendra Modi verabschiedet wurden. Diese Gesetze deregulieren den Verkauf von Feldfrüchten und setzen kleine Landbesitzerinnen und Landbesitzer der Gefahr aus, ihren Betrieb und ihr Land an Großkonzerne zu verlieren. Im Januar 2021 gab es Versuche, die Frauen bei diesen Protestaktionen zu überreden, nach Hause zu gehen, aber sie ließen sich nicht einschüchtern. Einige der Frauen traten auf die Bühne, um sich sichtbarer zu machen und ließen sich nicht zum Schweigen bringen. Nach Angaben von Oxfam India sind 85 Prozent der Frauen in ländlichen Gebieten in der Landwirtschaft tätig, doch nur etwa 13 Prozent besitzen selbst Land. Jasbir Kaur Nat, Mitglied der Punjab Kisan Union, konstatiert: „Frauen werden nicht als Bäuerin wahrgenommen. Ihre Arbeitsleistung ist gewaltig, aber unsichtbar.“ Durch die Protestaktionen beginnt sich die Wahrnehmung bereits zu verändern. Und darüber hinaus verdeutlichen die Proteste die Tatsache, dass Frauen weltweit an ihren Forderungen nach Sichtbarkeit in allen Aspekten ihres Lebens festhalten müssen, und ebenso an ihrer Forderung nach umfassenderen politischen und sozialen Veränderungen.

Weltweit kämpfen Frauen dafür, gehört zu werden und Gesellschaften zu etablieren, die ihren Beitrag respektieren. Selbst bei dem aktuell noch geringen Zugang zu Entscheidungsprozessen arbeiten Frauen weiterhin hart daran, friedliche und inklusive und damit nachhaltige Gesellschaften zu fördern – was genau den Zielvorgaben von SDG 16 entspricht.

Teri Shardlow
Übersetzung: Angela Großmann

Das könnte Sie auch interessieren