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50. Jubiläum der UN-Menschenrechtspakte (Teil I): Der Sozialpakt - Rechte zweiter Klasse?

Anlässlich des Tages der Menschenrechte (10. Dezember) und dem 50. Jubiläum des Sozial- und Zivilpakts veröffentlichen wir eine Serie von drei Artikeln zur Entstehungsgeschichte, Bedeutung und Fortentwicklung der beiden bisher bedeutendsten und gleichzeitig grundlegendsten UN-Menschenrechtspakte sowie die Rolle der Zivilgesellschaft im Umsetzungsprozess dieser Übereinkommen. In unserem ersten Artikel beleuchtet Dr. Beate Wagner die unterschiedliche Wertung des Zivil- und Sozialpaktes und plädiert für eine Ratifikation des Individualbeschwerdeverfahrens zum Sozialpakt durch die Bundesrepublik Deutschland.

zwei gezeichnete Figuren geben sich ein "high five". Dazu der englische Schriftzug "Stehen Sie heute auf die Rechte eines anderen Menschen. Tag der Menschenrechte 2016".
Das Kampagnenlogo der Vereinten Nationen zum Tag der Menschenrechte 2016.

Im Dezember 1966 wurde der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte – kurz: UN-Sozialpakt – von der UN-Generalversammlung zusammen mit dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (Zivilpakt) beschlossen, um die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte enthaltenen Rechte völkerrechtlich verbindlich zu machen. Die im UN-Sozialpakt garantierten Rechte umfassen unter anderem die Rechte auf Arbeit und Gewerkschaftsfreiheit, Soziale Sicherheit und einen angemessenen Lebensstandard, außerdem Gesundheit und Bildung und die Rechte auf Teilnahme am kulturellen Leben und die Freiheit von Wissenschaft und Forschung.

Der Ost-West-Konflikt prägt den Umgang der Staaten mit den Menschenrechten

Es wird übereinstimmend davon ausgegangen, dass der Ost-West-Konflikt die Ursache dafür war, dass es 18 Jahre gedauert hat, bis die Umsetzung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (1948) in rechtsverbindliche Menschenrechtskonventionen erfolgen konnte und dass die Rechte in zwei Pakte aufgespalten wurden. Dabei herrschte im Westen die Ansicht vor, dass die bürgerlichen und politischen Rechte, zum Beispiel die Meinungsfreiheit, echte, d.h. individuell einklagbare Menschenrechte seien. Bei den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten handele es sich hingegen um „Zielverpflichtungen, die von den Staaten angemessene Bemühungen, jedoch nicht das Erreichen des Ziels verlangen.“ (Christian Tomuschat, Die Vereinten Nationen und die Menschenrechte, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B49/1988, 2.12.1988, 14-24, 18). Demgegenüber wurden in den Staaten des Warschauer Vertrags die wirtschaftlichen und sozialen Rechte als Grundvoraussetzung zur Verwirklichung der vom Westen hochgehaltenen bürgerlichen und politischen Rechten gesehen. Letztere wurden nicht offen abgelehnt, aber es wurde erklärt, sie müssten nicht individuell einklagbar sein, da die Volksdemokratien diese Rechte schon qua Verfasstheit verwirklicht hätten.

Otto Winzer und Walter Scheel unterhalten sich auf einem schwarzweißen Bild. Sie sind von hinten zu sehen und Walter Scheel lächelt. Mehrere gut gekleidete Herren schauen Ihnen aufmerksam zu.
Mit der Aufnahme in die UN 1973 ratifizierte die Bundesrepublik Deutschland auch den Sozial- und Zivilpakt. Hier begrüßen sich Otto Winzer und Walter Scheel vor der Eröffnung der 18. Generalversammlung. (UN Photo/ Teddy Chen)

2008, der UN-Sozialpakt bekommt ein Individualbeschwerdeverfahren

Das Fakultativprotokoll zum UN-Sozialpakt, das Einzelpersonen das Individualbeschwerdeverfahren gegenüber dem Vertragsausschuss ermöglicht, wenn sie sich in ihren im Sozialpakt aufgeführten Rechten verletzt fühlen und der innerstaatliche Rechtsweg ausgeschöpft wurde, wurde nach langen Verhandlungen im Dezember 2008 von der UN-Generalversammlung beschlossen und zur Zeichnung durch die Mitgliedstaaten ausgelegt. Presseberichte feierten diesen Schritt damals im Zusammenhang mit dem 60. Jubiläum der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte als das späte Ende des Ost-West-Konflikts im UN-Menschenrechtsschutz. Dies insbesondere im Hinblick darauf, dass es zum UN-Zivilpakt bereits von Anfang an ein Fakultativprotokoll gibt, durch das ein Individualbeschwerdeverfahren eingeführt worden ist. Das Zusatzprotokoll zum Sozialpakt ist 2013 in Kraft getreten, nachdem 10 Staaten es rechtsverbindlich anerkannt hatten. Heute, im Dezember 2016, haben es 22 Staaten von 164 den Mitgliedstaaten des Sozialpakts ratifiziert.

Die damalige Hohe Kommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte, Navi Pillay, hat bei der Verabschiedung des Protokolls betont, dass durch das Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt für soziale, wirtschaftliche und kulturelle Rechte eine historische Lücke geschlossen wird und die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Rechte nun als gleichrangig mit den zivilen und politischen Rechten betrachtet werden können (U.N. Doc. A/63/PV. 66). Die Abstufung der Menschenrechte, die mit der starken Rolle der westlichen Demokratien nach dem Ende des Ost-West-Konflikts zunächst zementiert schien, wird aber nur dann aufgelöst, wenn das Beschwerdeverfahren zum Sozialpakt durch weitere Ratifikationen gestärkt wird. Noch ist das Instrument zu schwach.

Generalsekretär Ban Ki-moon und Bundeskanzlerin Angela Merkel, deutsche Flagge
Generalsekretär Ban Ki-moon und Bundeskanzlerin Angela Merkel. (UN Photo/Evan Schneider)

Unentschiedene Haltung Deutschlands

Deutschland hat den UN-Sozialpakt 1973 ratifiziert, seitdem sind die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte in Deutschland verbürgt. Nachdem die deutsche Bundesregierung bei der Aushandlung des Fakultativprotokolls einer der Fürsprecher war, prüft sie seit nunmehr acht Jahren die Ratifikation. Der Prozess scheint auch 2016, im 50. Jubiläumsjahr der beiden UN-Menschenrechtspakte, auf unbestimmte Zeit ausgesetzt zu sein.

Dabei würden weitere Ratifikationen die Menschenrechte in ihrer Gleichwertigkeit und Unteilbarkeit stärken und die historische Spaltung in zwei Pakte in ihrer Bedeutung zurücknehmen, was schon mit dem Impuls zur Aufnahme der Verhandlungen im Rahmen der Wiener Weltmenschenrechtskonferenz 1993 angestrebt wurde.

Deutschland hat im vergangenen Jahrzehnt durch seinen Einsatz für die Stärkung und Anerkennung einzelner wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte international Profil gewonnen, beispielsweise durch Initiativen beim Recht auf Wasser und Sanitärversorgung. Dieses Bemühen bezogen auf eine Rechteverwirklichung im Ausland hat die Erwartung geweckt, dass Deutschland auch das Fakultativprotokoll zum UN-Sozialpakt zügig ratifiziert, um sich selbst einer besseren innerstaatlichen Überprüfung zu stellen und seine Initiativen mit mehr Autorität und Glaubwürdigkeit fortführen zu können.

Die Rechtsauffassung ist dabei sich zu wandeln

Dies gilt umso mehr, als sich die Rechtsauffassung international weiter durchsetzt, dass auch die Sozialpaktrechte individuell einklagbare Freiheitsrechte sind. Wie die bürgerlichen und politischen Rechte verpflichten sie den Staat zu ihrer Achtung, zu ihrem Schutz und zur Gewährleistung. Beispielsweise bezogen auf das Recht auf soziale Sicherheit bedeutet dies, dass Staaten einen rechtlichen Rahmen bieten müssen, in dem das Recht der Bürgerinnen und Bürger auf soziale Sicherheit beachtet und gegenüber Eingriffen von Dritten (z.B. willkürliche Massenentlassungen) geschützt wird. Welche materielle Gewährleistung der Rechte ein konkreter Staat bieten muss, ist an die wirtschaftlichen Möglichkeiten und an Ergebnisse gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse gebunden und nicht schon durch den Sozialpakt vorgegeben.

Aufgespalten in die Trias des Achtens, Schützens und Gewährleistens wird deutlich, dass auch z.B. das Recht auf Leben nur einer progressiven Gewährleistungspflicht unterworfen ist, ist es doch nicht nur von einem Schutz durch Gesetze und der staatlichen Abwehr von Angriffen Dritter abhängig, sondern auch von Ausbau und Qualität des Gesundheitssystems, die auch von der materiellen Leistungsfähigkeit des jeweiligen Staates abhängen.

Deutschland könnte ein Signal geben

Das 50. Jubiläum der UN-Menschenrechtspakte am 16. Dezember 2016 wäre ein guter Anlass für die Bundesregierung, mit den Versprechen der Gleichwertigkeit der Rechte endlich Ernst zu machen und das Individualbeschwerdeprotokoll zum Sozialpakt zu ratifizieren. Das wäre ein vielbeachteter Schritt, der aufgrund der internationalen Bedeutung Deutschlands auch wieder Dynamik in den globalen Ratifikationsprozess bringen würde.

Dr. Beate Wagner

Die Autorin ist ehemalige DGVN-Generalsekretärin und seit 2016 Mitglied im Kuratorium des Deutschen Instituts für Menschenrechte

 

Zum Weiterlesen:

Verständlich aufgearbeitet Informationen zum UN-Sozialpakt bietet das FoodFirst Informations- & Aktions-Netzwerk, FIAN Deutschland e.V.

 

Claudia Mahler (Deutsches Institut für Menschenrechte) argumentiert, weshalb eine Ratifikation des Zusatzprotokolls zum Sozialpakt nötig und auch innenpolitisch möglich ist:

http://www.ssoar.info/ssoar/handle/document/31692

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